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"Unerwartet ungünstige Lage": Putin ist von Krisen "umstellt"

"Unerwartet ungünstige Lage": Putin ist von Krisen "umstellt"

Außenpolitische Unwägbarkeiten in Georgien und Syrien sowie ein Misstrauen gegenüber vermeintlichen Verbündeten sorgen nicht nur in Moskau für aufgeregte Reaktionen: "Für Russland sind das unangenehme Ereignisse an vielen Orten gleichzeitig."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

💡 Peter Jungblut beobachtet für BR24 Kultur die Debatten hinter den Meldungen rund um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dazu verfolgt er russische Medien, Telegram-Kanäle und Social Media, und wertet die Einschätzungen / Stimmen dort dazu feuilletonistisch aus und ordnet ein. So zeigen wir, wie Millionen Menschen innerhalb der russischsprachigen Welt über die Ereignisse diskutieren.

"Russland wird offensichtlich gerade klar gemacht, dass die Ukraine nur Teil eines Eisbergs ist, und dass es andere Bereiche gibt, die auch ziemlich schmerzhaft sind", so der prominente russische Kolumnist Dmitri Drise (externer Link) vom Wirtschaftsblatt "Kommersant". Er zeigt sich unangenehm überrascht, dass Putins außenpolitische Situation "völlig unerwartet nicht mehr günstig" sei.

"Scheitern multipliziert mit Scham"

Innerhalb von nur einer Woche habe sich die Lage aus Sicht des Kremls an mehreren Orten gleichzeitig verschlechtert, nämlich in Syrien, in Georgien, aber auch in Moldawien und in Abchasien: "Was wahrscheinlich am unangenehmsten ist: Diejenigen, die als unsere Partner galten, hielten 'Überraschungen' bereit, und zwar problematische. Zunächst einmal – die Türkei."

Ein Blogger mit 321.000 Fans trägt sich schon ins Kondolenzbuch ein (externer Link): "Genossen, das ist nicht einmal eine Bestandsaufnahme, sondern der Grabstein der russischen Außenpolitik. Scheitern multipliziert mit Scham." Politologe Juri Barantschik sieht Russland seit Jahrhunderten zerrissen zwischen Ost und West und neuerdings auch vom globalen Süden gebeutelt. Sein unfreiwillig komischer Rat: "Sobald wir beginnen zu verstehen, dass unsere geopolitische Position der Norden ist, wird unsere gesamte innere Ideologie sehr schnell in Ordnung kommen."

In Syrien sieht sich der von Russland gestützte Diktator Assad einer mutmaßlich von der Türkei geförderten Offensive von Dschihadisten ausgesetzt. In Georgien verschärfen sich die Unruhen gegen eine russlandfreundliche Regierung. In der international nicht anerkannten "autonomen Republik" Abchasien am Schwarzen Meer, unweit von Putins Residenz in Sotschi, war eine Revolte gegen moskautreue Politiker zumindest teilweise erfolgreich.

"Auf Verbündete kann man sich nicht verlassen"

Propagandistin Elena Panina ist höchst beunruhigt (externer Link) und zieht aus den Krisen, vor allem aus der Lage in Syrien, das Fazit: "Auf Verbündete und zeitweilige Partner kann man sich nicht verlassen. Unsere iranischen Bündnisgenossen waren zu sehr mit der Lage rund um den Libanon und Palästina beschäftigt. Und unser zeitweiliger Weggefährte Recep Erdoğan ist uns tatsächlich in den Rücken gefallen – übrigens nicht zum ersten Mal."

"Nicht sehr effektive Spezialoperation"

Ähnlich die Einschätzung eines weiteren russischen Polit-Portals (externer Link), dessen Aufzählung einer Bankrott-Erklärung Putins gleichkommt: "Dabei ist noch gar nicht mal mit eingerechnet, was wir bereits bis jetzt geopfert haben, indem wir uns auf die bisher nicht sehr effektive Spezialoperation [in der Ukraine] konzentrierten und gleichzeitig eine Wende Armeniens nach Westen, eine Krise in der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit [ehemaliger Mitgliedsstaaten der Sowjetunion] und die Abwanderung der Länder Zentralasiens Richtung China hinnehmen mussten, sowie den Beitritt Schwedens und Finnlands zur NATO, den Verlust des Öl- und Gasmarktes Europa, einen spürbaren Rückgang der Wirtschaft."

"Jetzt zahlen wir in der Ukraine dafür"

Politologe Wladislaw Schurigin schreibt düster (externer Link): "Das Problem ist, dass jede Niederlage auf der einen Seite die Erfolge auf einer anderen entwertet. Wir brauchen entweder diplomatische oder militärische Genies. Sollten wir in einen neuen Konflikt aktiv eingreifen? Die Frage ist falsch gestellt. Wir sind schon mittendrin! Die Frage ist eine andere: Wie soll unsere Beteiligung aussehen? Wir werden nicht in der Lage sein, unsere Streitkräfte nennenswert aufzustocken – unsere Truppen werden in der Ukraine benötigt, und außerdem ist es logistisch sehr schwierig, das [in Syrien] zu bewerkstelligen."

Schurigins fatalistisches Fazit: "Wir müssen offen zugeben, dass wir zwischen 2003 und 2022 die Gelegenheit, den Vereinigten Staaten eine gewaltige geopolitische Niederlage zuzufügen, völlig verpasst haben. Jetzt zahlen wir in der Ukraine dafür."

"Sie rennt schon mit einem Anderen rum"

Wie sich manche Russen derzeit angesichts "abtrünniger" oder krisengeschüttelter (Ex-)Bündnispartner fühlen, beschreibt einer der Blogger mit einem Gleichnis (externer Link): "Du hast ein Mädchen kennengelernt und von deiner Seite aus war alles in Ordnung. Du machtest ihr teure Geschenke, gingst mit ihr in Restaurants und umwarbst sie, so gut Du konntest. Du hast sie sogar mehr als einmal gegen einen bärtigen Konkurrenten in Schutz genommen. Dann warst Du kurz von eigenen Angelegenheiten abgelenkt und siehe da, sie rennt schon fleißig mit dem Anderen rum."

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