Die Brisanz ist offensichtlich: Eine Liste von 200 hochkarätigen Kunstwerken aus den Beständen der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen wurde in dieser Woche der "Süddeutschen Zeitung" zugespielt, die heute darüber berichtete [externer Link]. Darauf zu finden sind Werke, die unter dem Verdacht stehen, während der Nazizeit jüdischen Sammlerinnen und Sammlern geraubt worden zu sein - darunter Werke von Max Beckmann, Paul Klee und Pablo Picasso. Gekennzeichnet mit einer roten Ampel durch die museumseigene Herkunftsforschung. Was bedeutet, dass es sich mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit um NS-Raubkunst handelt.
Das Bayerische Staatsministerium für Kunst und Wissenschaft verweist auf BR-Nachfrage auf die Zuständigkeit der Pinakotheken in München. Und von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen kommt folgendes Statement per Mail: "Wir weisen die Darstellungen der Süddeutschen Zeitung aufs schärfste zurück. Sie sind fehlerhaft und entsprechen nicht der Wahrheit." Mit "roten Ampeln des Raubkunstverdachts" seien alle Werke verzeichnet, für die es Ansprüche einer anderen Partei gäbe. Also nicht aufgrund eigener Verdachtsmomente. Außerdem wird darauf verwiesen, dass die Provenienz, die Herkunft aller Objekte seit 2022 online gestellt ist.
Wem gehörten die Werke von Klee und Beckmann?
Wer etwa auf der Website der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen für Paul Klees Gemälde "Grenzen des Verstandes" nachschaut, das in dem Papier, das der "Süddeutschen Zeitung" vorliegt, erwähnt wird, der findet den Verweis: "1971 als Vermächtnis von Theodor und Woty Werner erworben." Die Werners waren zwei selbst in der Nazizeit verfolgte Künstler, die in der Nachkriegszeit so viel vormals als entartet diffamierte Kunst gesammelt haben, wie sie konnten, um diese für Deutschland zu retten. Das Gleiche gilt für den Galeristen Günther Franke, mit dessen Stiftung die Werke von Max Beckmann 1974 an die Staatsgemäldesammlungen gegangen sind.
Aber wem gehörten das Gemälde von Paul Klee und die Beckmanns vorher, die nun auch in dem Papier auftauchen? Darüber gibt die Website der Pinakotheken leider keine Auskunft. So drehen sich in Bayern viele Verdachtsfälle für Nazi-Raubkunst seit Jahrzehnten immer wieder im Kreis.
Streit um "Madame Soler"
Der berühmteste Fall: Pablo Picassos "Madame Soler", ein wertvolles Gemälde aus der Blauen Periode des Meisters. Hierzu steht im Netz: "1964 als Ankauf von J.K. Thannhauser erworben". Einem in den USA agierenden Galeristen deutscher Herkunft. Doch davor gehörte die "Madame Soler" dem jüdischen Berliner Bankier Paul von Mendelssohn-Bartholdy.
Bayern weigerte sich viele Jahre, deswegen das einzige bis 2024 dafür zuständige juristische Organ, die sogenannte Beratende Kommission, die Limbach-Kommission, in Magdeburg einzuberufen. Erben von Mendelssohn-Bartholdy wie Julius Schoeps hatten keine Chance auf eine Klärung, weil die Limbach-Kommission nur tätig wurde, wenn beide Seiten damit einverstanden waren. Schoeps argumentiert bis heute verzweifelt: "Aus meiner Sicht handelt es sich eindeutig um NS-verfolgt entzogenes Kulturgut. Darunter wird rechtlich nicht nur die Wegnahme oder Beschlagnahme von Eigentum durch die NS-Behörden gefasst, sondern auch, und das ist jetzt wichtig, die Weggabe aus Verfolgungsgründen."
Einrichtung einer Schiedsgerichtsbarkeit
Inzwischen hätten Julius Schoeps und die anderen Opfererben sogar bessere Chancen auf eine Verhandlung. Denn mit der Einrichtung einer gemeinsamen Schiedsgerichtsbarkeit durch Bund, Länder, Kommunen und Opfervertreter, soll es nun möglich sein, dass die gerichtliche Klärung solcher Fragen auch nur von einer Seite der Streitparteien einberufen werden kann - bislang hatten die Forderungen der Erben keine Chance, wenn sich die Museen nicht am Verfahren beteiligen wollten. So wie es die heute veröffentlichte Liste aus den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen nahelegt, wären das 200 anstehende Schiedsgerichts-Verhandlungen. Das Problem ist aber: Die projektierten Schiedsgerichte sind noch gar nicht installiert. Und so steht nun der Vorwurf im Raum, dass die Öffentlichkeit über die 200 Verdachtsfälle mutmaßlich getäuscht wurde.
Die Aufklärung muss eigentlich sofort beginnen
Sophie Schönberger, Expertin für Provenienzrecherche an der Universität Düsseldorf, hat ihre eigenen Vermutungen zu dieser Politik der Verschweigens: "Es ist eben möglicherweise auch ein Grund, dass da die Fronten sehr stark verhärtet sind und eben sehr stark auch mit Anwälten konflikthaft die Auseinandersetzung gesucht wird. Und dann die Staatsgemäldesammlung sagt, wir wollen jetzt nicht auch noch mit unseren Unterlagen die Gegenseite munitionieren in diesem Streit."
Bis 2026 die Raubkunst-Schiedsgerichte zu arbeiten beginnen, steht jetzt weiter ein schwerwiegender Verdacht im Raum: Die Aufklärung muss eigentlich sofort beginnen – Fall für Fall.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!