Sachsen, Dresden: Mitglieder der Protestgruppe Letzte Generation nehmen an einer Sitzblockade an der Autobahnabfahrt am Elbepark teil und tragen dabei Masken mit den Porträts von Bundeskanzler Scholz (l-r), Bundeswirtschaftsminister Habeck und Bundesverkehrsminister Wissing
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Sitzblockade der Gruppe Letzte Generation in Dresden

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Klug und mitreißend: Der erste Roman zur "Letzten Generation"

Klug und mitreißend: Der erste Roman zur "Letzten Generation"

Es ist das erste Mal, dass die Klimaaktivisten der "Letzten Generation" zu literarischen Ehren kommen. Der Berliner Schriftsteller Ulrich Woelk legt mit "Mittsommertage" einen so klugen wie rasanten Roman über unsere unmittelbare Gegenwart vor.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

"Alles endet immer in irgendeinem moralischen Desaster", schreibt Ulrich Woelk an einer Stelle dieses Romans, der so gegenwärtig ist wie kaum ein anderer. Er spielt in "unserer von Corona, dem Krieg in der Ukraine und Naturkatastrophen erschütterten Gegenwart", im Sommer 2022 in Berlin, wo gerade "die größte Hitzewelle seit Jahren" herrscht.

"Mittsommertage" erzählt von einer Ehekrise, vor allem aber von einem moralischen Dilemma – und das eben vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse. Denn es tobt nicht nur eine "aufgeheizte Debatte um Energiepolitik" in Deutschland in diesem Roman "Mittsommertage", es sind auch Asphaltaktivisten der "Letzten Generation" unterwegs, die den Verkehr blockieren, und Polizisten trennen Finger und Handballen dieser Klimakleber mit Spachtel und Speiseöl vom Straßenbelag.

"Die Jugend klagt einen an"

Der 62-jährige Woelk ist der erste, der die Aktionen der "Letzten Generation" in einem Werk der Fiktion auftauchen lässt. Im Gespräch mit dem BR sagt er, die Idee zum Roman sei eigentlich etwas älter gewesen und gehe zurück, als Greta Thunberg 2018 zum Klima-Schulstreik aufrief und mit ihrer "Fridays For Future"-Bewegung rasch Erfolg hatte: "Mich hat das natürlich umgetrieben, weil ich dabei ein bisschen an meine eigene Studentenzeit denken musste. Wir haben ja auch schon damals von Global Warming und vom Ozonloch geredet. Und jetzt, 30 Jahre später, hat man das Gefühl, man steht auf der anderen Seite und die Jugend klagt einen an."

Woelks mitreißend erzählte Geschichte kreist um eine fiktive Professorin für Theoretische und Praktische Ethik an der Berliner Humboldt-Uni, die in ein ethisches Dilemma gerät. Denn Ruth Lember, die 54 Jahre alt und soeben in den Deutschen Ethikrat berufen worden ist, war selbst mal in ihrer Jugend vor über 30 Jahren eine Umweltaktivistin - und machte sich als solche strafbar.

Just in dem Moment, wo sie mit der Berufung zum Mitglied des Deutschen Ethikrats am Zenit ihrer Karriere angekommen zu sein scheint, holt Ruth Lember ihre Vergangenheit ein, in Gestalt ihres früheren Freundes und Geliebten Stav – Gustav, der unvermittelt in ihrem Leben auftaucht und sie mit ihrer alten Geschichte konfrontiert.

"Laue Ehe"

Zudem läuft in ihrer Ehe mit dem Architekten Ben nicht mehr alles rund, es ist über die Jahre hinweg eine "laue Ehe" geworden. Die Wiederbegegnung mit ihrer Jugendliebe Stav bringt bei Ruth auch in amouröser Hinsicht etwas ins Wanken. In Gesprächen mit ihrer Ziehtochter Jenny geht es immer wieder um die Frage, wie die umstrittenen Aktionen der "Letzten Generation" zu bewerten sind.

Woelk enthält sich jedes Urteils, sondern spürt seinen einzelnen Figuren, ob älter oder jünger, in all ihrer Brüchig- und auch Widersprüchlichkeit nach. Als Klimaaktivisten hätten sie sich damals nicht bezeichnet, so Woelk. Seinerzeit sei die Anti-Atomkraft-Bewegung mit den Protesten in Gorleben und Wackersdorf ein großes Thema gewesen, überhaupt die Energieerzeugung. "Das ist uns ja bis heute geblieben. Die Leiche im Keller meiner Protagonistin ist der nie aufgeklärte Anschlag auf einen Strommast, den sie zusammen mit Stav verübt hat in den 80er-Jahren. Damals gab es tatsächlich eine Zeit lang sehr viele Strommasten, die aus Protest abgesägt wurden."

Wie man moralisches Kapital zerstört

Im Grunde verhandelt Woelks Roman ein ähnliches Thema wie der schwedische Humanökologe Andreas Malm in seinem unlängst verfilmten Manifest "Wie man eine Pipeline in die Luft jagt" ."Das moralische Kapital, das die Klimagerechtigkeitsbewegung über die Jahre hinweg angehäuft hat, könnte mit einem Schlag entwertet oder zunichte gemacht werden", schrieb Malm 2021 mit Blick auf mögliche Sachbeschädigungen der Klimaaktivisten. Woelk lässt eine seiner Figuren, den mittlerweile 94-jährigen Altlinken Noam Chomsky zitieren: "Jeder vernünftige Mensch wird zugeben, dass es im Prinzip Umstände gibt, unter denen ziviler Widerstand und sogar Sabotage legitim sind."

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In Ulrich Woelks Roman "Mittsommertage" steht die "Letzte Generation" im Zentrum

Diesen Satz unterschreibe er unbedingt, so Woelk im Gespräch: "Und das Erstaunliche ist: Der steht sogar im Grundgesetz. In Artikel 20 Absatz 4 heißt es, dass jeder Deutsche das Recht zum Widerstand hat, sofern jemand unsere verfassungsmäßige Ordnung, also die Demokratie abschaffen möchte."

Der moralische Konflikt, in den seine Heldin gerate, sei die Frage: Ist der Braunkohletagebau eine Gefahr für unsere Demokratie, sodass 'Ende Gelände' ihn stürmen darf? Ist der morgendliche Straßenverkehr mit den Kohlendioxid-Emissionen der Autos eine Bedrohung unserer Staatsform? Die rechtliche Absicherung eines solchen Sabotage-Aktes sei natürlich nicht gegeben für die Durchsetzung partikularer politischer Interessen."

Woelk betont, dass er als Autor gar nicht entscheiden, sondern vielmehr den Konflikt darstellen wolle, in dem seine Heldin steht.

  • Zum Artikel: So kann man die Aktionen der "Letzten Generation" auch sehen

Klimaproteste damals und heute

"Kein Wert kann höher eingestuft werden als das Überleben der Menschheit, auch die Demokratie nicht", so hat es Ruth Lember mit jugendlichem Furor in einem nie abgesandten Bekennerschreiben formuliert. Das erinnert in seiner Absolutheit an die Äußerungen heutiger Klimaaktivisten, die Zweifel anmelden daran, dass sich die Klimakrise im demokratischen Verfahren wird lösen lassen.

Jüngere Klimakleber werden aus Ulrich Woelks Roman lernen, dass es schon Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre das berühmte Greenpeace-Plakat von Klaus Staeck gab ("Alle reden vom Klima. Wir ruinieren es"), mit den fahndungsartig fotografierten Gesichtern der Vorstandsvorsitzenden von Hoechst und Kali-Chemie darauf.

Waren diese Plakatklebeaktionen zielführendere Protestformen als die, welche die "Letzte Generation" heute wählt und ein Großteil der Bevölkerung ablehnt? Woelk will auch das nicht entscheiden, betont aber, dass es hier wie da gelungen sei, Aufmerksamkeit für das hehre Anliegen Klimaschutz zu schaffen. "Mittsommertage" lebt von starken Dialogen und einer perfekt konstruierten Geschichte. Wäre es keine Phrase, so müsste man sagen: das Buch der Stunde.

Ulrich Woelk: "Mittsommertage". Roman. C.H. Beck.

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