Musikerin Christiane Öttl steht vor 24 Kindern der Klasse 3a in Tiefenbach im Landkreis Passau. Die Kinder schauen sie erwartungsvoll an. Denn Mathe, Deutsch und HSU sind vom Stundenplan gestrichen. Stattdessen werden die Kinder heute mit ihr ein Lied komponieren.
Wie das gehen soll, können sie sich noch nicht recht vorstellen. Doch fest steht: Viereinhalb Stunden später werden die Achtjährigen in der Aula ihrer Schule stehen und vor Kindern und Lehrerinnen ein Lied singen, dessen Text sie selbst gedichtet haben. 2.000 Kinder in Niederbayern haben bereits ein eigenes Stück geschrieben oder werden es noch in diesem Schuljahr tun. Das Projekt "Wir komponieren" von dem Verein "Dreisatz Kultur" fängt mancherorts auf, was Lehrkräfte nicht leisten können.
Zuerst kommt der Text, dann die Melodie
Christiane Öttl ist Vorsitzende des Vereins und hat ein Konzept erarbeitet, mit dem sie die Kinder durch den kreativen Prozess führt. Zu Beginn sollen die Kinder Themen und Figuren aufzählen, über die sie gerne ein Lied schreiben würden. Öttl trägt alle Vorschläge zusammen und lässt die Kinder am Schluss über ihren Favoriten abstimmen.
In Tiefenbach sind offenbar Grusel-Fans zuhause. Sie stimmen für das Thema "Schrei in der Nacht" und wollen ein Lied über einen Wichtel schreiben, der einen Albtraum hat. Die Achtjährigen sammeln Reimwörter und bilden Sätze. Nach drei Stunden steht tatsächlich eine Mini-Geschichte in Versform an der Tafel. Öttl lässt die Kinder die Sätze immer wieder sprechen, damit ein Gefühl für den Sprachrhythmus entsteht.
Und erst dann kommt die Musik. Einzelne Kinder improvisieren Melodien auf die Reime. Von Kind zu Kind verändert sich die Melodie. Sie singen und singen. Und als Christiane Öttl die Gitarre dazu nimmt und die Melodie mit Akkorden füttert, ist da plötzlich ein Lied.
"Es ist noch immer ein Lied herausgekommen"
"Es gibt immer einen Moment, an dem ich mich frage, ob diesmal wirklich was rauskommt, was man aufführen kann. Aber es ist bis jetzt noch jedes Mal was entstanden - ganz egal, ob eine Klangwolke oder ein klassisch aufgebautes Lied mit Strophe und Refrain", erzählt Öttl, die schon in mehr als 20 dritten Klassen in Stadt und Landkreis Passau, Freyung-Grafenau und Deggendorf unterwegs war.
Die Kinder in Tiefenbach sind von ihrem Werk begeistert. Ein Mädchen fand den Auftritt am schönsten, ein Junge das Sammeln der Wörter. Ein anderer Bub sagt: "Ich hätte nicht gedacht, dass man so schnell ein Lied komponieren kann. Weil im Musikunterricht erzählen sie immer, die Komponisten haben jahrelang gebraucht, bis sie mit ihrem Lied zufrieden waren."
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Schaffensprozess verknüpft Stoff aus dem Lehrplan
Das Projekt wird vom Kulturfonds Bayern, dem Bezirk Niederbayern, einigen Landkreisen und privaten Sponsoren finanziert. Konrektorin Doris Weikl hofft, dass auch im Folgejahr wieder genug Geld zusammenkommt, denn das Projekt verknüpfe vieles, was ohnehin Stoff im Lehrplan sei. "Außerdem finde ich es ganz wichtig, dass in der Grundschulzeit jedes Kind mal auf einer Bühne gestanden hat."
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