Lässt sie alles hinter sich? Oder kehrt sie zurück? Maria, Hauptfigur in Slata Roschals Roman "Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten", ringt mit dieser großen Frage. Sie ist untergetaucht, lebt einsam ein paar Tage lang in einem Billig-Hotel in Berlin, und geht mit sich selbst ins Gericht, mit ihrer Rolle als Mutter, mit ihrer Karriere, mit ihrer Familiengeschichte.
Gleichzeitig beginnt Maria, ausgehend von einer Übersetzung von Briefen bayerischer Auswanderer in den USA, eine fiktive Korrespondenz. Ein Leben am Abgrund. "Also, ich weiß zum Beispiel nicht, ob sie sich umbringt am Ende – oder nicht", sagt Slata Roschal. Das Thema Tod bilde aber den roten Faden. "Sie trinkt parallel Wein. Das war die Überlegung, dass sie sich dort hineinsteigert und mutiger wird. Und das endet mit einem kleinen Exzess."
Ein Forum für junge deutschsprachige Literatur
Mit einem Exzess in der Sprache, sollte man hinzufügen. Slata Roschal, die in München lebt, stellt ihren neuen Roman beim dreitägigen Wortspiele-Festival im Münchner Muffatwerk vor, das junger deutschsprachiger Literatur ein großes Forum bietet.
Etliche der Texte im diesjährigen Programm kreisen um existentielle Fragen. Franziska Gänsler aus Augsburg erzählt in ihrem Roman "Wie Inseln im Licht" von einer Frau, die um die Mutter trauert. Zoey will die Asche der Verstorbenen an der französischen Atlantikküste verstreuen – und wird dabei mit einem Verlust in der Kindheit konfrontiert.
Vor 20 Jahren lebte die Mutter mit Zoey und ihrer Schwester Oda in diesem Ferienort. Bis Oda, damals fünf, eines Abends für immer verschwand. "Es kommt immer wieder zurück auf dieses: Irgendetwas muss ich damit zu tun haben", sagt Gänsler. "Und dieses langsame Auftauchen aus dieser Lebenslüge, in der sie eigentlich von der Mutter gelassen wurde, weil die Mutter nicht die Kapazität hatte, die Trauer und Verwirrung der anderen Tochter zu begleiten und aufzulösen – die Fragen darum – diese Schritte geht sie im Roman dann selbst", erzählt Franziska Gänsler.
Wie fühlt es sich an, wenn die Eltern sterben?
Der Plot, den Franziska Gänsler entworfen hat, klingt nach einem Kriminalroman. Es ist aber keiner. Auch Inga Machel schreibt in ihrem Roman "Auf den Gleisen" vom Tod eines Elternteils. Der Vater von Mario, seelisch verwundet, hat sich das Leben genommen.
Mario wiederum folgt beständig einem Drogenabhängigen namens P. durch Berlin, die Erkundung auf dessen Spuren wird verbunden mit den Erinnerungen an den so oft traurigen Vater. "Tatsächlich wird P. zum Vater", sagt Machel. "Natürlich nicht ein Vater im herkömmlichen Sinn. Es ist die Beziehung, die Mario so dringend braucht, weil sie an irgendeiner Stelle nicht zum Leben gekommen ist. Ich glaube, dass ist eine Möglichkeit, eine Beziehung herzustellen."
Inga Machel stellt ihren Roman, erzählt in einer rauen, direkten Sprache am Donnerstagabend bei den Wortspielen vor. Ihr Debüt ist auch für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Jedes Jahr haben erste Romane einen festen Platz im Wortspiele-Programm.
Verleihung des Bayern 2-Wortspiele-Preises
Stefan Sommer aus München etwa schickt in "Trabant" einen jungen Mann auf eine lange Nachtfahrt. Georg begeistert sich seit der Kindheit für die Sterne. Er muss die Hochzeit seines besten Freundes in Istrien Hals über Kopf verlassen und nordwärts, über die Alpen fahren. Der Vater hat eine komische SMS geschickt. Will er die Familie verlassen? Und eine Urangst für ihn sei, dass den Eltern etwas passiere, sagt Sommer. "Da die Eltern alt werden und er merkt, dass die Eltern alt werden, ist der Tod für die Eltern tatsächlich eine Möglichkeit, die er durchspielt. Es ist die furchtbarste Vorstellung der Welt für ihn, allein zu sein."
Die Reise heimwärts wird zur Lebensreise. Viele der Menschen, von denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Wortspiele erzählen, sind Suchende, konfrontiert unter anderem mit der existentiellen Erfahrung der Endlichkeit. Das dreitägige Festival junger Literatur beginnt heute Abend im Münchner Muffatwerk. Zum Abschluss wird am Freitagabend der Bayern 2-Wortspiele-Preis verliehen – für den besten Prosatext des Festivals.
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