Herr Willbrand hat Geburtstag. Und den feiert er – zusammen mit seinen knapp 38.000 Followerinnen und Followern auf TikTok. Der Kölner Antiquar ist mit Anfang 80 zu so etwas wie einem Social-Media-Star geworden. Alles fing an, als eine Freundin – etwa 50 Jahre jünger – im Frühjahr 2024 auf die Idee kam, der abnehmenden Kundschaft in seiner Buchhandlung etwas entgegenzusetzen. Seitdem drehen sie kleine Videos für Instagram und TikTok. Darin geht es um Themen wie: Wie viele Seiten am Tag sollte man lesen?
Spannende Frage, findet man auf Instagram. Dort ist das Publikum zum überwiegenden Teil zwischen 18 und 35 Jahren alt – auf TikTok ist es sogar noch jünger. Doch die Begeisterung für den Content von Menschen im Seniorenalter ist groß. Zum Beispiel für das Paar Aki und Koichi aus Kalifornien, beide "Granfluencer" Anfang 70, die jeden Tag ihr Outfit des Tages präsentieren. Oder die italienische Netzberühmtheit Nonna Silvi, deren Rezept für die perfekte Carbonara auf Instagram 54 Millionen Mal angesehen wurde.
Woher rührt der Hype um "Granfluencer"?
Was macht den Erfolg dieser Videos aus? Ist es die Hoffnung einer jungen Zielgruppe, dass das Leben mit über 70 Jahren noch nicht vorbei ist? Oder ist es vor allem das Unerwartete, die Abweichung: Die Sichtbarkeit von Menschen, die nicht "jung und schön" sind, aber dennoch etwas mitzuteilen haben? Bei Silke van Dyk, Professorin für politische Soziologie in Jena, hält sich die Verblüffung in Grenzen:
"Wir erleben jetzt schon seit mehreren Jahrzehnten immer wieder überraschte Debatten über die jungen Alten, die aktiven Alten, die fitten Alten, die erfolgreichen", sagt sie. "Obwohl man jetzt sagen könnte: Okay, dass Alte nicht immer Pfeife rauchend im Schaukelstuhl sitzen und stricken, das wissen wir jetzt seit mehreren Jahrzehnten. Das ist ein absolut antiquiertes Altersbild, das sich aber erstaunlicherweise bis heute hält."
Fitte Senioren werden gefeiert – und die anderen?
Das Alter: Hier weniger eine biologische als eine gesellschaftlich gemachte Kategorie, bei der mediale Repräsentation eine große Rolle spielt. Und die häufig von Diskriminierung betroffen ist. Aber während Schauspielerinnen und Schauspieler jenseits der 40 immer noch um ihre Engagements in Filmen und Theatern kämpfen müssen, können junggebliebene Alte auf Social Media unabhängig davon zeigen, dass sie aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, dass sie noch Potenzial haben und junge Trends verstehen. Wie der Berliner Günther Krabbenhöft, Techno tanzender Senior mit gut 300.000 Followern.
Mode, Kultur, Kulinarik: Das Zurschaustellen eines guten Lebens. Über die Instagram-Seite der Fashion-Influencer Aki und Koichi kann man ihre Alltags-Outfits nachkaufen. Zum Beispiel eine Bottega Veneta-Tasche. Kosten: 4.000 Euro, etwa das Zweieinhalbfache der durchschnittlichen Monatsrente in Deutschland.
Dass das Bild, das wir vom Alter haben, durch solche Social-Media-Kanäle beeinflusst wird, ist für die Soziologin Silke van Dyk nicht ausschließlich positiv: "Je mehr fitte, gesunde, aktive, erfolgreiche, alte öffentlich präsent sind, und zwar als Menschen des Alltags, desto mehr steigt natürlich aber auch zugleich der Druck auf all diejenigen, die diesen Ansprüchen an Aktivität, Vitalität eben nicht mehr gerecht werden können."
Was wir nicht sehen: Armut, Angst, Gebrechen
Van Dyk spricht von einer "Aufwertung des Alters", die wir im Moment erleben und die sich auch auf Social Media zeigt. "Wir sehen, dass gerade den jüngeren älteren Menschen Dinge zugetraut werden, die früher nicht mit dem Alter verbunden waren", sagt sie. "Wir sehen aber zugleich, dass das höhere Alter weiterhin extrem abgewertet ist."
Und tatsächlich sehen wir auf TikTok und Instagram kaum: Pflegeheime von innen. Von Altersarmut Betroffene. Tipps für einen Alltag mit einem zunehmend gebrechlichen Körper. Wobei genau hier die große Chance besteht: Auf Social Media auch mit solchen Alters-Themen selbst mitzureden und mitzugestalten. Ob diese Videos auch erfolgreich wären? Das ist die Frage.
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