Drei Generationen unter einem Dach: Das gediegene Frankfurter Wohnhaus ist Mittelpunkt der Familie und zugleich Zentrum eines Delikatessen-Imperiums, das Großvater Symcha Zweifler (Mike Burstyn) mit seiner Frau Milka (Eleanor Reissa) nach dem Krieg erschaffen hat.
Mittelpunkt von Familie und Geschäft
Hier fühlt sich der 30-jährige Samuel (Aaron Altaras), der längst in der Berliner Musikbranche als erfolgreicher Manager arbeitet, eigentlich zu Hause. Hier lebt, regiert und arbeitet Samuels jüdische Mutter Mimi (Sunnyi Melles) mit ihrem Ehemann Jackie (Mark Ivanier) und dem jüngsten Sohn Leon (Leo Altaras). Dieses Zentrum von Familie wie Geschäft gerät schon in der ersten Folge der sechsteiligen Serie gründlich ins Wanken.
"Du zerstörst unsere Familie", klagt Samuels Mutter Mimi, als der Großvater verkündet, dieses Delikatess-Imperium verkaufen zu wollen, ein Entschluss, der für alle aus heiterem Himmel kommt und auf einem dunklen Geheimnis des Großvaters beruht, das in die Gründungsphase hineinreicht … Doch der Verkauf ist nicht die einzige Gefahr, die der Familie droht. Eine andere kommt von Samuel selbst, der sich in Saba (Saffron Coomber) verliebt, eine schwarze Szeneköchin in Berlin, die für die Zweiflers EIN großes Manko hat: Sie ist keine Jüdin.
Clash der Identitäten und Ansprüche
Diese Konstellation hätte das Zeug zu einem turbulenten Feel-Good-Familien-Movie wie "Monsieur Claude und seine Töchter", geht es auch hier um das Zusammenprallen verschiedener Identitäten, tiefer Vorurteile und Ansprüche. Doch hier handelt es sich nicht um eine französische, sondern um eine jüdische Familie mitsamt krass übergriffiger, exaltierter Mutter und einer durch die Schoah tief verunsicherten Großmutter – und um das Leben dieser jüdischen Familie im Land der Täter.
Das kleine Wunder der "Zweiflers" - wenigstens in der ersten der sechs Folgen - ist, dass die Serienmacher die mit dieser komplizierten, oder wie manche sagen neurotischen Konstellation - Leben der Juden in Deutschland - einhergehenden Klischees und Peinlichkeiten mit viel Witz und Humor umschiffen. Oder genauer gesagt: Viele Klischees - wie etwa die sagenumwobene jüdische Mutter, die Angst vor der nicht jüdischen Schwiegertochter, der Schickse, hat - aufrufen, um sie dann mit der ganzen Wucht der Lebendigkeit der Figuren zu brechen. In dem Bruch tut sich das Universale der Figuren auf, wir alle - ob Jude, Muslim oder Christ - kennen, was bei den Zweiflers los ist und sie bewegt.
Die bestechende Lebendigkeit, die diese Figuren haben, speist sich auch aus ihrer Sperrigkeit, ja zuweilen Fremdheit: Die Großeltern sprechen nur Jiddisch mit ihren Lieben, und Samuel und Saba bleiben beim Englischen - das wird untertitelt in der Serie, damit der Zuschauer das Gesagte versteht. Gefällig gemacht, eingedeutscht wird es nicht.
Dialoge wie ein Blitz
Kurze Alltagsdialoge, die es in sich haben und augenblicklich Licht in die Geschichte bringen, kennzeichnen diese so sehenswerte wie unterhaltsame ARD-Serie: "Du weißt, du kannst die Pillen auch hier kriegen. Du musst sie dir nicht von Dana aus Israel schicken lassen", sagt Samuel, der seiner 85-jährigen Großmutter hilft, die Pillen zu sortieren. Im Nu erkennen die Zuschauenden, was in vielen deutschen Filmen, die jüdisches Leben thematisieren, umständlich und ja, mit Verlaub, etwas krampfig erzählt wird: Dass die betagte Großmutter zwar die Schoah überlebt hat, aber noch immer davon gezeichnet ist: Etwas paranoid traut Großmutter Zweifler weder der Pharmaindustrie noch den Pflegekräften in ihrer Frankfurter Heimat über den Weg.
Internationales Filmteam
Dieser geschickte Umgang mit den zusammenprallenden Identitäten und dem Leben der Minderheiten in der deutschen Mehrheitsgesellschaft ist gewiss auch dem internationalen Filmteam zu verdanken, das dem Ganzen die Handschrift verpasst hat: Regie führte Anja Marquardt, eine Regisseurin die schon lange zwischen Berlin und USA pendelt, zusammen mit der vietnamesisch-deutschen Filmemacherin Clara Zoe My-LinH von Armin. Produziert hat die Serie der im deutsch-jüdischen Milieu heimische David Hadda. "Die Zweiflers" wurde bei den „Canneseries“ als beste Serie ausgezeichnet.
- "Die Zweiflers": Die sechsteilige Serie läuft ab 10.5. 2024 ab 22:20 Uhr in der ARD und ist ab sofort abrufbar in der ARD-Mediathek.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!