Es gehe nach wie vor quälend zäh voran bei der Rückgabe von NS-Raubkunst, meinen nicht wenige Kritiker - auch, wenn Museen gern das Gegenteil behaupten. Das wurde auch wieder bei einer Experten-Anhörung im Deutschen Bundestag deutlich. "Alles in allem sind wir zu langsam, fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs", so FDP-Politiker Thomas Hacker: "Es ist für viele Menschen das Einzige, was sie noch an die Eltern oder Großeltern erinnert. Deswegen haben wir eigentlich keine Zeit mehr, um zu diskutieren."
"Bisher andere Fragen im Zentrum"
Helge Lindh von der SPD sprach von einem "blinden Fleck" in der Gesetzgebung und forderte, endlich die Interessen der Opfer in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen. Bisher sei die rechtliche Lage leider "asymmetrisch". Einzelpersonen hätten es schwer, in Raubkunst-Angelegenheiten ihr Recht einzuklagen: "Bisher standen, wenn wir ehrlich sind, andere Fragen im Zentrum, etwa Fragen der Organisation, Debatten über Entschädigung, die Situation in den Museen." Es gehe nicht etwa um eine "Wohltat" des Staates gegenüber den Erben und auch nicht nur um "Moral", sondern um deren Eigentumsrecht.
NS-Raubkunst-Experte Rüdiger Mahlo von der "Claims Conference", die sich nach eigener Darstellung um ein "Mindestmaß an Gerechtigkeit" für Holocaust-Überlebende einsetzt, wurde bei der Anhörung im Kulturausschuss sehr deutlich: "Wenn wir so weitermachen wie bisher beim Tempo der Restitutionen, brauchen wir noch circa 300 Jahre, um die 1.800 Gemälde, die derzeit Raubkunst-Verdachtsfälle sind, zu erforschen." Die Erben der ehemaligen Besitzer von geraubter Kunst könnten bisher nicht "proaktiv" ihre Ansprüche einklagen: "Das liegt daran, dass das gesamte Zivilrecht, was ihnen zur Hand steht, jede Art von Rückgabe, jede Art von Gerichtsverfahren, verwehrt, und das sollte geändert werden."
"Erbschein wird zur Schwierigkeit"
Mahlo fordert, dass alle Kunstwerke, die vor 1945 entstanden sind und in Museen präsentiert werden, mit einem Barcode ausgestattet werden, damit sich jeder Besucher über die genaue Herkunft der Werke informieren könne. Der Staat soll nach den Vorstellungen der "Claims Conference" die Provenienz-Forschung aus einem neu zu schaffenden Fonds mitfinanzieren, wenn es sich um mittelpreisige Kunstobjekte zwischen einem Schätzwert von 25.000 und 150.000 Euro in Privatbesitz handelt, denn die Eigentümer ganz teurer Werke könnten sich, wie öffentliche Einrichtungen auch, eigene Untersuchungen leisten.
Rechtsanwalt Christoph Partsch beklagte ein "Wissensdefizit" bei den Erben von NS-Raubkunst. Deshalb müsse ein Anspruch auf "vorbehaltlose" Informationen garantiert werden: "Denn wenn ich erst meinen Erbschein vorlegen muss, um Auskunft zu bekommen, dann kann man sich das Ganze auch sparen. Es wird ja immer schwieriger, weil sich die Familien verzweigen und auf allen Kontinenten sind. Da wird allein die Anforderung eines Erbscheins zur Schwierigkeit." Die rund 25.000 Kunstobjekte in öffentlichem Besitz, die im Verdacht stünden, NS-Raubkunst zu sein, sollten "natürlich vorrangig zurückgegeben werden".
"Wir brauchen Verbesserung zu Gunsten der Opfer"
Partsch möchte "sanften Druck" ausüben, um die Rückgabe von Werken auch aus Privatbesitz zu beschleunigen, auch mit einer entsprechenden Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches, etwa bei den Verjährungsregeln: "Wir brauchen eine Verbesserung zu Gunsten der Opfer. Damit eine Ersitzung [Erwerb des Eigentums an einer Sache nach einer bestimmten Besitzzeit, Anm. d. Red.] für die Zukunft ausgeschlossen wird, damit bei bestimmten Sachverhalten eine Beweislastumkehr eingeführt wird, damit die Ersitzung nur bei Gutgläubigkeit stattfindet."
Hermann Parzinger von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sagte, er sei gar nicht gegen eine gesetzliche Neuregelung, "wenn sie gut gemacht" sei. Allerdings komme es schon darauf an, die Herkunft strittiger Objekte gründlich aufzuklären: "Das heißt, keine Provenienz-Forschung ad infinitum, sondern zu versuchen, den Werdegang der Objekte in angemessener Zeit zu rekonstruieren." Im Übrigen sei es "zivilrechtlich schwierig", das Tempo der Aufklärung bei Privatbesitzern zu beschleunigen.
"Unglaublich viel läuft geräuschlos"
Parzinger deutete an, dass eine Debatte über eine gesetzliche Neuregelung langwierig sein werde. Er mache die "Erfahrung, dass in unglaublich vielen Fällen alles geräuschlos" laufe: "Man müsste mal hochrechnen, was bereits restituiert worden ist. Dass das im Vergleich zum Unrecht und den Verlusten immer noch wenig ist, will ich gar nicht außer Frage stellen. Aber ich glaube, die Kultureinrichtungen wissen, was ihr Auftrag, ihre moralische Verpflichtung ist."
Marion Ackermann von der Kunstsammlung Dresden sprach sich für eine "absolute Beschleunigung" aus, sowie das "Ausreizen aller untergesetzlichen Regelungen". Sie verwies gleichzeitig darauf, dass Privatbesitzer häufig nicht Werke erstrangiger Künstler in ihren Sammlungen hätten, wenngleich natürlich auch diese Fälle wichtig seien: "Wir haben festgestellt, dass es für die Vertreter der Opfer aus allen Ländern extrem aufwändig und teuer ist, die zuständige Kommission anzurufen. Wir unterstützen, dass hier Erleichterungen auf den Weg gebracht werden."
"Wir arbeiten daran"
Das Fazit von Andreas Görgen, dem Ministerialdirektor bei der Bundeskulturstaatsministerin Claudia Roth, zu den vielfältigen Problemen der Rückgabe-Debatte: "Wir arbeiten daran." Am kommenden Mittwoch wollen Bund und Länder bei einem Spitzentreffen die Weichen neu stellen, um die Aufarbeitung von NS-Raubkunstfällen zu beschleunigen.
Relativ einhellig befürwortet wird eine Änderung bei der "Beratenden Kommission", die von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden 2003 für die Beilegung von Raubkunst-Streitfällen eingerichtet wurde. Bisher müssen beide Konfliktparteien zustimmen, bevor die Experten ein - rechtlich nicht bindendes - Gutachten abgeben dürfen. Künftig soll der Auftrag auch von einer Seite allein erteilt werden können.
Die Juristin Agnes Peresztegi fragte sich und ihre Zuhörer, ob die bisher nötige Zweidrittel-Mehrheit für Empfehlungen unbedingt beibehalten werden müsse. Außerdem sei die Zusammensetzung der zehnköpfigen, ehrenamtlich tätigen Kommission nicht "transparent" genug. In der einschlägigen Vorschrift heißt es: "Die Kommissionsmitglieder werden von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und der Medien im Einvernehmen mit der Kultusministerkonferenz und den kommunalen Spitzenverbänden für eine Zeitdauer von zehn Jahren (bei Neuberufung) berufen."
Neuer Ärger um Picassos "Madame Soler"?
Unterdessen heißt es im neuesten Jahresbericht des Verbunds Provenienzforschung Bayern, im Jahr 2022 seien insgesamt 61 Kunstgegenstände an die Nachfahren vormaliger Eigentümer zurückerstattet worden, darunter Gemälde, Bücher und Silberobjekte. Kunstminister Markus Blume sagte, derartige Forschung sei der "Schlüssel zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Vergangenheit".
Allerdings muss sich der Freistaat im Zuge der Raubkunst-Debatte womöglich auf neue unangenehme Schlagzeilen im Fall des Bildes "Madame Soler", einem Frühwerk von Pablo Picasso aus dem Jahr 1903, einstellen. Der Besitzerstreit tobt seit zwanzig Jahren, die Beweislage ist kompliziert und hoch umstritten. Der Freistaat lehnte eine Rückgabe des Objekts im Millionen-Wert an die 29-köpfige Erbengemeinschaft ab, weil er das Bild 1964 "rechtmäßig" erworben habe. Der Anrufung der erwähnten Kommission stimmte die Bayerische Staatsgemäldesammlung deshalb bisher nicht zu. Sollte ein Verfahren nur auf Wunsch der einklagenden Erben möglich werden, würde der Fall neu aufgerollt.
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