Eulen haben ein extrem feines Gehör, mit ihrem Gesichtsschleier sogar eine Art "Empfangsschüssel": Sie nehmen wahr, wenn weit weg eine Maus durchs Gras läuft. Straßen- oder Fluglärm? Mögen sie nicht. Deshalb fielen die 16 schlafenden Waldohreulen auf, die in Attaching beim Flughafen im Erdinger Moos neben einer sonst vielbefahrenen Straße auf einer Lärche saßen. Ein Vogelliebhaber postete Aufnahmen auf Twitter. Dieser Tweet fiel im Social Listening von BR24 auf und noch am selben Tag fuhr ein Kamera-Team nach Freising. Unser Video von den Attachinger Lockdown-Eulen erreichte schließlich alleine auf BR24 Facebook 600.000 Menschen und löste breite Diskussionen über die Veränderungen in der Natur in Bayern während der Anti-Corona-Maßnahmen aus.
"So viel Unvernunft"
Gerade in der Pandemie gab es viel zu verstehen und zu lernen, aber auch viel Ärger und Unverständnis über so manche Regelung. Klarsichtmasken oder Gesichtsschilder? Hier blieb es nicht bei Diskussionen. Im vergangenen November postete eine Frau aus Bayern auf der Plattform Reddit einen Kommentar, in dem sie sich daran störte, dass nun auch in ihrer Stadt Masken aus durchsichtigem Plastik zugelassen seien, die nicht bündig mit der Haut abschließen.
"Ich verstehe langsam nichts mehr. Wir haben immer noch sehr hohe Werte für Stadt und Landkreis. Jetzt wird dieser Spucknapf als zulässig freigegeben. Wie geht das, wenn diese Dinger bundesweit keine Freigabe erhalten? (...) So viel Unvernunft". (Userin auf Reddit)
Der Faktenfuchs recherchierte und veröffentliche am 3. Dezember 2020 eine umfangreiche Analyse zu Klarsichtmasken: Schützen Sie vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus? Wenig später wurde offiziell in Bayern vom Tragen dieser Masken aus Plastik abgeraten.
Eine Software hilft
Wie genau landen solche Netzfunde wie der Tweet des Vogelliebhabers in unserem sogenannten Social Listening bei BR24? Wir benutzen dafür eine Software, die das Netz nach von uns erstellten Stichwortlisten durchsucht. In dem Tool gibt es für jede Region Bayerns eigene Suchen.
Digitales Social Listening ist dabei die Eule unter den Suchmaschinen: Eine digital fokussierte journalistische Suche, viel breiter und systematischer aufgestellt, als dies einzelnen Journalisten oder Redaktionen bei der Recherche nach neuen Themen möglich ist. Grundlage sind 400 Millionen Quellen im Netz: Soziale Medien, Foren, Webseiten oder Blogs.
Bayern im Fokus
Um themenspezifische, regionale Inhalte aufzuspüren, sind im Monitoring des Listenings Begriffe hinterlegt, die in den Regionen Bayerns für die Berichterstattung auf BR24 relevant sind. Wie im Beispiel mit den Masken (Gesundheits-) Ämter, Politiker, Parteien in unterschiedlichsten Bezügen, beispielsweise auf „Lockdown“, „Inzidenzwert“ oder „Masken“. Das Tool sortiert nach Kriterien, die die Journalisten unterschiedlich einstellen können: Wie alt ist der Treffer? Wie "viral" ist er bereits, das heißt: Ist das Thema bereits größer aufgefallen und oft kommentiert oder geliked? Die regionalen Suchen gliedern sich dabei in hunderte Namen, Orte, Sehenswürdigkeiten, Unternehmen, Facebook-Gruppen und örtliche Vereine.
Über diese regionenspezifische Suche fiel uns der Reddit-Treffer zu Masken in der Liste „Oberpfalz-Soziales“ auf. Aus der allgemeinen Ansicht (siehe Bild) geht noch wenig zum Inhalt hervor, die Journalisten folgen dem Link auf die Plattform und versuchen dort konkret nachzuvollziehen, was für ein Anliegen dahinter steckt. Die Recherche kombinieren sie wo immer möglich mit aktuellsten Informationen der Wissenschaft - im Fall der Maske war es eine frisch veröffentlichte Studie der Hochschule München.
Die Farben am linken Rand der Treffer-Liste geben dabei die überwiegende Stimmung der Reaktionen wieder, die auf den Plattformen gepostet werden. Rot steht für wütende, erregte Inhalte, Gelb zeigt neutrale Treffer an und mit Grün werden überwiegend positive Inhalte markiert.
Listening im Redaktionsalltag
Die große, tägliche Frühkonferenz aller BR-Regionalstudios, Redaktionen, Wellen und Sendungen startet am Morgen mit einer journalistischen Auswertung des Social Listening. Nach teils intensiven Recherchen der Reporter kommen diese Themen dann ins Programm. Warum dürfen Schüler auch bei zwei Negativ-Tests trotzdem nicht in die Schule, aber der FC Bayern darf trotz Positiv-Tests spielen? Warum setzt das Klinikum in Nürnberg auf Pflegekräfte aus dem Ausland, um Personallücken zu schließen? Sind unsere Pflegeberufe zu unattraktiv für Menschen aus der Region? Wer protestiert unter dem Hashtag #Wirmachenauf, welche Diskussionen löst dieser Protest gegen die Corona-Maßnahmen aus? Welche Sanktionen drohen den Unterstützern? Was mache ich mit meinem Fitnessstudio-Vertrag während des Lockdowns, kommt es wegen der Schließungen an Bayerns Grenzen zu Lieferengpässen in Unterfranken?
Gerüchte früh hinterfragen
Gerade während der Pandemie verunsichern Desinformation und Verschwörungsgeschichten diejenigen, die sich informieren wollen. Immer neue oder auch sich ständig wiederholende, vermeintlich gesicherte Hinweise auf unglaubliche Vorgänge tauchen in den digitalen Diskussionen auf, aber auch im Alltag. Werden doch Chips eingesetzt beim Impfen und welche Rolle spielt hier das Münchner Patentamt? Macht Impfen unfruchtbar? Sterben Menschen nach der Impfung gegen das Coronavirus? Sind Parasiten auf den Schnellteststäbchen? Sind die Krankenhäuser und Intensivstationen in Wirklichkeit unterbelegt?
Im Social Listening tauchen solche Hinweise sehr früh auf und können so hinterfragt werden - bevor sie immer mehr Menschen verunsichern. Geht es um Falschbehauptungen, die sich stark verbreiten, macht sich der #Faktenfuchs an die Arbeit - das Faktencheck-Team von BR24.
Die bisherigen Erfahrungen mit dem Social Listening zeigen, dass das Tool die Recherche der Journalisten stärkt, sie aber keineswegs ersetzt: Die Korrespondentinnen und Korrespondenten und Reporterinnen und Reporter in den Regionen bleiben natürlich die wichtigsten Quellen für neue Themen und Geschichten.
Das Listening kann die Journalisten aber vielfach unterstützen. Es ...
- erweitert den journalistischen Horizont
- liefert Themen, die sonst womöglich übersehen worden wären
- zeigt, was die Leute interessiert und bewegt
- führt aus der eigenen Wahrnehmungs-Blase heraus
Und: Es hilft, Muster zu erkennen. Große Veränderungen und neue Interessenlagen fallen vor allem denen auf,die ihre Aufmerksamkeit täglich den Bewegungen im Netz widmen.
Gibt es trotzdem ein Thema, über das wir noch nicht berichtet haben und für das Sie sich interessieren? Dann schicken Sie eine Mail an listening@br24.de oder feedback@br24.de.