Porträt des holländischen Theatermachers
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Regisseur Walter Bart

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"Kritik schafft sich ab": Hundekot-Attacke jetzt auf der Bühne

Im Februar war es ein bundesweiter Aufreger: Der Hannoveraner Ballettchef Marco Goecke hatte eine ihm unliebsame Kritikerin mit Hundekot beschmiert. Jetzt will das Theaterhaus in Jena den Vorfall auf die Bühne bringen - als "Mockumentary".

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Wahrscheinlich wird das eher eine Medien- als eine Tanzsatire: Das Theaterhaus Jena hat sich entschlossen, den Wirbel um die schlagzeilenträchtige "Hundekot-Attacke" für die Bühne aufzubereiten, wie der holländische Regisseur Walter Bart dem BR mitteilte. Anlass ist der Wutanfall des bekannten Choreographen Marco Goecke, der die Tanzkritikerin Wiebke Hüster im vergangenen Februar beschuldigt hatte, ihn mit "schlimmen persönlichen" Verrissen zu verfolgen. Daraufhin beschmierte der Dackel-Besitzer die Berichterstatterin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" bei einer Begegnung im Staatstheater Hannover unvermittelt mit den Exkrementen seines Hundes. Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt wegen "einfacher Körperverletzung und Beleidigung", der Täter bereute nach anfänglichen Ausflüchten den Übergriff und begründete ihn mit einer psychischen Ausnahmesituation, einem "Burn-Out".

"Es gab keinerlei Zwischentöne"

Das Theaterhaus in Jena mache grundsätzlich keine "klassischen Stoffe", sondern entwickle seine Stücke selbst, erklärt Walter Bart sein Projekt: "Wir dachten am Anfang eigentlich, dass das keine gute Idee ist, darüber einen Theaterabend zu machen. Vielleicht hatten wir auch ein bisschen Angst davor. Aber dann kamen wir doch zu diesem Thema zurück. Es hat uns sozusagen nicht losgelassen. Wir haben auch gemerkt, dass wir untereinander dazu soviel Redebedarf hatten, dass wir uns gesagt haben, ja, dann könnte das wohl ein gutes Stück werden." Dabei kreisten die Gedanken des Produktionsteams in erster Linie um die Frage, wie Medien funktionieren: "Es gab keinerlei Zwischentöne und ich glaube, Theater ist dafür genau der richtige Raum, dort hat man mehr Zeit, darüber nachzudenken."

Kunst und "Medien"-Realität kommen sich dabei ungewöhnlich nah. Die Handlung des Stücks beschreibt Walter Bart so: "Ein fiktives Theaterensemble versucht in der Thüringer Provinz den Vorfall auf die Bühne zu bringen, um überregional mehr Aufmerksamkeit zu erhalten. Es ist ja verrückt, wie das funktioniert hat. Zum Beispiel, wie die Überschrift der entsprechenden dpa-Meldung ('Hundekot-Attacke als Stoff für Theater-Mockumentary') das Thema in die Medien bringt. Dort ist ja von 'Mockumentary' die Rede." Er sei sich selbst zwar nicht sicher, ob mit dem Begriff sein Theaterprojekt zutreffend zusammengefasst sei, so Walter Bart lachend gegenüber dem BR, aber jetzt sei die Bezeichnung nun mal in der Welt: "Die Medien erzeugen ja ihre eigene Realität."

Kritik an Sterne-Bewertung für Theater-Premieren

In der Story komme es während der Proben zu "Reibungen" innerhalb des Teams, das zunehmend Angst davor bekomme, selbst medialen Angriffen ausgesetzt zu werden: "Sie geraten in einen Streit, der das Kollektiv zu sprengen droht." Für eine Satire sei die Handlung eigentlich zu ernst, schließlich gehe es um "große Gefühle", um sehr persönliche Wut und Eifersucht, auch um den Umgang von Künstlern untereinander: "Ich verstehe aber, wenn die Leute das als Satire bezeichnen."

Nach seinem eigenen Verhältnis zu Theaterkritikern gefragt, verweist Walter Bart auf das "Sterne"-System bei holländischen Theaterkritiken, wo Premieren mit einem (sehr schlecht) bis fünf Sternen (sehr gut) bewertet würden: "Ihr könnt sehr froh sein, dass es das in Deutschland noch nicht gibt. Die Leser sollen sehr schnell erkennen, wie ein Stück ist. Damit schafft sich die Kritik selbst ab, weil die Leute die Texte nicht mehr lesen. Ich muss sagen, wenn man sehr lange an einem Stück gearbeitet hat und dann nur zwei oder drei Sterne bekommt, dann ist das sehr enttäuschend. Dann bin ich auch oft lange sauer. Ich habe mal mein Zeitungsabo gekündigt und dann ein Jahr eine andere gelesen, weil ich selbst eine schlechte Kritik hatte." Es gebe aber auch Künstler, die sich selbst schützten und gar keine Kritiken mehr läsen.

"Click-Baiting" und Schlagzeilen-Furor

Auf die Frage, ob die eigentliche Hundekot-Attacke in Jena auch auf der Bühne zu sehen sein wird, lacht Walter Bart und erklärt, er suche nach einer "eigenen Form" für die Darstellung: "Dann können die Leute selbst einschätzen, wie wir das machen." Die Dramaturgin des Stücks, Hannah Baumann, hatte gegenüber dpa beteuert, es gehe nicht um eine "Reproduktion" des tatsächlichen Vorfalls. Zur Vorbereitung habe sich das Jenaer Team einen Tanzabend von Marco Goecke angesehen und auch mit Wiebke Hüster Kontakt aufgenommen. Es sei von beiden Seiten "kein Veto" gekommen, habe jedoch auch keinerlei Zusammenarbeit gegeben.

Die Darsteller werden E-Mail-Texte lesen, es soll auch getanzte Passagen geben. Das "Click-Baiting", also das Buhlen um Netz-Aufmerksamkeit, soll ebenso angesprochen werden wie pointierte Schlagzeilen. Letztlich gehe es auch um die "Faszination für die Grenzüberschreitungen von Genies".

In Hannover wollte der geschasste Ballettchef Marco Goecke zum Spielzeitauftakt im September übrigens ursprünglich die Wiederaufnahme seines Stücks "A Wilde Story" begleiten, durfte nach dem Einschreiten des Kulturministers dann jedoch doch nicht das Haus betreten. Es sei noch nicht der "richtige Zeitpunkt", soll Intendantin Laura Berman dpa zufolge gesagt haben. Gleichwohl erfreuen sich die teils preisgekrönten Tanzstücke von Goecke nach wie vor größter Beliebtheit, auch in München.

Uraufführung am Theaterhaus Jena wird am 27. Oktober sein, danach gibt es Vorstellungstermine bis 25. November.

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