Sie sorgen derzeit in den sozialen Netzwerken für Aufregung: Kleine schwarze Fäden, die sich auf den Teststäbchen von Corona-Schnelltests befinden sollen, Fäden, die nur stark vergrößert überhaupt sichtbar werden. Schwarze Fäden, die wie Fremdkörper auf den sonst weißen Wattestäbchen aussehen - und die sich in manchen Fällen auch noch bewegen, wenn man sie wahlweise auf Wasser setzt oder mit einer Pinzette anstupst. Diese scheinbare Bewegung ist für viele Internet-Nutzer der klare Beweis dafür, dass es sich dabei um Lebewesen handeln muss. Und dass die Teststäbchen - die laut Packungsangabe steril sein sollten - verunreinigt seien.
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Mehrere BR24-User haben dem #Faktenfuchs Videos von Menschen zugesandt, die mitgefilmt haben, wie sie Corona-Schnelltests mit dem Mikroskop selbst untersuchen und dabei auf die schwarzen Fäden stoßen. Doch dabei handelt es sich nicht etwa um Würmer oder gar "Morgellons", wie zum Beispiel auf Telegram verstärkt behauptet wird, sondern um Textilfasern, recherchierte der #Faktenfuchs.
💡 Was sind Morgellons?
Bei der Morgellons-Krankheit glauben Betroffene, unbelebte Fasern oder fadenförmige Gebilde kämen aus ihrer Haut. Medizinisch konnten "Morgellons" nicht nachgewiesen werden, meist handelte es sich bei den Fasern um Baumwollfasern, die z.B. von Kleidung stammen. Mediziner sprechen deshalb von einer Wahnvorstellung.
Um welche Tests geht es?
In einem Facebook-Video, das dem #Faktenfuchs von einem BR24-User zugesandt wurde, handelt es sich um den Covid-19 Schnelltest der chinesischen Firma "Seatestlabs", die in Deutschland seit März 2021 von der Brawa GmbH importiert werden. In anderen Videos werden auch andere Schnelltests verwendet, der #Faktenfuchs hat sich aber exemplarisch diesen speziellen Schnelltest näher angeschaut.
Der Test ist auf der Seite der Bundesanstalt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in der Liste der zugelassenen Antigentests enthalten (Aktenzeichen AT 233/20), darf aber demnach nur von geschultem Personal durchgeführt werden. Es handelt sich bei dem Test also nicht um einen Selbsttest, was auch der Hersteller dem #Faktenfuchs bestätigt.
Was sind die schwarzen Fäden und wie kommen sie auf die Teststäbchen?
Auch wenn die Aufnahmequalität schlecht ist: In den Videos lassen sich durch das Mikroskop feine schwarze Fäden auf den Teststäbchen erkennen - und das teilweise auch bei Stäbchen, die noch in Plastik verpackt - und somit steril sind. Das schreibt die CE-Zertifizierung vor, die in Europa für Medizinprodukte Pflicht ist und bestimmte Standards vorgibt. Der genaue Prozess der Qualitätskontrolle wird im Laufe des Texts beschrieben.
Dass es sich bei den schwarzen Fäden nicht um Lebewesen, wie in manchen Videos fälschlicherweise behauptet wird, sondern Textilfasern handelt, bestätigt der Hersteller dem #Faktenfuchs auf eine E-Mailanfrage: "Bei etwaigen schwarzen Fasern handelt es sich um Faserrückstände aus dem gleichen Material wie die Tupferspitze." Diese Nylonfasern seien nach Angaben der Hersteller steril und stellten keine Gefahr dar.
Schwarze Fäden sind Textilfasern
Der Kriminalbiologe und Sachverständige für biologische Spuren Mark Benecke untersuchte für das Recherchezentrum Correctiv zwei solcher Teststäbchen in seinem Labor. Dabei handelte es sich um ähnliche Tests, aber von einem anderen Hersteller. Unter dem Mikroskop entdeckte auch er eine dunkle Faser, die sich bei starker Vergrößerung als Textilfaser herausstellte. Benecke konnte keine Organe oder andere Indizien entdecken, die ein Lebewesen charakterisieren. Die Vermutung mancher Video-Urheber, es handle sich um Würmer, stimmt also nicht.
Woher die Textilfaser kommt, lässt sich laut Benecke nicht genau sagen. "Es könnte zum Beispiel eine Faser sein, die in der Fabrik, in der die Tupfer produziert werden, herumfliegt und sich zum Beispiel von der Arbeitskleidung der Angestellten dort gelöst hat", sagt Benecke dem Recherchezentrum Correctiv.
Auch Mikrobiologe Frank Landgraf von der Ludwig-Maximilians-Universität München geht davon aus, dass es sich um Textilfasern handelt. Er fügt hinzu: "Selbst wenn eine Faser drin ist, die nicht reingehört: Die Swabs (Teststäbchen, Anm. d. Red) werden sterilisiert. Dadurch kann kein biologischer Organismus überleben", sagt Landgraf dem #Faktenfuchs. Erst am Ende der Produktion werden die Stäbchen sterilisiert.
Wie wird die Qualität von Abstrichstäbchen kontrolliert?
Die Tatsache, dass erst am Ende der Produktion sterilisiert wird, ist auch ein Beleg dafür, dass es sich nicht um eine Verunreinigung handelt, wie manche Video-Urheber fälschlicherweise vermuten. In Deutschland dürfen nur Stäbchen vertrieben werden, die eine CE-Zertifizierung besitzen - ähnlich wie bei FFP2-Masken. CE-zertifiziert werden die Produkte, die die europäischen Standards für Medizinprodukte erfüllen.
Der deutsche Importeur der Tests, Brawa, verweist in der Antwort an den #Faktenfuchs außerdem auf ein Qualitätsmanagementsystem nach ISO-Norm des chinesischen Herstellers und betont, dass auch Brawa stichprobenartig Tupfer und Testkassetten überprüfe, um eine ausreichende Qualität zu sichern.
Warum bewegen sich die Fasern?
Bei den schwarzen Fäden handelt es sich also um ungefährliche dunkle Textilfasern. Aber warum bewegen sich die Fasern? In den Videos werden unterschiedliche Auslöser für die Bewegung genannt, unter anderem, wenn man die Fasern auf Wasser gibt.
Der #Faktenfuchs hat auch darüber mit dem Mikrobiologen Frank Landgraf gesprochen. Er sagt: "Wenn eine Faser mit Wasser in Berührung kommt, quillt sie auf und kommt zu einer ganz neuen Ausrichtung." Daher kommt laut Landgraf vermutlich die Bewegung. Es könne auch sein, dass die Atemluft des Aufnehmenden die Bewegung der Faser in den Videos verursachte.
Eine weitere Möglichkeit sei eine elektrostatische Aufladung der Fasern. Zu dieser Schlussfolgerung kommt auch Kriminalbiologe Benecke in einem YouTube-Video und in seiner Einschätzung für Correctiv. Er vergleicht die Faser mit Konfetti, das durch elektrostatische Anziehung auf Luftballons kleben bleibt.
Im Zusammenhang mit den schwarzen Fasern tauchte eine weitere Behauptung in den sozialen Netzwerken auf: Es handele sich dabei um Morgellons.
Was sind Morgellons?
Morgellons gibt es nicht. Betroffene klagen über Fasern oder fadenförmige Gebilde unter oder auf ihrer Haut. Sie nennen diese unbelebten Fasern selbst Morgellons. Medizinisch nachweisbar sind diese Morgellons nicht. Mediziner sprechen daher von Wahnvorstellungen, also einer psychischen Erkrankung. Eingeführt wurde der Begriff 2002 von einer Biologin in den USA, die ihren kleinen Sohn unter dem Befall von Morgellons wähnte. Etwa um diese Zeit kam die psychische Erkrankung in den USA auf.
Damit verbunden sind Symptome wie Abgeschlagenheit oder Konzentrationsstörungen - so beschreibt es Wolfgang Harth gemeinsam mit Kollegen in einem wissenschaftlichen Artikel für das Journal of the German Society of Dermatology. Harth hat bereits mehrere Patienten mit Morgellons behandelt und veröffentlicht regelmäßig dazu.
Studie: Morgellons häufig in Verbindung mit psychischen Problemen
Der amerikanische Center for Disease Control untersuchte zwischen 2006 und 2008 insgesamt 115 Betroffene und 40 davon genauer. Sie stellten fest, dass die geschilderten Symptome sehr unterschiedlich waren. Durchschnittlich hatten die untersuchten Personen 17 Stellen an ihrem Körper, die gereizt waren. Manche hatten durch eigenes Kratzen Knötchen, andere Narben oder entzündete, verschorfte Stellen an Oberarmen, Gesicht, Rücken, Brust oder den Unterschenkeln.
Die Forscher fanden heraus: Mehr als die Hälfte litt an psychischen Problemen, unter anderem Depressionen. Die Hälfte der untersuchten Betroffenen hatte außerdem kürzlich Drogen oder starke Beruhigung- und Schmerzmittel konsumiert.
In der Studie schlugen die Autoren vor, andere diagnostizierte Störungen zu behandeln - also etwa die Depression oder Drogensucht. Denn die Morgellons-Krankheit als psychische Erkrankung könne nicht therapiert werden, schreiben die Forscher in der Studie.
Morgellons entpuppen sich als Insekten aus dem Garten oder Kleidungsfasern
Kriminalbiologe Benecke beschäftigte sich schon abseits der Teststäbchen mit angeblichen Fällen von Morgellons. In einem Video untersucht er die angeblichen Morgellons, die ihm Betroffene bringen, unter einem Mikroskop. Er zeigt dabei, dass es sich bei den Fasern oder fadenförmigen Gebilden meist um Insekten handelt, die auf der Haut sitzend aus dem Garten eingeschleppt werden oder um Hautschuppen, die mit Kleidungsfasern zusammengedreht sind und deshalb wurmartig aussehen. In anderen Fällen seien Borrelien-Bakterien oder Allergien für den Juckreiz verantwortlich. Die Fasern sitzen aber nie unter oder in der Haut, wie die Betroffenen es sich einbilden, erklärt Benecke im Video.
Seit sich Ende März die Videos mit den Teststäbchen im Netz verbreiten, haben Morgellons auch auf Telegram deutlich mehr Relevanz und sind verstärkt Thema in den Kanälen des Messenger-Dienstes: Eine Auswertung des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) in einschlägigen Telegram-Kanälen zeigt einen starken Anstieg der Nachrichten, in denen Morgellons erwähnt wurden.
Mythen über Schnelltests
Die Sozialpsychologin Pia Lamberty forscht an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz zu Verschwörungserzählungen und bettet die Morgellons auf Nachfrage genau in diesen Kontext. Verschwörungserzählungen reagierten auf gesellschaftliche Themen und Diskussionen, sagt sie dem #Faktenfuchs. "Sobald in der Pandemie Impfungen mehr thematisiert wurden, stiegen auch die Verschwörungserzählungen in dem Bereich an."
Man könne das jetzt auch bei den Selbsttests beobachten. Seit diese mehr im Fokus sind, würden unterschiedlichste Mythen über sie verbreitet. Dazu gehöre auch die Falschbehauptung, man könnte Morgellons auf Tests finden. "Solche Narrative dienen aber alle dem gleichen Ziel: Medizinische Erkenntnis als Teil einer angeblichen Verschwörung zu diffamieren", sagt Lamberty.
Fazit
Bei den schwarzen Fäden auf Teststäbchen handelt es sich um Textilfasern, die aus dem gleichen Material wie die Teststäbchen bestehen. Durch die Sterilisierung besteht keine Verunreinigung. Die Fasern bewegen sich, weil sie entweder elektrostatisch aufgeladen sind oder weil sie mit Feuchtigkeit oder Atemluft in Kontakt kommen.
Die sogenannte Morgellons-Krankheit, die im Zusammenhang mit den schwarzen Fasern häufig genannt wird, ist laut Medizinern eine psychische Erkrankung. Betroffene haben Wahnvorstellungen und glauben, Fasern würden ihnen aus der Haut wachsen, was aber medizinisch nie nachgewiesen werden konnte. Meist handelt es sich laut Untersuchungen bei den Fasern um Textilfasern oder Insekten aus dem Garten, die an der Haut hängen geblieben sind.
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