Eine sirenenhafte Stimme tönt einem schon von Weitem vom Haus der Kunst entgegen, Meredith Monk, die große Pionierin der Vokal-Performance, ruft uns herbei. Doch es bleibt nicht beim Sound. Auf einem riesigen LED-Bildschirm im Säulengang vor dem Eingang sehen wir schon das erste Video. Es zeigt den Oberkörper wechselnder Personen, die eine Hand hinter ihrem Rücken hervorziehen und etwas zeigen: eine Maultrommel, ein Stück Koralle, das Foto einer jungen Frau. Wir werden also gerufen – und es gibt auch was zu sehen.
Pionierin der Vokal-Performance
Ein Video im Treppenaufgang zeigt eine Art "Hand-Mandala": Fünf Händepaare greifen von den Rändern aus ins Zentrum des Bildes und formen die unterschiedlichsten Figuren, Herzen, Dreiecke, was man mit seinen Händen eben so machen kann. Alle tun jeweils das Gleiche, aber immer um Sekundenbruchteile versetzt. Als würde man fünf Blätter eines Daumenkinos gleichzeitig sehen. Das Ergebnis sind keine symmetrischen Muster, sondern es ist das Bild voranschreitender Zeit. "Im Vergleich zu ihren Kolleginnen, die rein aus der visuellen Kunst kamen, hatte sie das Empfinden, dass sie als Musikerin anders mit Zeit umgeht und auch anders geschult ist, Zeit als Gestaltungselement mitzudenken, weil natürlich Musik nur in der Zeit existiert", sagt Kuratorin Anna Schneider.
Mehr als nur Stimme
Andere Videoarbeiten sind in Installationen integriert, in denen Bilder, Sound und Dinge zu einer neuen Einheit zusammenfinden. Es gibt Objekte aus Bienenwachs, Kleidung aus Stroh und Installationen aus Steinen, einmal hängen künstliche Schäfchenwolken von der Decke herab. So dinglich und bildhaft das auch alles ist, das Herz von allem ist die menschliche Stimme. Meredith Monks Kompositionen sind Erkundungen der Möglichkeiten von Stimme als Ausdrucksmedium. Vieles ist minimalistisch, manches erinnert an Oberton-Klänge oder an traditionelle Gesänge indigener Völker und Gemeinschaften.
"Ich glaube, dass Singen eine sehr direkte Verbindung zur Quelle der Energie menschlichen Lebens herstellt", sagte Meredith Monk vor vielen Jahren im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. "Singen umgeht den Verstand, weil es nicht erklärt werden muss, es umgeht den Kopf, es ist eine Art von Ekstase – in den wirklich guten Momenten."
Meredith Monk ist praktizierende Buddhistin, Kunst ist für sie gelebte Spiritualität. Ihre Installationen nennt sie "Schreine". In einem dieser Schreine sehen wir die Arbeit "Bloodline": Fünf Bildschirme dicht nebeneinander, jeder zeigt ein anderes Bild: mal die Nahaufnahme eines Mundes, der gerade einen Laut formt, mal ein Auge, das sich öffnet oder schließt, dann wieder eine Nase oder ein Ohr. Dann wechseln die Ansichten, wir sehen MRT-Aufnahmen vom Inneren eines Körpers: Gehirn, Mundraum, Kehlkopf, von oben, von der Seite. Die Bilder sind nicht statisch, sie pulsieren, zeigen immer wieder einen anderen Querschnitt. Meredith Monk legt hier eine Musikalität der Bilder frei, wie man sie sonst nur aus alten Stummfilmen kennt.
Singen als Ekstase
Die Einheit von Gesang, Rhythmus, Körper und Bewegung, die Meredith Monk in nunmehr 60 Schaffensjahren konsequent verfolgt, gründet in ihrer Kindheit, erzählte sie 1992: "Als Kind machte ich beides, Singen und Tanzen. Durch meinen Sehfehler hatte ich Probleme bei der Koordination. Meine Mutter schickte mich zur rhythmischen Gymnastik, dort lernte ich die Musik über den Körper kennen. Diese Dinge waren für mich also nie getrennt."
"Meredith Monk: Calling": Bis 3. März im Haus der Kunst in München. Vom 16. – 18.11. gibt es eine Reihe von Filmvorführungen, außerdem kann man sich in der Ausstellung alle vom Münchner Label ECM veröffentlichten Platten von Meredith Monk anhören.
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