Noch bevor der Film "Maestro" über Leonard Bernstein Premiere feierte, stand er schon in der Debatte. Der Auslöser: Eine Nase. Die Nase, gab Maskenbildner Kazu Hiro bei den Filmfestspielen in Venedig zu Protokoll, entspreche ziemlich genau dem Original Leonard Bernsteins. Der Vorwurf lautete nun: Jewfacing. Kritisiert wurde, dass Cooper mit seiner künstlichen gewaltigen Nase Stereotype des Jüdischen bediene – vergleichbar mit der umstrittenen Praxis des Blackfacing.
Eine Nase als Streitfall
Einige Kritiker stellten sogar die Frage, ob nicht nur jüdische Schauspieler jüdische Charaktere verkörpern dürften. Das wäre dann freilich das Ende der Schauspielerei, schließlich geht es bei dem Metier, bei allen Grenzen, die nicht überschritten werden sollten, darum, jemand anderen darzustellen, eben auch mithilfe des Maskenbildes. Die Kinder des Dirigenten hatten schon Mitte des vergangenen Jahres erklärt, kein Problem mit dem umstrittenen Zinken zu haben, weil – so schrieben sie – es wahr sei, dass ihr Vater "eine schöne, große Nase hatte".
Nun ist diese also gleich im ersten Bild des Films zu sehen. Äußerlich kommt Bradley Cooper dem US-amerikanischen Dirigenten mit seiner Nasenprothese so tatsächlich ziemlich nahe, die Maske passt. Was aber den inneren Ausdruck betrifft, versucht der Schauspieler, den emotional komplexen Maestro allzu beflissen zu kopieren. Das entwickelt bisweilen etwas Grimassenhaftes.
Das Doppelleben des Leonard Bernstein
Leonard Bernsteins Karriere begann, als er im November 1943 beim New York Philharmonic Orchestra kurzfristig für einen erkrankten Kollegen einspringen musste. Bradley Cooper konzentriert sich dann vor allem auf die Familiengeschichte des Dirigenten, der ein Doppelleben führte: Er liebte Männer, heiratete aber die Schauspielerin Felicia Montealegre. Seltsam oberflächlich und dabei sehr amerikanisch begleitet der Film dieses Leben: Schwule Liebesszenen werden mehr oder weniger vermieden; der Raum, der der von Carey Mulligan großartig gespielten Ehefrau zugestanden wird, ist äußerst beschränkt sowie voller Klischees; und die Visionen des Dirigenten in Bezug auf ein zukünftiges Amerika fehlen komplett – immerhin hatte er 1957 das explosive Immigrantenmusical "West Side Story" mit geschaffen über die ethnischen Konflikte zwischen Puerto-Ricanern und US-Amerikanern. Im Film kommt es nicht vor.
Vielschichtige Künstlerpersönlichkeit
"Maestro" taucht weder in die Musik tiefer ein, noch entwickelt das Drama eine politische Haltung. Bernsteins Leben wird zur austauschbaren Familiengeschichte. Zu wenig, um nun als Oscarfavorit zu gelten. Bradley Cooper ist als Regisseur vor allem bemüht, selbst eine gute Figur zu machen. Schon als Kind träumte er davon, Dirigent zu werden. Nun bekam er die Chance dazu, nachdem Steven Spielberg Cooper zuerst gefragt hatte, ob er die Hauptrolle spielen wolle, und dann selbst von der Regie des Stoffes zurückgetreten war.
Und so kam es dann auch. Bradley Cooper hat sich über Jahre auf seinen größten Moment als Dirigent vorbereitet, wenn er gegen Ende Gustav Mahlers Symphonie Nr. 2 in c-Moll aufführt, die "Auferstehungssymphonie", ein höchst diffiziles Werk mit über 100 Musikern.
Ein filmisches Denkmal
Tage und Wochen wurde der Schauspieler von dem Dirigenten Yannick Nézet-Séguin trainiert, der sagt, man sehe in der Szene die große Leidenschaft Coopers, sich so gut wie möglich vorzubereiten. Es habe dann gewirkt, als sei "Lenny" höchstpersönlich am Pult gestanden.
Ja, vielleicht wäre Lenny sogar gerührt gewesen von diesem Film, der ihn aufwändig feiert. Andererseits erfährt man in diesem Musikspektakel nichts Neues über ihn, schaut vielmehr einem ehrgeizigen Schauspieler zu, der wohl nicht die Offenheit und Neugierde besaß, sich diesem Musiker auf eine Art zu nähern, die ihn tatsächlich lebendig werden lässt. So schaut man in "Maestro" auf ein filmisches, brillant gespieltes Denkmal und weniger auf eine aufregende, widersprüchliche Persönlichkeit, die Bernstein war.
Maestro - USA 2023. 129 Min. Regie: Bradley Cooper. Mit Carey Mulligan & Bradley Cooper.
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