Anne Bomblies steht vor geballten Kinderfäusten. Sie ist Pfarrerin und zuständig für den evangelischen Kindergarten der Dankeskirche im Münchner Stadtteil Milbertshofen. Allen Kindern hat sie ein Steinchen in die Hand gelegt – und die halten es ganz fest. "Überleg doch mal, wofür du heute danke sagen kannst und legt dafür dann das Steinchen in die Schale", sagt sie.
Das, was Anne Bomblies hier macht, ist eine ganz einfache Form des Betens. Und lässt sich auf die Gebetspraxis aller Religionen übertragen.
Die meisten Jugendlichen beten
Beten ist bei den wenigsten Familien noch fester Bestandteil im Alltag. "Einige begegnen dem Gebet erst mal völlig neu", sagt Bomblies. Zehn Prozent der Katholiken und vier Prozent der Protestanten gehen noch regelmäßig in einen Gottesdienst.
Ist beten also ein Auslaufmodell? Keinesfalls, meint Reinhold Boschki, Leiter des Lehrstuhls für Religionspädagogik an der Universität Tübingen. Er hat in einer Untersuchung mit anderen Forschenden 2018 herausgefunden, dass sich nur etwa jeder fünfte Jugendliche als religiös bezeichnet – aber dennoch drei Viertel aller Jugendlicher beten. Wie kommen Sie darauf?
Beten muss man lernen
Beten ist eine jahrtausendealte Kulturpraxis, die man – wie eine Sprache – lernen muss, meint Boschki: "Beim Beten ist es auf jeden Fall so bei Kindern, dass sie Vorbilder brauchen, dass man mit ihnen etwas einübt, denn sie können es nicht von Natur aus. Indem ich mit den Kindern etwas tue, etwas vollziehe, werden Sie mit hineingenommen in diesen Vorgang." Allein irgendwann schon einmal ein Gebet aufgeschnappt zu haben, reiche oft schon aus, selbst eines zu formulieren.
Boschki betont, dass es in allen Bundesländern eine – in den Bildungsplänen auch festgehaltene – Aufforderung an Kitas und Schulen gebe zur sogenannten religionssensiblen Erziehung. Sowohl Erzieherinnen und Erzieher als auch Lehrerinnen und Lehrer sollen auf die religiösen Bedürfnisse der Kinder eingehen – zum Beispiel, indem sie vor den Brotzeiten ein kleines Dankesritual abhalten "Es kann ein Gebet sein, aber es kann auch einfach ein Innehalten sein", sagt Boschki. "Alle Kinder werden still, man zündet eine Kerze an, stellt sie in die Mitte und sagt: 'Wir sind dankbar dafür, dass wir etwas bekommen haben.' Und das können Sie auch abrufen, wenn das Zuhause nicht gepflegt wird."
Eltern lernen von ihren Kindern
Genau das haben die Kinder von Stefanie Beil gemacht. Ihre drei Kinder gehen in den evangelischen Kindergarten in Milbertshofen – in dem Anne Bomblies mit Steinchen Dankbarkeitsgebete übt. Stefanie Beil selbst hat nie beten gelernt. Als ihre eigenen Kinder zu Hause damit anfangen – so wie sie es im Kindergarten gelernt haben – macht sie mit. "Da fiel es mir dann leichter, weil es in einer Sprache für Kinder war", sagt Stefanie Bell.
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