Corona-Tests: Sie sollen Türen öffnen, die seit bald einem halben Jahr geschlossen sind - zum Beispiel in Bars und Kosmetikstudios. In Kitas sind sie seit 15. März bayernweit bei stärkeren Erkältungssymptomen Pflicht; in bayerischen Alten- und Pflegeheimen mussten sich Beschäftigte monatelang mindestens dreimal die Woche testen lassen. Auch über eine Testpflicht in Betrieben wird diskutiert.
Gegen die Testpflicht in Alten- und Pflegeheimen hatte die Mitarbeiterin eines Seniorenzentrums in Bayern geklagt. Sie sah die Testpflicht als ungerechtfertigten Eingriff in ihre Grundrechte, zumal in der Einrichtung, in der sie arbeitet, mittlerweile alle Bewohner zweimal geimpft wurden.
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) München hat am 2. März 2021 beschlossen, dass die Testpflicht für Alten- und Pflegeheime, wie sie bis dahin in der Bayerischen Infektionsschutzverordnung stand, nicht ausreichend mit dem Paragraph 29, Absatz 1 im Infektionsschutzgesetz (IfSG) begründet ist. Die bayerische Regierung hatte argumentiert, Pflegepersonal sei "ansteckungsverdächtig" und deshalb sei eine Beobachtung durch das Gesundheitsamt, also auch verpflichtende Corona-Tests, gerechtfertigt.
Söder: Testpflicht in Betrieben rechtlich nicht möglich
Für Ministerpräsident Markus Söder und seine Regierung ist dieser Gerichtsbeschluss auch relevant im Hinblick auf eine Testpflicht in Betrieben. In Alten- und Pflegeheimen, "wo man mit Abstand den größten infektiologischen Druck und die größte Gefahr hatte", sei die Rechtsgrundlage nicht ausreichend, sagte Söder auf einer Pressekonferenz mit der Bundeskanzlerin am 03. März 2021. "Wenn es dort nicht umsetzbar ist, können wir es demzufolge auch nicht in anderen Bereichen anwenden." Also auch nicht in Betrieben.
Darüber hinaus müsste man die Testpflicht wegen des Grundsatzes der Gleichbehandlung auch auf Bereiche, die geöffnet sind, anwenden: also etwa auch in Supermärkten, so Söder. "Das ist auch eine juristische Entscheidung, die wir zu respektieren haben.”
Juristen widersprechen auf Twitter
Als Reaktion auf Söders Auftritt auf der Pressekonferenz meldeten sich auf Twitter mehrere User, darunter auch Juristen, zu Wort, die Söder unterstellten, die Entscheidung des VGH München falsch verstanden zu haben. Der VGH erkläre lediglich die Begründung der bayerischen Regierung für die Testpflicht als unzulässig. Söders Regierung hatte auf Basis des Paragraphen 29 ("Beobachtung") im Infektionsschutzgesetz argumentiert. Die Testpflicht lasse sich aber mit Paragraph 28 ("Schutzmaßnahmen") des Infektionsschutzgesetzes begründen.
Wieso reicht Paragraph 29, Absatz 1 als Begründung nicht aus?
Paragraph 29, Absatz 1 des IfSG regelt, welche Gruppen einer Beobachtung und damit verschiedenen "Handlungs- und Duldungspflichten" unterworfen sind – unter anderem der Testpflicht. Das sind "Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider". Ausscheider sind laut IfSG Personen, die Krankheitserreger ausscheiden ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein und dadurch eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein können. Wer zu einer der vier aufgeführten Gruppen gehört, ist verpflichtet, die Tests und alle erforderlichen Untersuchungen durchführen zu lassen und die Anordnungen des Gesundheitsamtes zu befolgen.
Nach Ansicht des Gerichts könnten Beschäftigte in Alten- und Pflegeeinrichtungen nicht pauschal dem Verdacht unterworfen werden, Kranke, Krankheitsverdächtige oder Ausscheider zu sein - es käme also nur die Gruppe der "Ansteckungsverdächtigen" in Frage. Auch diese pauschale Einordnung sei laut dem VGH München nicht möglich, vor allem weil die Bewohner und das Personal von Alten- und Pflegeheimen mittlerweile zu einem großen Teil vollständig gegen Corona geimpft wurden. Die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung bei den Beschäftigten einer Alten- oder Pflegeeinrichtung dürfte demnach nicht höher sein als die der Gesamtbevölkerung allgemein, so das Gericht.
Anders als es Söder in der Pressekonferenz darstellt, lässt der VGH aber offen, ob die Testpflicht mit einer anderen Begründung rechtmäßig wäre.
Könnte man die Testpflicht in Betrieben auch anders begründen?
Das wäre möglich, zumindest laut der Juristin Andrea Kießling, akademische Rätin am Lehrstuhl für öffentliches Recht an der Ruhr Universität Bochum. Sie war eine derjenigen, die nach der Pressekonferenz von Söder darauf aufmerksam machten, dass man die Testpflicht auch anders begründen könne. Statt die Beschäftigten nach Paragraph 29 des IfSG als "Ansteckungsverdächtige" unter Generalverdacht zu stellen, hält Kießling die Paragraphen 28 und 28a des IfSG für geeignet, um eine Testpflicht zu begründen. Darin sind "besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit 2019 (COVID-19)" festgelegt - auch die sogenannten "Türöffner-Tests", die etwa zur Bedingung für den Besuch eines Pflegeheims gemacht werden können, sind durch Paragraph 28a IfSG begründet. In Paragraph 28a werden auch andere Corona-Schutzmaßnahmen festgeschrieben, zum Beispiel die Maskenpflicht oder Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen.
Auf Nachfrage des #Faktenfuchs weist ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums darauf hin, dass der Bundesgesetzgeber in der Konkretisierung von Paragraph 28 des IfSG im festgelegten Katalog möglicher Schutzmaßnahmen "unmittelbare Testpflichten, die von einem Ansteckungsverdacht unabhängig wären, gerade nicht" nenne. "Die Staatsregierung sieht daher in §28 IfSG keine rechtssichere Grundlage für eine solche Testpflicht", so der Sprecher.
Doch der Paragraph 28 sei weit gefasst, sagt Rechtswissenschaftler Sebastian Kluckert, Professor für Öffentliches Recht an der Bergischen Universität Wuppertal auf Anfrage des #Faktenfuchs. "Dort heißt es nur ‘mögliche Schutzmaßnahmen’, damit man andere nicht ansteckt. Dazu zählt alles Mögliche, solange das Maßnahmen sind, die dazu dienen, die Infektionskette zu unterbrechen. Die Testpflicht wäre so eine Maßnahme, kann man argumentieren."
Was spricht dagegen?
Doch die Rechtfertigung der Testpflicht in Betrieben durch Paragraph 28 IfSG ist in der Rechtswissenschaft umstritten, das bestätigt Kluckert. In der Debatte über die Testpflicht in Betrieben müsse man sich vier grundsätzliche Fragen stellen:
Verdrängt das Spezielle das Allgemeine?
Paragraph 29 beschränkt die Beobachtung durch das Gesundheitsamt, wozu auch das Testen gehören kann, auf bestimmte Personengruppen (Kranke, Krankheitsverdächtige, Ausscheider und Ansteckungsverdächtige) und ist daher spezieller als Paragraph 28, der als Generalklausel alle möglichen Schutzmaßnahmen definiert. Generell gilt der Grundsatz: Das Spezielle verdrängt das Allgemeine. Ob das hier auch zutrifft, müsse laut Kluckert diskutiert werden.
Wird das Testen auf den privaten Sektor abgewälzt?
Eigentlich ist das Testen eine Aufgabe des Gesundheitsamtes, im Falle der Testpflicht könnte es so ausgelegt werden, dass das Testen auf Betriebe abgewälzt wird. "Ob dieses Argument durchgreift, ist die andere Frage", sagt Kluckert. Das hat auch mit der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu tun. Auch das müsste also noch geklärt werden.
Ist die Testpflicht verhältnismäßig?
Vor der Einführung einer Testpflicht muss außerdem überprüft werden, ob sie verhältnismäßig ist. Man muss sich die Frage stellen: Ist die Maßnahme unbedingt erforderlich, um das definierte Ziel, in diesem Fall weniger Infektionen, zu erreichen?
Dabei sei zum einen wichtig, welches Infektionsrisiko es in Betrieben gibt, sagt Josef Lindner, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Augsburg. Wenn das Personal nur in Einzelbüros arbeitet, sei die Verhältnismäßigkeit nicht da – bei einer Produktionsstraße gegebenenfalls schon.
Ein weiterer Punkt: Wer zahlt? Laut Kluckert von der Bergischen Universität Wuppertal könnte auch das entscheidend sein: "Vielleicht ist die Verhältnismäßigkeit nur gegeben, wenn der Staat die Kosten dafür übernimmt. Wenn keine Kostenbeteiligung stattfindet, könnte die Testpflicht ggf. nicht zumutbar sein."
Gibt es ein Gleichstellungsproblem?
"Man argumentiert damit, dass Leute in Betrieben zusammenkommen. Wo Leute zusammenkommen, kommt es zu Infektionen – deshalb will man testen. Aber passiert das in Supermärkten, geöffneten Geschäften und im ÖPNV nicht auch?", so Kluckert. Für die Klärung dieser Frage müsse man nachweisen können, dass die Gefahr, sich in Betrieben anzustecken, besonders hoch ist.
Für viele Corona-Fälle fehlt das Infektionsumfeld
Das Robert Koch-Institut (RKI) kann etwa ein Sechstel der insgesamt gemeldeten Covid-19-Fälle einem Ausbruchsort zuordnen – in vielen Fällen fehlen also die Informationen zur Infektionsquelle, wie das RKI auf #Faktenfuchs-Anfrage mitteilt. Gesundheitsämter können bei der Meldung von Fällen, sofern ihnen die Informationen dazu vorliegen, die Zugehörigkeit zu bestimmten Kategorien angeben. Innerhalb der beim RKI geführten Kategorie "Arbeitsplatz" kann allerdings nicht weiter differenziert werden – etwa nach Branchen. Der Arbeitsplatz zählt nach privaten Haushalten, Alten- und Pflegeheimen sowie Krankenhäusern zu den Orten, an denen die meisten lokalisierbaren Infektionen auftreten. Zuletzt mit steigender Tendenz. Dabei muss man allerdings beachten: Ein Großteil der Infektions-Szenarien ist dem RKI eben nicht bekannt, wie oben schon beschrieben.
Wie ist die Testpflicht in Alten- und Pflegeheimen in anderen Bundesländern geregelt?
Die bayerische Staatsregierung sieht zwar in Paragraph 28 IfSG keine rechtssichere Grundlage für eine Testpflicht in Betrieben, in anderen Bundesländern wird genau dieser Paragraph aber bereits für die Rechtfertigung der Testpflicht in Alten- und Pflegeeinrichtungen genutzt. Der #Faktenfuchs hat alle 16 Bundesländer kontaktiert, zwei Länder (Schleswig-Holstein und Thüringen) haben bis zum Redaktionsschluss nicht auf die #Faktenfuchs-Anfrage reagiert. Von den verbliebenen Ländern stützen neun die Testpflicht für Personal in solchen Einrichtungen ganz oder unter anderem auf den Paragraph 28 IfSG – also eine knappe Mehrheit.
Fazit
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat in einer Pressekonferenz behauptet, die Rechtsgrundlage des Infektionsschutzgesetzes reiche für eine Testpflicht für Betriebe nicht aus und verwies auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs München. In diesem Beschluss wird jedoch lediglich erläutert, warum Paragraph 29 IfSG, auf den die bayerische Regierung die Testpflicht für Personal in Alten- und Pflegeheimen gestützt hatte, dafür nicht geeignet ist. Ob und wie man die Testpflicht anders begründen könnte, das hat der VGH offen gelassen. Ob Paragraph 28 IfSG eine geeignete Grundlage für die Testpflicht in Betrieben wäre, ist unter Rechtswissenschaftlern umstritten und noch nicht abschließend geklärt.
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