Eine Frau schreibt Tagebuch.
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Das Tagebuch kann ein Freundin-Ersatz sein, stiller Zuhörer oder Zeitzeugnis.

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Das Tagebuch: Freundin-Ersatz, stiller Zuhörer und Zeitzeugnis

Das Tagebuch: Freundin-Ersatz, stiller Zuhörer und Zeitzeugnis

Das Tagebuch war für Anne Frank ein Freundin-Ersatz, für den Andechser Abt war es eine Chronik des 30-jährigen Krieges: Tagebücher öffnen die Tür in eine andere Welt. Doch hat das analoge Tagebuch durch die sozialen Medien nicht langsam ausgedient?

Über dieses Thema berichtet: Theo.Logik am .

Das "Tagebuch der Anne Frank" gehört wohl weltweit zu den bekanntesten Tagebuchaufzeichnungen. Das junge jüdische Mädchen, das sich mit seinen Eltern in einem Hinterhaus vor den Nazis versteckt hat, nannte ihr Tagebuch "liebe Kitty". Für Anne Frank war das Tagebuch im tristen Hinterhaus-Alltag eine Art Beste-Freundin-Ersatz.

Tagebücher können aber auch ein guter und stiller Zuhörer sein, in dem sie Gedanken wälzen, ihre Meinung ungeschminkt äußern und ohne Gesichtsverlust auch wieder revidieren können. Für andere ist das Tagebuch einfach ein kalendarisch geführtes Notizbuch, eine Merkhilfe, Gedankenstütze, Anekdotensammlung. Für die Nachwelt sind Tagebücher aber auch Zeitzeugnisse, die einen Einblick geben in eine Zeit, die man selbst nicht erlebt hat. Während die meisten Tagebücher analog und in Papierform sind, gibt es zunehmend auch digitale Formen.

Darf man die Kindertagebücher der Eltern lesen?

Beim Aufräumen ihres Speichers in München hat die 64-jährige Caroline Topp mehrere alte Koffer mit Tagebüchern ihrer Vorfahren gefunden. Darunter sind auch die von Caroline Topps Mutter, die diese 1943 als 13-Jährige in der Nähe von Hamburg geschrieben hat. Das Tagebuch zeigt, wie sich ihre Mutter verliebt hat, sich ärgerte, mit der Welt haderte. Topps Mutter beschreibt darin, wie ihre eigene Mutter, eine Lehrerin, eine Abmahnung bekommt, weil sie den Hitlergruß nicht machen wollte. Trotzdem zeigt das Tagebuch auch, wie die NS-Propaganda damals bei Topps Mutter als Kind verfangen hat.

Ein weiteres Tagebuch stammt von Caroline Topps Urgroßvater von 1897. Dieser wollte eigentlich Schauspieler werden, fügte sich dann aber doch dem Wunsch seiner Mutter und wurde Pastor. In den alten Koffern finden sich auch Briefe, die sich Caroline Topps Eltern geschrieben haben: "Da hab ich gemerkt, das möchte ich nicht lesen, da bekomme ich eine Gänsehaut. Da hab ich mir gedacht, ich hab gar kein Recht, das zu lesen", sagt Caroline Topp.

Tagebuch wird erst seit der Renaissance geschrieben

Das Tagebuch-Schreiben an sich ist noch gar nicht so alt. Es gibt zwar Funde aus der Antike, Jahrhunderte vor Christus, wo auf Tontafeln Notizen über Wetter und Marktpreise festgehalten wurden. Doch das Tagebuch-Schreiben, das Erlebnisse, Eindrücke und Gefühle dokumentiert, gibt es in Europa erst seit der Renaissance im 15. und 16. Jahrhundert. Auslöser war das sich wandelnde Menschenbild, das nun plötzlich selbstbewusst, schöpferisch und Ich-zentriert wird. Auch der Fortschritt der Technik mit dem Aufkommen des Papierdrucks erleichterte das Verfassen von eigenen Texten.

Ein besonders authentisches Zeitzeugnis ist das "Tagbuch aus dem 30-jährigen Krieg" von Abt Maurus Friesenegger vom Kloster Andechs. Geschrieben hat es der 38-jährige Mönch im 17. Jahrhundert, der ungewöhnlich persönlich die Kriegsjahre dokumentiert. Denn der 30-jährige Krieg von 1618 bis 1648 richtete auch im Kloster Andechs und den umliegenden Ortschaften großes Leid an. "Weder in den Häusern noch auf den Wegen entging jemand ihrer Barbarei, und ihrem Mutwillen. Sie raubten, plünderten und marterten, ohne zu denken, dass sie Menschen sind, und mit Menschen umgehen. Ohne Unterschied des Alters und des Geschlechtes banden sie die Menschen, entblößten sie ganz, und schändeten die einen zu Tode, und die anderen jagten sie bei sehr kalter Herbstzeit ganz nackend von sich. Solche Bestien macht der anhaltende Krieg aus den Menschen!"

Dass Maurus Frieseneggers Tagebuch heute noch erhalten ist, gleicht einem Glücksfall. Während der Säkularisation, als das Kloster aufgelöst wurde, verschwand das Manuskript. Über mehrere Umwege kam das Schriftstück erst 1921 wieder ins Kloster zurück. Erst im 17. Jahrhundert fingen die Menschen an, das selbst Erlebte als so wichtig einzuschätzen, dass man es für die Nachwelt aufbewahren sollte. Das war wohl auch die Motivation des Andechser Abtes. "Ich denke, er wollte diese Gräueltaten dokumentieren", sagt Brigitta Klemenz, Historikerin und Stiftsarchivarin des Klosters Andechs.

Abt vom Kloster Andechs schreibt über den 30-jährigen Krieg

Abt Maurus selbst nannte es zwar kein intimes Tagebuch. Trotzdem unterscheiden sich seine Schilderungen deutlich von den Chroniken, wie sie in der damaligen Zeit aus Klöstern überliefert sind. Besonders für die damalige Zeit ist, dass er sich mit seinen eigenen Gefühlen nicht zurückhält. Im Jahr 1634 beispielsweise schreibt er über die Folgen der Pest, die um sich griff: "Zu Kerschlach lagen 8 und noch mehr Personen über 6 Wochen tot in einem Haus. Davon einige schon von Hunden angegriffen und halb gefressen waren."

Zum Ende der Kriegsjahre verweilte Maurus Friesenegger ein paar Monate in Salzburg. Seine Heimkehr nach Andechs im November 1648 beschreibt er emotional in der Ich-Form: "Am 12. kam ich zu Heiligenberg, mit welcher allseitigen Freude, besonders weil ich dermal den Frieden mitbrachte, kann ich vor Freude nicht beschreiben. Mein Kloster fand ich bei meiner Rückkehr ganz unverletzt. Der Getreidekasten war aber ganz leer. Pferde und Vieh befanden sich an Zahl und Güte in besserem Stand, als ich mir zu hoffen getraut hatte, und das gab uns Hoffnung, unsere Ökonomie bald wieder herzustellen."

Tagebücher: Digitalisierung erhöht Formvielfalt

Mit der Digitalisierung ist die Formenvielfalt von Tagebüchern deutlich größer geworden: Heute haben auch Fotos, Videos und Texte bei Instagram, Youtube, TikTok und Co. einen tagebuchartigen Charakter. So wie bei Michelle Polzmacher. Die Fashion-Bloggerin lässt ihre Follower an ihrem Alltag, ihren Gedanken und Gefühlen teilhaben. An einem strahlenden Wintersonntag in der Münchner Innenstadt wird Michelle Polzmacher zwischen den Säulen an der Westseite des Königsplatzes von ihrer Mutter fotografiert.

Seit zwei Jahren liefert sie fast täglich "Content". Sie zeigt sich bei Mode-Events, nach der Trennung von ihrem Freund, ist fröhlich auf Harry-Styles-Konzerten, aber auch traurig, gestresst oder überfordert zu sehen. "Mir gefällt daran, dass es wie ein digitales Tagebuch ist, dass ich zurückblicken kann, aber auch einfach, um zu inspirieren. Wenn ich zum Beispiel auf die Videos von letztem Jahr zurückblicke, wo ich geweint habe, dann sehe ich auch die Entwicklung von mir selber", sagt Polzmacher. Wichtig ist ihr aber auch, dass es nicht "Fake" ist. Authentizität ist Michelle Polzmacher besonders wichtig.

Tagebuch oder Soziale Medien: Nichts ist per se gut oder schlecht

Trotzdem stellt sich die Frage: Ist das tatsächlich ein Tagebuch? Immerhin vertraut man einem analogen Tagebuch oft intime Geheimnisse und Gefühle an, von denen man gerade nicht möchte, dass andere Menschen davon erfahren. "Beim Tagebuch-Schreiben geht es um das Festhalten, das Reflektieren, das nochmal Durchleben und damit Verarbeitenden der eigenen Gedanken und Erlebnisse. Das ist eine ganz private Sache. Und da ist Instagram natürlich das komplette Gegenteil", sagt der Digitaltrainer Daniel Dell'Aquia.

"Ich gebe zwar auch etwas über mein Leben preis und es gibt Leute, da kannst du das fast als Tagebuch sehen, einfach insofern, dass jeder Tag direkt auf den sozialen Medien nachvollziehbar ist. Aber sie stellen sich natürlich komplett 'nackt' ins Scheinwerferlicht und teilen ihren Alltag und ihr Leben mit der gesamten Menschheit. Und das ist meiner Ansicht nach nicht das Ziel eines Tagebuchs", sagt Daniel Dell'Aquia. Der Digitaltrainer bezweifelt, dass junge Menschen Soziale Medien als Tagebuchersatz sehen, sondern es mehr "eine digitale Version des Selbstdarstellungsdrangs in der Pubertät ist. Wie kann ich mich nach außen hin darstellen, dass ich akzeptiert werde."

Der Digitaltrainer legt allerdings Wert darauf, dass, egal ob es das analoge Tagebuch oder die Sozialen Medien sind, nichts per se gut oder schlecht ist, sondern es kommt immer darauf an, wie man es nutzt. "Wenn sich jemand den ganzen Tag nur in sein Zimmer zurückzieht und Tagebuch schreibt und niemals raus in die Welt geht und soziale Kontakte knüpft, dann wird das wahrscheinlich ähnlich schädlich sein, als wenn er total unreflektiert auf Instagram alles von sich preisgibt."

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