Mitte April versammelt sich die Führungsriege der Roten Raben Vilsbiburg vor Bayerns Presse. Aufsichtsrat, Management, auch die Bürgermeisterin der niederbayerischen Kleinstadt – alle sind gekommen. Der Anlass ist kein freudiger: Die Volleyball-Damenmannschaft gibt den Rückzug aus der ersten Bundesliga bekannt. Zwar gebe es "kein Finanzdesaster und auch keinen Abstieg", nimmt Aufsichtsrat Klaus-Peter Jung vorweg. Dass es ums Geld geht, liegt trotzdem auf der Hand. Die Entwicklung der Liga, so Jung: "Friss oder stirb!"
Rückzug nach 23 Jahren in der ersten Liga
Vilsbiburg hat knapp 13.000 Einwohner. Es ist die Geschichte eines gallischen Dorfes, eines Teams, das sich sensationell an die Spitze der Nation spielt und 23 Jahre ununterbrochen in der ersten Liga behauptet.
Konkurrenzfähig bleiben, darum gehe es. Der Höhenflug der Roten Raben ist vorbei. Ein Mithalten sei für den zweimaligen Deutschen Meister nicht mehr möglich. Aufsichtsrat Jung spricht von einer gespaltenen Liga. Top-Budgets an der Spitze, Etats von rund drei Millionen Euro, "so wird man heute Meister". Am Ende der Tabelle aber blieben abgeschlagen diejenigen, die mit gut der Hälfte auskommen müssen.
Raben-Aufsichtsrat: Identifikation und Budget entscheidend
Kann Spitzensport auf dem Land überhaupt gelingen? "Ja", sagt Klaus-Peter Jung, der mehrere Jahre Geschäftsführer der Deutschen Volleyball-Liga war: "Entscheidend sind die Identifikation und die Finanzierbarkeit. Ohne Budget geht heute kein Spitzensport mehr. Und es braucht die richtigen Leute in der Organisation." Die Unterstützung aus der Region ist da – sei es vom ortsansässigen Automobilzuliefergiganten Dräxlmaier oder dem Maschinenbauer Flottweg. Um den Anschluss zu halten, seien aber weitere Sponsoren notwendig gewesen – zwei bis drei Unternehmen, überregional, aus ganz Bayern.
"Das haben wir nicht geschafft", so Jung und kritisiert zudem die bayerische Landespolitik: "Wenn ich mir die anderen Standorte in den neuen Bundesländern anschaue, ich spreche von Schwerin, von Potsdam, von Dresden und Erfurt. Dort wird der Spitzensport anders unterstützt von der Politik. Sei es, wenn man international spielt, aber auch, indem man mit führenden Unternehmen spricht und sie bewegt, diesen Sport auch zu unterstützen."
Geben und Nehmen: Große Unternehmen als Erfolgsfaktor
Das Glück zu haben, dass große Unternehmen ansässig sind – vielleicht der entscheidende Faktor für Spitzensport im ländlichen Raum, noch dazu in einer Randsportart, sagt Sportmarketingexperte Marco Klewenhagen im Interview mit der ARD. "Dann geht es aber auch um die Frage, als was sich das Unternehmen versteht. Geht es um Sponsoring im klassischen Sinne, also um ein Werbetool, für das man bereit ist zu investieren für einen Gegenwert, nämlich Aufmerksamkeit? Oder geht es um Mäzenatentum, um Standort-Marketing?"
Letzteres könne für Unternehmen als Arbeitgeber vor Ort lohnenswert sein, so Klewenhagen. In Vilsbiburg könnte sich genau das aber erschöpft haben. "Die großen Unternehmen hier sind Industrieunternehmen", erklärt Rote Raben-Aufsichtsrat Jung. Ihr Engagement sei der Region und den Mitarbeitern geschuldet: "Die Region soll interessant gemacht werden und in der Geschäftsleitung gibt es auch eine Verbindung zum Sport. Deshalb machen die das. Und wir sind dafür sehr dankbar."
Marketing-Experte: "Am Ende geht es immer um Aufmerksamkeit"
Zu sehr auf ein oder zwei große Unterstützer zu setzen sei ohnehin gefährlich, so Branchenexperte Klewenhagen: "Das hat man schon oft genug gesehen. Dann zieht sich ein Sponsor zurück – und alles fällt in sich zusammen." Es gehe darum, alle Unternehmen, die in der Region ansässig sind, einzusammeln. "Das geht im besten Fall, indem ich ein starkes Marketing habe und indem ich mir etwas besonderes einfallen lasse." Denn am Ende des Tages gehe es immer nur um eines: Aufmerksamkeit. "Nur so bekomme ich Gelder und Publikum. Diese Aufmerksamkeit kann sich durch sportlichen Erfolg einstellen, durch einen sportlichen Wettkampf, aber auch durch gutes Marketing."
Volleyball-Profis aus Herrsching: Erfolgreich, individuell, laut
Bestenfalls treffen alle diese Faktoren aufeinander – das zeigt das Beispiel der WWK Volleys Herrsching. Die Gemeinde am Ammersee ist ähnlich groß wie Vilsbiburg. Und sie fällt auf. Die Volleys – mit der Herrenmannschaft in der Bundesliga sportlich erfolgreich, individuell, laut. Sie sind durchmarschiert. In zehn Jahren von der untersten Liga bis in die höchste Spielklasse. Mittlerweile bleiben sie Gegnern aus ganz Europa im Gedächtnis: mit dem Hallensprecher, der als "König vom Ammersee" auftritt, mit den Trikots im Lederhosen-Look und mit dem Kürzel, das sich längst zur Marke entwickelt hat: GCDW – "Geilster Club der Welt".
"Letztlich geht es immer ums Gewinnen"
Das Marketing ist selbstbewusst und wird teils auch als rotzfrech empfunden – in jedem Fall aber ist es einprägsam. Nicht für jeden sei das notwendig, sagt Maximilian Hauser, Geschäftsführer, langjähriger Trainer und kreativer Kopf des Clubs: "Für uns aber schon. Für uns braucht es das. Es ist ein Mittel, um aufzufallen, um sympathisch zu sein, für den ein oder anderen auch nicht sympathisch zu sein, auch das gehört dazu. Für uns es aber eine ganz wichtige DNA des Clubs." Die sei selbstironisch und zugleich organisch mitgewachsen mit dem immer größeren sportlichen Erfolg der Volleyballmannschaft unter den Gesetzmäßigkeiten der Profi-Liga: "Letztlich geht es immer ums Gewinnen", so Hauser.
Profisport im kleinen Ort: Höchstens ein Startvorteil
Für Profi-Volleyball im kleinen Herrsching braucht es vor allem am Anfang viele Freiwillige, erklärt Hauser. Ein Vorteil: Die finden sich schnell in der Gemeinschaft einer kleinen Gemeinde. "Sobald es ums Monetäre geht, muss so ein Ort aber schon sehr zusammenhalten, um gegen Städte wie Berlin oder Frankfurt anstinken zu können", sagt Hauser. Heißt in diesem Fall: Die ganze Region muss zusammenhalten. Nicht nur finanziell. "Unsere Profis trainieren elf Mal in der Woche, da können wir nicht immer die Halle belegen. Deswegen trainieren wir in Herrsching, Gilching und in Starnberg."
Neue Herausforderung: Nahbar bleiben auf der großen Bühne
"Es geht um ein großes Miteinander", erklärt Maximilian Hauser. "Je mehr Menschen das verstehen, desto eher wird es zur Win-Win-Situation für alle Parteien. Politisch, für die Gesellschaft, fürs Gewerbe für die Firmen." Auch hier gilt: der Club als Identifikationsfigur für Herrsching und die Ammersee-Region. Zugleich eine Herausforderung: Mit dem sportlichen Erfolg steigen auch die Auflagen im Wettbewerb. Die kleine Halle reicht oft nicht mehr aus. Immer häufiger finden die Heimspiele in München statt. Ein Spagat für Hauser: "Es braucht immer beides. Lokal nahbar bleiben und die große Bühne. Internationale Stars und Herrschinger Eigengewächse."
Entfremdung verhindern, Identifikation steigern. Das wollen die Roten Raben Vilsbiburg nach dem Rückzug aus der höchsten Spielklasse weiterhin schaffen. Darin liegt auch eine Chance: Aufgrund von Vorgaben der Liga dürfte es vor allem für Vilsbiburger Eigengewächse wieder wahrscheinlicher werden, in der 2. Bundesliga Pro künftig zum Einsatz zu kommen.
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