Es dürfte eine der interessantesten Fragen sein, die dieses Jahr im Kino gestellt wird: Was will ein Lama, also ein für friedliches Miteinander stehender Lehrmeister des Buddhismus, mit einem Gewehr? Genau genommen: mit zwei Gewehren? Darüber irritiert ist nicht nur Tashi, der junge Mönch, der sie besorgen soll, jedoch noch nie in seinem Leben eine Schusswaffe gesehen, geschweige denn in Händen gehalten hat. Vom Lama bekommt er nur die Antwort: "Unser Land, es verändert sich. Die Dinge müssen wieder in Ordnung kommen. Es herrscht großes Chaos."
Der Mönch begibt sich in eine dubiose Zivilisation
Konkreter wird es erstmal nicht, aber Tashi genügen die kryptischen Worte als Argument, um sein abgelegenes Bergkloster im Himalaya zu verlassen und den Wunsch seines spirituellen Vorgesetzten zu erfüllen. Je näher er der Stadt kommt, desto dubioser werden die Ausläufer der Zivilisation. Und desto schicksalsträchtiger werden seine Bekanntschaften – sei es ein zwielichtiger amerikanischer Waffenhändler oder jener britische Leinwandheld mit der Lizenz zum Töten, der fleißig mit all den Exportschlagern herumfuchtelt, die Tashi sucht.
Sanfter, aber bestimmter Humor
Dieses wundersame und stetige Aufeinanderprallen von scheinbar naiver Tradition und potentiell destruktiver Moderne ist die Basis von "Was will der Lama mit dem Gewehr?" - einer Politsatire aus Bhutan, deren Humor so sanft, aber bestimmt ist wie das Lächeln des Dalai Lama.
Wie schon in seinem für den Oscar nominierten Regiedebüt "Lunana" beschäftigt sich Filmemacher Pawo Choyning Dorji mit den Auswirkungen moderner Errungenschaften auf sein Heimatland. Diesmal geht es um die Einführung demokratischer Wahlen, die 2008 erstmals in Bhutan abgehalten wurden. Der König selbst hatte die konstitutionelle Monarchie abgeschafft und aus freien Stücken abgedankt. Vor allem die ländliche Bevölkerung reagierte mit Skepsis und befürchtete eher Rück- als Fortschritte.
Wenn die Macht aus dem Gleichgewicht gerät
In vier Handlungssträngen, die langsam miteinander verwoben werden, beleuchtet der Film, wie die Machtverlagerung selbst ein Land aus dem Gleichgewicht bringen kann, in dem das sogenannte "Bruttonationalglück" statistisch erhoben wird. Kapitalismus unterwandert Gottvertrauen, Familien und Nachbarn zerstreiten sich, Wahlhelfer lassen sich von internationalen Medien unter Druck setzen. Auch wenn die meisten von ihnen nur Gutes im Sinn haben: Dass der unbedingte Wille zur Modernisierung eines Landes sowohl positive als auch negative Effekte hat, gehört zur Natur der Dinge.
Aber Spaltung, so die Botschaft dieses meditativ-kritischen Films, kann überwunden werden. Das charmante Ende, in dem das Ansinnen des Lamas schlussendlich aufgelöst wird, transportiert die Hoffnung, dass Einheit keine Utopie ist. Auch wenn Bhutan auf der politischen Weltkarte unbedeutend sein mag: Selbst die größten Nationen können von der jüngsten Demokratie der Erde noch so einiges lernen. Sie müssen nur wollen.
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