Gesungen wurde auch schon 1985 bei Steven Spielberg. Die Geschichte ist seitdem in allen Adaptionen des Romans von Alice Walker dieselbe: Es geht um die Lebensbedingungen afro-amerikanischer Frauen in den Südstaaten der USA, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im ländlichen Georgia nach der Abschaffung der Sklaverei.
Das Buch erzählt von einer Zeit, in der Missbrauch und Inzest zur Lebenswirklichkeit vieler Mädchen gehörten. Die 14-jährige Celie berichtet dem "lieben Gott" in Briefen von ihrem Leben, sie erzählt vom Tod der Mutter, von den Vergewaltigungen durch den Vater, von ihren Schwangerschaften, die sie lakonisch mit "ich bin dick" umschreibt, von den Babys, die sie zur Welt bringt und die der Vater weggibt. Dann wird sie zur Ehe mit einem älteren Witwer gezwungen, den sie nur "Mr." nennt - einen Tyrannen, der sie schlägt, erniedrigt und ebenfalls missbraucht.
Steven Spielberg hatte den Stoff 1985 mit Whoopi Goldberg verfilmt, allzu klischeehaft in der Charakterzeichnung der Figuren, vor allem der Männer, und in den filmischen Tableaus oft arg beschaulich inszeniert. Zwischen der Schilderung von Elend und von weiblicher Emanzipation fand er nie eine wirklich überzeugende Balance, und unterdrückte zudem die lesbischen Momente in der Begegnung Celies mit anderen Frauen. Das war im Musical dann schon anders – und ist es jetzt auch in dessen Verfilmung.
Frisch, neu, zeitgemäß
Der aus Ghana stammende Regisseur und Rapper Blitz Bazawule setzt auf Lebensfreude, Farben und knallige Pop-Momente. Er kombiniert afrikanische Tänze mit Elementen aus der US-Hip-Hop-Kultur, und zeigt Celie weniger als passiv leidende Figur, sondern interpretiert sie aktiver als einen Menschen, der sich zunehmend durchsetzt, zu sich selbst findet und am Ende triumphiert. Im Gegensatz zu Spielberg betont er den Stolz auf eine durchaus zeitgemäße Blackness – und koppelt die historische Verortung samt adretten Südstaatenkulissen mit surrealen Fantasiesequenzen, etwa einer Traumszene, bei der sich auf einem riesigen Grammophon eine Badewanne dreht, in der Celie mit der befreundeten Sängerin Shug Avery erotische Energie entwickelt.
Mehr Selbstermächtigung als bei Spielberg ...
Zu Beginn geht die Mischung aus bunten Tanzeinlagen gepaart mit der dramatischen Geschichte über Missbrauch nicht recht auf. Die glatten, auf Effekt hin inszenierten Songs samt den etwas einfallslosen Choreografien wollen sich nicht recht verbinden mit Elend und Unterdrückung. Doch mit zunehmender Dauer, auch aufgrund des famosen Darstellerensembles rund um die R'n'B-Sängerin Fantasia Barrino als die erwachsene Celie, kriegt Blitz Bazawule die Kurve zu einer berührenden Emanzipationsgeschichte. Da wird dann auch deutlich, warum ihn zuvor schon die Sängerin Beyoncé als einen der Mit-Regisseure ihres Musikfilms "Black Is King" engagierte.
Viel Widerständigkeit liegt in der Musik – und die diffizile Gratwanderung zwischen einem schweren Stoff und einem fetzigen Soundtrack gelingt, weil das Genre Musical in seiner unwirklichen Stilisierung Freiheiten ermöglicht, die sich ein dem Realismus verpflichteter Spielfilm nicht erlauben kann.
Natürlich steuert alles auf ein Happy End zu. Sogar der böse Ehemann von Celie zeigt noch Reue. Ein tönendes Märchen ist das, fern der Realität, und trotzdem erzählt "Die Farbe Lila" am Ende emotional zündend von der Hoffnung aller Frauen, Unterdrückung und sexuelle Gewalt besiegen zu können. Da transzendiert dann die Filmfassung des Musicals das heutige MeToo-Motiv in ein Fest der Lebensfreude und Selbstermächtigung.
Die Farbe Lila - USA 2023, 141 Min., Regie: Blitz Bazawule. Mit Fantasia Barrino, Taraji P. Henson, Danielle Brooks. FSK ab 12,.
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