Stellen Sie sich folgendes vor: Sie scrollen durch Ihre automatisch erstellten Spotify-Playlists und stoßen auf einen neuen Künstler, zum Beispiel die Indie-Band "Jet Fuel & Ginger Ales". Sie suchen nach weiteren Informationen – und finden nichts. Kein Instagram-Profil, keine Website, keine Tourtermine. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Sie haben eine Band entdeckt, die möglichst gerne unter sich bleibt. Oder aber: Die Band existiert eigentlich gar nicht.
Im Fall von "Jet Fuel & Ginger Ales" gilt Letzteres. Die Musik der angeblichen Band ist KI-generiert – die Gruppe existiert nicht. Trotzdem ist sie auf Spotify zu hören.
Die unsichtbaren Stars der Playlists
Und "Jet Fuel & Ginger Ales" ist nicht das einzige Beispiel: Mitte 2024 schaffte es der erste KI-generierte Song nicht nur ins Streaming, sondern sogar in die deutschen Charts. "Verknallt in einen Talahon" wurde vom Produzenten Butterbro veröffentlicht. Dieser nutzte die Musikgenerator-Website Udio, um Melodie und Gesang zu seinem selbst geschriebenen Text erstellen zu lassen. Das Ergebnis: Platz 48 in den deutschen Single-Charts, zwischen Beyoncé und Taylor Swift.
Doch während Butterbro offen mit seiner KI-Nutzung umgeht, gibt es eine wachsende Zahl von mysteriösen Künstlern auf Spotify, deren Ursprung im Dunkeln liegt. Eine kürzlich veröffentlichte Recherche im amerikanischen Kulturmagazin Harper's deckt auf, dass hinter vielen dieser "Künstler" ein systematisches Programm von Spotify steckt: "Perfect Fit Content" (PFC).
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Falsche Künstler auf Spotify
Die Recherchen enthüllen ein ausgeklügeltes System, das Spotify nutzt, um günstig produzierte Musik in seine populärsten Playlists einzuschleusen. Ein ehemaliger Spotify-Mitarbeiter beschreibt es als "Musik, von der wir finanziell profitierten". Das Unternehmen arbeitet dabei mit einem Netzwerk von Produktionsfirmen zusammen, die diese "Geistermusik" in großen Mengen produzieren – oft mithilfe von Künstlicher Intelligenz. Spotifys Playlist-Kuratoren wurden der Recherche zufolge aktiv ermutigt, diese günstiger produzierten Tracks in ihre Playlists aufzunehmen.
Entwicklungen wie diese könnten menschliche Musiker weiter unter Druck setzen. Nicht nur müssen sie mit dem Rest der Musikwelt konkurrieren – sondern nun auch mit künstlicher Intelligenz.
Spotify über KI
Offiziell gibt sich Spotify neutral beim Thema Künstliche Intelligenz. Spotifys Co-Präsident Gustav Söderström erklärt im Interview mit dem "Big Technology" Podcast: "KI verstärkt die Kreativität. Sie gibt immer mehr Menschen Zugang zum kreativen Prozess. Man braucht weniger motorische Fähigkeiten als am Klavier, weniger technische Fähigkeiten als an einer digitalen Audio-Workstation."
Während Spotify selbst beteuert, keine eigene KI-generierte Musik produzieren zu wollen, öffnet die Plattform ihre Tore weit für KI-unterstützte Produktionen. "Wenn Künstler diese Technologien nutzen und erfolgreich sind, sollten wir die Menschen diese Musik hören lassen", so Söderström.
Die Zukunft der Musikindustrie
Brancheninsider befürchten, dass KI den Musikmarkt weiter in Gewinner und Verlierer aufteilen wird: Megastars wie Taylor Swift werden weiter in der Lage sein, einen immer größeren Teil der Einnahmen auf ihren eigenen Konten zu verbuchen. Gleichzeitig wird die Lage für weniger bekannte Bands und Sänger immer schwieriger.
In der Musik-Streaming-Landschaft von 2025 ist immer öfter unklar, wer oder was hinter manchen Songs steckt. Während KI auch neue kreative Möglichkeiten eröffnet, droht gleichzeitig der Verlust dessen, was Musik seit jeher ausmacht: die authentische Verbindung zwischen Künstler und Hörer.
Dieser Artikel ist erstmals am 7. Januar 2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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