Ein Blick auf einige Porträtfotos Erich Kästners. Sie gehören zum Archivbestand des Deutschen Literaturarchivs Marbach.
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Fotos von Schriftsteller Erich Kästner

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"Der doppelte Erich": Erich Kästner im Dritten Reich

"Der doppelte Erich": Erich Kästner im Dritten Reich

Am 23. Februar vor 125 Jahren ist Erich Kästner geboren - immer noch ein überaus populärer Kinderbuchautor. Kästner publizierte im "Dritten Reich" in Deutschland weiter. Wie er im Nationalsozialismus agierte zeigt das Buch: "Der doppelte Erich".

Über dieses Thema berichtet: Die Kultur am .

Marcel Reich-Ranicki erzählt in seiner Autobiographie "Mein Leben" davon, wie er im Warschauer Ghetto auf Erich Kästners Gedichte stieß, genauer gesagt: auf "Dr. Erich Kästners Lyrische Hausapotheke", erschienen 1936 in Zürich. Da Reich-Ranicki im Ghetto kein eigenes Exemplar erwerben konnte, schrieb seine spätere Frau Teofila für ihn die darin enthaltene Poesie ab und illustrierte sie.

Marcel Reich-Ranicki, der von den Nazis verfolgte und nur knapp dem Tod entronnene Jude, hat später in seinen Memoiren über Kästner geschrieben: "In der Zeit von 1933 bis 1945 hatte er, der Mann zwischen den Stühlen, sich klar entschieden. Nicht er war emigriert, doch waren es seine Bücher – sie konnten damals nur in der Schweiz erscheinen. Erich Kästner war Deutschlands Exilschriftsteller honoris causa." Diese literaturpäpstliche Lossprechung "Exilschriftsteller ehrenhalber" ist eine Ehrenrettung, die einem einfällt bei Tobias Lehmkuhls Buch "Der doppelte Erich. Kästner im Dritten Reich", das es sich mit der Bewertung der ambivalenten Rolle des Autors nicht so einfach macht.

Sänger zwischen den Stühlen

Tobias Lehmkuhl, 1974 geborener Literaturkritiker und Autor, untersucht darin das Verhalten Kästners in den Jahren 1933 bis 1945. Reich-Ranickis Anspielung auf den 1932 erschienen Gedichtband "Gesang zwischen den Stühlen" gefällt ihm, "weil er wirklich zwischen den Stühlen saß, das passt genau auf den Erich Kästner in der Zeit des Dritten Reichs". Dann aber widerspricht Lehmkuhl Reich-Ranicki: "Kästner hat sich eben nicht klar entschieden, er lavierte zwischen den verschiedenen Positionen herum und hat versucht, sich durchzuschlagen und durchzuschlängeln." Kästners doppeltes Spiel, sein "Maskenspiel" war für den "Überlebenskünstler" (Hans Magnus Enzensberger) Kästner geradezu seine Überlebensstrategie.

Lehmkuhl porträtiert den hochproduktiven Betreiber einer "kleinen Vers-Fabrik" als Mann mit Geschick und Geschäftssinn, der als Medienstar sehr viel Geld verdiente. 1933 nach der Machtergreifung (Lehmkuhl schreibt stattdessen von der "Machtübergabe") ging Kästner schon deshalb nicht ins Exil nach der öffentlichen Verbrennung seiner Bücher durch die Nazis am 10. Mai in Berlin, weil er sich zu dieser Zeit auf dem Zenit seines Ruhms befand.

Diese Berühmtheit bot ihm Schutz. Sein Kollege Carl Zuckmayer hielt 1943 in seinem "Geheimreport" für den amerikanischen Auslandsgeheimdienst über Kästner fest: "Ein Nazi ist er bestimmt nie geworden, auch nicht zum Schein." Und weiter: "Über sein Verbleiben in Deutschland – und über die Tatsache, dass es ihm möglich war, ohne von den Nazis eingesperrt zu werden – ist viel diskutiert worden." Nur zwei Mal wurde Kästner in der Zeit bis 1945 von der Gestapo verhört, beide Male ergebnis- und folgenlos. Bis in die späten dreißiger Jahre konnten seine im Ausland gedruckten Bücher in Deutschland ver- und gekauft werden, erst spät ereilte ihn ein totales Publikationsverbot. Offenen Widerstand gegen das NS-Regime leistete Kästner nie, er bewarb sich stattdessen um die Mitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer, diese wurde ihm 1942 auch zunächst per Sondererlaubnis erteilt, bis Adolf Hitler sie persönlich widerrief.

Kein innerer Emigrant

Da liegt es nahe, Kästner der "inneren Emigration" zuzurechnen – ein Begriff, den Thomas Mann in seinem Tagebuch am 7. November 1933 geprägt hatte. Doch für Lehmkuhl war Kästner kein innerer Emigrant, wie er im Gespräch erläutert: "Das ist ja ein ganz seltsamer Begriff, der so nach Innerlichkeit und nach Zurückgezogenheit klingt. Kästner war aber überhaupt nicht zurückgezogen, im Gegenteil: Er hat sich ja jeden Tag ins Café Leon am Kurfürstendamm gesetzt, und wenn’s Wetter schön war und die Sonne schien, möglichst auch draußen hin, um seine Bräune zu pflegen." Er habe in dieser Öffentlichkeit seine Lustspiele und Unterhaltungsromane geschrieben und mit vielen Menschen sich getroffen. Er sei sozusagen immer sofort greifbar gewesen, und das habe ihn vielleicht auch ein Stück weit unangreifbar gemacht, weil man habe ja gesehen, dass er nichts Verdächtiges unternahm, dass er dort nur schrieb und trank – und daneben fleißig Tennis spielte und als homme à femmes zahlreiche Affären pflegte.

Warum er nicht emigrierte, begründete Kästner später zum einen mit seiner engen Bindung an seine in Dresden lebende und unter Depressionen leidende Mutter Ida Kästner: "Er wollte seine Mutter nicht verlassen, sie schrieben sich täglich", so Lehmkuhl gegenüber dem BR, "und Kästner meinte, sie würde es praktisch nicht überleben, würde er exilieren. Er hatte sie als Kind schon mehrfach vor dem Selbstmord gerettet, das war eine sehr komplexe und sehr innige Beziehung, da ist sicherlich einiges dran." Zum anderen behauptete Kästner oft, er hätte als Beobachter bleiben wollen, um den Roman des Dritten Reichs zu schreiben. Das freilich hat er nie getan. Nach dem Krieg veröffentlichte er nur sein überarbeitetes Tagebuch "Notabene 45" über den Zusammenbruch des Dritten Reichs.

Ein Moralist, kein Umstürzler

Tobias Lehmkuhl maßt sich als Nachgeborener kein definitives Urteil über Erich Kästners Verhalten während der NS-Zeit an. Lieber zeigt er es in all seiner Ambiguität. "Im Grunde war Kästner kein Kämpfer", konstatiert er, eher ein Spieler und ein Moralist. Der lieber Epigramme verfasste wie "Es gibt nichts Gutes, außer: / Man tut es" statt politisch zu handeln. Und der kurz vor Beginn der Nazi-Diktatur seinem Roman "Fabian" den Untertitel "Geschichte eines Moralisten" gab. Für Tobias Lehmkuhl besteht gerade in Kästners passivem Beobachtertum seine "Moralistik": "Er wurde weder zum Helden noch zum Täter oder Widerständler, weil seine Aufgabe ja eine andere war. Jeder Mensch hat sein eigenes Naturell, und das Naturell Kästners war eben des Moralisten, des möglichst unbeteiligten Beobachters. Aber einen ganz unbeteiligten Beobachter gibt‘s ja nie."

Das trifft sich mit einer sehr frühen, luziden Kästner-Kritik seines Kollegen bei der "Weltbühne", Rudolf Arnheim, die Lehmkuhl in seinem gründlich recherchierten Buch zitiert: "Er ist von Temperaments wegen kein Umstürzler." Genauso wenig war er ein tumber Mitläufer, da mochte ihn Klaus Mann im Exil 1934 noch so sehr den "Humoristen großen Stils" als "unseren schlauen Jungen" verspotten – was für Lehmkuhl eine reine Retourkutsche ist: Kästner hatte Klaus Mann im "Leipziger Tageblatt" 1925 kräftig verrissen, jetzt bekam erʼs zurück. Bemerkenswert bleibt, dass Kästner sich nachträglich nie zum Widerstandskämpfer stilisierte. In seiner Dankesrede zum Georg-Büchner-Preis hat er 1957 rückblickend über sich in der dritten Person gesagt: "Mit dem Schicksal der meisten anderen 'unerwünschten' Autoren verglichen, war das seinige ein Kinderspiel! Ihre Literaturpreise bestanden in Verfolgung und Verbot. Ihre Diplome lauteten auf Ausbürgerung. Ihre Akademien waren das Zuchthaus und das Konzentrationslager."

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Buchcover: Tobias Lehmkuhl. "Der doppelte Erich"

Sachlich bis in die Fingerspitzen

"Sachliche Romanze" heißt eines von Kästners berühmten Gedichten. Diese kühle Sachlichkeit, diese "emotionale Distanz", den "kalten Blick", Lehmkuhl nennt es auch seinen "Eispanzer", behielt er auch bei, als er in seinem Tagebuch, dem Blauen Buch, über die Gräuel der Nazis schrieb. Da liegt der Gedanke nahe, dass sie ihn, da er sie so scheinbar ohne jede Empathie und "innere Beteiligung" verzeichnet, kaltgelassen haben könnten. Das glaubt Lehmkuhl nicht: "Man kann vermuten, dass er sich ganz sachliche Notizen machte, weil er ja um die Gefühle wusste, die er zum Zeitpunkt der Niederschrift hatte. Aber für uns als heutige Leser ist das Jahrzehnte später immer wieder irritierend und auch unbefriedigend."

Zeitgenossen beschrieben Kästner als Menschen von "knochentrockener Sachlichkeit", "die einzig durch sein leicht mokantes Sächsisch aufgeweicht wurde". Wer sich alte Fernseh-Interviews mit ihm ansieht, den weht auch hier Kästners Kühle an. 1965 etwa wurde er im WDR befragt zur neuerlichen öffentlichen Verbrennung seiner Bücher durch einen "Jugendbund für Entschiedenes Christentum" in Düsseldorf – eine Aktion, die übrigens genehmigt war von der Stadtverwaltung. Neben Vladimir Nabokovs "Lolita" und der "Blechtrommel" von Günter Grass wurde dort u.a. auch Erich Kästners Gedichtband "Herz auf Taille" verbrannt. Kästner, der allen Grund zur Empörung gehabt hätte, spricht von diesem Autodafé fast aberwitzig um Sachlichkeit bemüht von "einer Methode, die innerhalb einer Demokratie nicht möglich ist, weil es einfach eine anarchistische, eine terroristische Methode ist". In seiner Kühle trifft er sich hier fast mit seinem literarischen Kontrahenten Gottfried Benn – auch über das Verhältnis Benn-Kästner kann Tobias Lehmkuhl in diesem informativen Buch Lesenswertes berichten.

Tobias Lehmkuhl: "Der doppelte Erich. Kästner im Dritten Reich".

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