Für den türkischen Fußball-Nationalspieler Merih Demiral hat der Wolfsgruß-Eklat sportliche Folgen. Der Defensivspieler wird für zwei EM-Spiele gesperrt und verpasst damit das Viertelfinale gegen die Niederlande am Samstag (21 Uhr live in der BR24Sport-Radioreportage) sowie ein mögliches EM-Halbfinale. Das teilte die Europäische Fußball-Union (UEFA) am Freitag mit.
Demiral habe "die allgemeinen Verhaltensgrundsätze nicht eingehalten, die grundlegenden Regeln des guten Benehmens verletzt, Sportereignisse für Kundgebungen nicht-sportlicher Art genutzt und den Fußballsport in Verruf gebracht", begründete die UEFA ihre Entscheidung. Türkischen Medienberichten zufolge wird der türkische Fußball-Verband in Berufung gehen.
Ein Reporter der türkischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkgesellschaft TRT berichtete, der Verband werde beim Internationalen Sportgerichtshof Cas Berufung einlegen. Es gebe dort ein beschleunigtes Verfahren speziell für die Fußball-EM, mit einer Entscheidung sei wahrscheinlich schon am Freitagabend zu rechnen.
Wolfsgruß während Spiel gegen Österreich
Auf Twitter beschimpften türkische Fans die UEFA bereits tags zuvor als "Feind der Türkei". Demiral hatte im EM-Achtelfinale gegen Österreich in Leipzig (2:1) beide Treffer für die Türkei erzielt. Nach dem Tor zum 2:0 zeigte er den sogenannten Wolfsgruß mit beiden Händen. Zudem veröffentlichte er in den sozialen Medien ein Bild mit der Geste.
Bereits am Donnerstagabend hatte die "Bild" von der Zwei-Spiele-Sperre berichtet. Das bezeichnete der türkische Verband zunächst aber als Falschmeldung, da das Fristende für das Einreichen der Verteidigungspapiere noch nicht verstrichen sei.
UEFA hatte Untersuchung eingeleitet
Die UEFA hatte eine Untersuchung aufgrund eines "mutmaßlich unangemessenen Verhaltens" eingeleitet. Zahlreiche Politiker hatten die Geste kritisiert. Die Wolfsgruß-Affäre führte zudem zu diplomatischen Verstimmungen, der türkische Botschafter wurde in Berlin einbestellt.
Der Wolfsgruß ist ein Handzeichen und Symbol der türkischen rechtsextremen und ultranationalistischen Organisation "Graue Wölfe". Weder die Organisation noch der Gruß sind in Deutschland verboten. Die "Grauen Wölfe" stehen allerdings unter Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Ultras kritisieren Doppelmoral
Türkische Ultras sprachen auf der Plattform X (vormals Twitter) von Doppelmoral. Das machten sie am Beispiel des englischen Nationalspielers Jude Bellingham fest. Wegen einer umstrittenen Jubel-Geste beim EM-Achtelfinale gegen die Slowakei hatte die UEFA eine Geldsperre gegen Bellingham in Höhe von 30.000 Euro verhängt und ihn für ein Spiel gesperrt. Die Ultras kritisierten es als ungerecht, dass es bei ihrem Spieler nun zwei Spiele Sperre seien.
Die Ultras riefen dazu auf, am Samstag beim Viertelfinale der Fußball-EM zwischen der Türkei und den Niederlanden den sogenannten Wolfsgruß zu zeigen. "Wir laden alle unsere Fans auf der Tribüne ein zu zeigen, dass das Zeichen der Grauen Wölfe kein 'Rassismus' ist, sondern 'das nationale Symbol des Türkentums', indem sie während der Nationalhymne das Zeichen der Grauen Wölfe machen", hieß es in einem Aufruf bei X.
Islamexperte: Erdoğan und Rechtsextreme instrumentalisieren den Fußball
Islamexperte Eren Güvercin machte auf X deutlich, dass dieses Vorgehen der Ultras auch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zusammenhänge. Erdoğan und türkische Rechtsextremisten hätten "den Fußball immer instrumentalisiert. Jetzt werden wir in Berlin diese Machtdemonstration live im deutschen Fernsehen erleben." Erdoğan selbst hat angekündigt, dass er das Viertelfinale im Stadion verfolgen will.
Reizklima vor Spiel am Samstag
Das Problem ist längst ein Politikum. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Grauen Wölfe als militanter Arm der rechtsextremen Partei MHP gelten - jener Partei, mit der Erdoğans AKP zusammenregiert. Auf X hieß es im Medienkanal des Präsidenten, ob jemand hinterfrage, dass die deutschen Nationalspieler einen Adler auf ihrem Trikot tragen würden. Laut Medienkanal hofft Erdoğan darauf, dass die türkische Nationalmannschaft am Samstag als Sieger das Feld verlässt.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte schon kurz nach dem Wolfsgruß im Stadion gesagt: "Es ist eine rechtsextremistische Geste - und die hat in deutschen Stadien nichts zu suchen."
Die Giftpfeile flogen prompt. Nach der Einberufung des deutschen Botschafters in Ankara bestellte das Auswärtige Amt am Donnerstag den türkischen Abgesandten ein.
Das türkische Außenministerium bezeichnete die UEFA-Untersuchung gegen Demiral als inakzeptabel. Nicht jede Person, die das Zeichen der Grauen Wölfe zeige, könne als rechtsextremistisch bezeichnet werden. Der Wolfsgruß sei in Deutschland zudem nicht verboten und die Reaktionen der deutschen Behörden "ausländerfeindlich". Die Entscheidung der UEFA hat laut Außenministerium "die Einschätzungen verstärkt, dass die Tendenz zu voreingenommenem Verhalten gegenüber Ausländern in einigen europäischen Ländern zunimmt."
Im Zuge eines erstarkenden Nationalismus haben zuletzt aber auch Vertreter der politischen Mitte den Wolfsgruß genutzt, um etwa Wähler aus nationalistischeren Milieus anzusprechen.
"Nonplusultra-Hochrisikospiel" in Berlin
Die diplomatische Sprengkraft ist jedenfalls enorm, weshalb die Polizei das Viertelfinale im Berliner Olympiastadion als "Nonplusultra-Hochrisikospiel" einstuft. Ein geräuschloses Fußballspiel in der Hauptstadt, in der 200.000 türkischstämmige Menschen leben, darf kaum erwartet werden. Die Polizei sieht sich für das Spiel am Samstag auf alles vorbereitet.
3.000 Einsatzkräfte werden im Einsatz sein, sagte Benjamin Jendro, Sprecher der Polizeigewerkschaft, dem Nachrichtenportal watson. "Es wird alles in den Dienst alarmiert, was irgendwie möglich ist, und wir hoffen natürlich auf Unterstützung von Bund und Ländern", sagte Jendro, der obendrein klarstellte: "Bei uns gilt der Wolfsgruß als rechtsextremes Symbol."
Neben dem Bereich um das Stadion wird die Polizei vor allem auch die Fantreffen am Hammarskjöldplatz (Niederlande) und Breitscheidplatz (Türkei) absichern. Die Türken, die schon in den vorigen Runden die Siege ihrer Mannschaft mit Autokorsos auf dem Kurfürstendamm feierten, dürften jedoch klar in der Überzahl sein. Gerade in den Bezirken Kreuzberg und Neukölln wird Ausnahmezustand herrschen; Fans drängen in die Cafes und Spätis, um am Bildschirm gemeinsam mitzufiebern.
Mit Informationen von sid und dpa
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