Zu Dutzenden hängen sie von der Decke herab, auf Augenhöhe der Besucher. Man kann zwischen ihnen umherwandeln, wie durch einen Wald emotionaler Gefährten, zusammengenäht aus den Fragmenten verschiedener Tiere: kleine Köpfe auf großen Rümpfen, Hasenohren auf Katzenköpfen. Doch es sind keine gruseligen Zombies, sondern süße, individuelle Fantasiewesen. Und: Sie alle haben Flügel, aus echten Federn.
Dann der Schock, ein Moment, in dem die ganze Wärme der Assoziationen schlagartig zu Eis gefriert: Die Stricke, an denen die Plüschtiere hängen, sind mit einer Henkerschlinge um ihren Hals geknüpft.
Dutzende Kuscheltiere hängen in der Okoyomon-Ausstellung im Kunsthaus Bregenz von der Decke.
"Diese Arbeit berührt viele Ebenen, Gewalt, Absurdität", sagt Precious Okoyomon zu dem Werk. "Und es sind Engel. Sie haben Flügel. Man kann einen Engel nicht töten. Es wurde versucht, sie zu töten, aber: Sie fliegen. Und durch die Motoren gibt es diese kleine Bewegung."
Ein aufstrebender Stern
"Radikal träumen mit Precious Okoyomon" - unter diesem Motto lädt das Kunsthaus Bregenz zu seiner neuen Ausstellung, die tief in die menschliche Psyche hineinführt. Okoyomon bespielt dabei das gesamte Kunsthaus.
Aus New York stammend gehört Okoyomon mit 32 Jahren schon zu den aufstrebenden Sternen der Kunstszene. Und das, ohne je eine Kunstakademie besucht zu haben. Okoyomon hat Pataphysik studiert, eine Art absurdistisches Philosophie- und Wissenschaftskonzept als Gegenstück zu den modernen Wissenschaften. Hinzu kommt ein großes Interesse an Psychoanalyse, an Träumen und den Ideen Carl Gustav Jungs.
Analyse der Psyche
Gleich im Eingangsbereich des Museums werden die Besucher in Analysekabinen von "Existential Detectives" befragt: Waren Sie schon einmal an einem Ort, an dem Sie nicht hätten sein sollen? Wer war für das Leid ihrer Mutter verantwortlich? Fragen, in denen es um Wahrnehmung geht, um Vergangenes und Identität. Die Tapete an den Wänden hat Okoyomon gestaltet, sie zeigt kleine süße Teufelchen: C.G. Jungs Ideen der Schatten, der Koexistenz von Gut und Böse stehen hier für vieles Pate.
Ein Analysekabine, in der die Besucher private Fragen beantworten können.
Hauptmotiv: Kuscheltiere
Die zweite Etage des Museums verspricht Entspannung. Ein rosa Plüschteppich und ein riesiger brauner Teddybär laden zum Verweilen ein. Die Tatzen sind in Herzform, aus seinem Bauch kommt ein sphärischer Beruhigungssound.
"Als Kind war ich ganz besessen von meinen Kuscheltieren, es waren echte Schutzwesen für mich", erinnert sich Okoyomon. "Wir sind oft umgezogen und ich bin in zwölf verschiedenen Häusern aufgewachsen, aber ich hatte immer die gleichen Kuscheltiere bei mir. Aber einmal habe ich meinen Lieblingsbären verloren, das war extrem verstörend für mich."
Auf dem Teddybär im zweiten Stock darf verweilt werden.
Precious Okoyomons Arbeiten haben nichts Bombastisches oder Überwältigendes, sie treten eher leise auf – und berühren vielleicht gerade deshalb so stark. Themen wie Kolonialismus, Rassismus und Identität stecken darin, aber nie vordergründig. Die Dinge werden mit Wärme und Positivem verquickt.
Gefangene Schmetterlinge
Am Ende spazieren die Besucher durch einen künstlichen Garten, ein Kiespfad schwingt sich durch das Gemisch von tropischen und heimischen Pflanzen, die Luft ist voller, ausschließlich schwarzer Schmetterlinge. Optimal versorgt verbringen diese Symbole der Freiheit hier die Zeit von der Verpuppung bis zum Tod – in einem Käfig.
Auf der anderen Seite des Raums ein Video: ein Rundflug über Ohio, am Steuer des Kleinflugzeugs: Precious Okoyomon. Aus dem Off hören wir Okoyomon eigene Gedichte rezitieren. Die Besucher aber können dieses Video nur durch ein netzartiges Gewebe sehen – sie bleiben auf der Seite der gefangenen Schmetterlinge.
Ernste Künstler
Precious Okoyomon nimmt sich selbst ernst. Das ist für Künstler nicht ungewöhnlich, es ist im Grunde die Basis erfolgreicher Kunst. Doch Okoyomon geht einen Schritt weiter: Die Ausstellung "Precious Okoyomon - One either loves oneself of knows oneself" will auch die Besucher dazu bringen, angstfrei in sich hineinzuhorchen, und alle Aspekte des eigenen Wesens anzuerkennen. Es ist erstaunlich, wie gut das funktioniert.
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