Proppenvolle Sportstätten, mitreißende Stimmung, begeisterte Sportler: Die European Championships in München mit gleich neun Titelkämpfen in elf Tagen beflügeln wieder die Olympia-Träume in Deutschland. Wird es nach zahlreichen gescheiterten Bewerbungen einen erneuten Versuch geben?
Aus der Bundesregierung wird Unterstützung für einen weiteren Anlauf signalisiert. Die European Championships hätten gezeigt, "welche Begeisterung Sportgroßveranstaltungen in Deutschland auslösen können", sagte ein Sprecher des für Sport zuständigen Bundesinnenministeriums am Montag. Er fügte hinzu: "Wir unterstützen natürlich die Perspektive einer deutschen Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland." Voraussetzung für eine Olympia-Bewerbung sei aber "die frühzeitige und transparente kontinuierliche Einbindung der Bevölkerung", sagte er. Die Bundesregierung befinde sich dazu "in ersten Gesprächen" mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB).
Münchens Oberbürgermeister Reiter: Olympia kein zentrales Thema
Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verwies darauf, dass es zuletzt vor 50 Jahren mit den Sommerspielen in München Olympia in Deutschland gegeben habe. "Es wird eigentlich jetzt schon höchste Zeit, dass mal wieder Sommer- oder Winterspiele in Deutschland stattfinden", sagte Herrmann. Wegen der Kritik an anderen Ausrichtern angesichts ökologischer Sünden oder der Menschenrechtslage müsse Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen.
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) stellte mit Blick auf eine Olympia-Bewerbung dagegen fest, die Absage der Bürger habe gelehrt, welche Sportveranstaltungen in München möglich seien. Zwar wolle man das positive Feedback nicht ignorieren und sich mit dem Thema befassen, es sei aber nicht das zentrale der nächsten Wochen.
Im Jahr 2013 hatten die Menschen in München bereits eine Bewerbung für die Winterspiele 2022 abgelehnt. Für eine mögliche neue Bewerbung ist das Jahr 2036 im Gespräch.
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DOSB-Chef Weikert: "Wir wollen Olympia angehen"
DOSB-Chef Thomas Weikert hat sich nach den erfolgreichen European Championships indes so eindeutig wie nie für eine neue deutsche Olympia-Bewerbung ausgesprochen. "Das Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbundes hat beschlossen: Wir wollen Olympia angehen", sagte der DOSB-Präsident im FAZ-Interview. Bei der Mitgliederversammlung im Dezember in Baden-Baden werde er den Verbänden den Prozess vorstellen und um Zustimmung bitten.
Für Weikert sind die Championships ein Baustein für eine neue Bewerbung. "Ich denke, man kann auch Olympische Spiele ausrichten, ohne einen Gigantismus zu haben. Hier ist eine sehr gute Veranstaltung mit neun Sportarten und man sieht, dass man darauf gut aufbauen kann", sagte der Funktionär der Sportschau.
DOSB-Vorstandschef Burmester: "Vor deutscher Bewerbung ein langer Prozess"
Dieser Töne aus dem Deutschen Olympischen Sportbund sind neu. Torsten Burmester, der Vorstandsvorsitzende des DOSB, fragte im "Hamburger Abendblatt" am Wochenende trotz des Erfolges von München: "Warum sollten wir jetzt unseren kühlen Kopf verlieren? Wir haben schon mehrfach betont, dass vor einer erneuten deutschen Bewerbung ein langer Prozess steht, in dem es uns gelingen muss, die Mehrheit der Bevölkerung von der Sinnhaftigkeit eines solchen Großevents zu überzeugen."
Das war zuletzt weder bei den gescheiterten Kandidaturen für die Bewerbungen von München für die Winterspiele 2022 und Hamburg noch für die Sommerspiele 2024 gelungen. Die private Initiative an Rhein und Ruhr konnte sich für 2032 nicht gegen Brisbane durchsetzen. "Deshalb müssen wir jetzt analysieren, was die Begeisterung für diese European Championships ausgelöst hat und was wir daraus lernen können. Was wir nicht brauchen, sind leichtfertig vom Zaun gebrochene Debatten", sagte DOSB-Vorstandschef Burmester.
Großer Andrang bei European Championships
München soll nun Beispiel dafür sein, dass es anders geht. Im historischen Olympiapark hatten die Organisatoren zeitweise Mühe, den Publikumsandrang zu regulieren. "Es war natürlich der positiven Resonanz geschuldet. Aber dass der Olympiapark schließen muss, damit hatten wir überhaupt nicht gerechnet", sagte Tobias Kohler, Leiter der Stabstelle Kommunikation der Olympiapark GmbH, der "Rheinischen Post".
In der ausverkauften Olympiahalle bejubelten 9.000 Menschen die goldenen Übungen von Emma Malewski (Chemnitz) und Elisabeth Seitz (Stuttgart). Auf dem Königsplatz beim Klettern feierten 5.000 Fans eine Party. Beim Straßenrennen feuerten offiziellen Angaben zufolge 110.000 Menschen die Radfahrer an, während am Bahnrad-Oval an allen Entscheidungstagen die knapp bemessenen 1.700 Plätze besetzt waren.
"Das war richtig cool, es hat richtig Spaß gemacht. Man fährt über die Ziellinie und wenn man gewinnt, freuen sich die Leute halt, die stehen da und rufen den Namen, Deutschlandflaggen - ich habe jedes Mal Gänsehaut bekommen", sagte Bahnrad-Weltmeisterin Emma Hinze (Cottbus), mit gleich drei Titeln einer der deutschen Stars von München. "Wahrscheinlich die beste Atmosphäre, in der ich je geklettert bin", sagte der tschechische Szenestar Adam Ondra, der Bronze im Bouldern und Gold im Lead gewann.
"Olympische Spiele in der heutigen Zeit, das ist schon echt enorm"
Richard Ringer, zum Auftakt der Leichtathletik-Titelkämpfe Sieger im Marathon, gab sich wie andere deutsche Sportler als Fan der European Championships zu erkennen. "Bei den European Games sieht man ja, wie das Konzept funktioniert, wenn du nicht ganz so viele Sportarten aufeinander hast. Das ist ein Riesen-Event, das ist supertoll", sagte der Rehlinger der Nachrichtenagentur dpa, gab aber auch zu bedenken: "Olympische Spiele in der heutigen Zeit, das ist schon echt enorm." Man müsse überlegen, warum das kaum einer mache, ergänzte der 33-Jährige.
Sieben gescheiterte Bewerbungen seit den Olympischen Spielen in München vor 50 Jahren haben die deutsche Sportführung zwar nicht mutlos, aber dennoch vorsichtig gemacht. Zuletzt war insbesondere die mangelnde Zustimmung in der Bevölkerung ausschlaggebend dafür, dass eine deutsche Olympia-Kandidatur fehlgeschlagen ist - nicht zuletzt wegen der enormen Kosten, die auf den Steuerzahler zukommen. Selbst das Multi-EM-Event in München verschlingt rund 100 Millionen Euro, für die ebenfalls zu einem großen Teil die öffentliche Hand aufkommt.
"Wieder ein Sommermärchen geschaffen"
Als "nicht lukrativ" bezeichnete Monika Schöne, Geschäftsführerin des Olympiaparks, das Großereignis im Deutschlandfunk. Die Veranstaltung finanziere sich über Ticketing-Einnahmen und Sponsoring, "aber der größte Batzen kommt letztendlich von den öffentlichen Zuschussgebern". Je mehr Eintrittskarten verkauft würden, desto geringer falle der Zuschuss aus.
"Die European Championships sind eigentlich so eine Art Meilenstein zu weiteren Großveranstaltungen hier in Deutschland, weil man einfach wieder das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen musste, dass solche Großveranstaltungen möglich sind, dass die Leute auch mit dabei sind und das ist genau das, was wir vermitteln wollen", sagte Schöne dem BR. Schöne fasste das Event so zusammen: "Wir haben wieder ein Sommermärchen geschaffen".
Bündnis "NOlympia" kritisiert IOC
Das Bündnis "NOlympia" sieht trotz der Euphorie in München keine Grundlage für Olympische Spiele in Deutschland. "Die Rahmenbedingungen haben sich seit den letzten Bewerbungen nicht verändert: Das IOC (Internationale Olympische Komitee) ist immer noch das gleiche, inklusive Knebelverträge, die die finanziellen Risiken auf die Austragungsorte abwälzen nach dem Motto 'Gewinne behalten wir, Verluste tragen die anderen', sagte NOlympics-Sprecherin Katharina Schulze der dpa. Zudem betreibe das IOC eine massive Kommerzialisierung der Spiele. Dagegen stünden die European Championships für ein Konzept, welches auf Gigantomanie verzichte, die Wettkämpfe fügten sich gut in die Stadt ein, so Schulze.
Neureuther: Abkehr des IOC vom Gigantismus notwendig
Der frühere Skirennläufer Christian Neureuther plädierte im Zusammenhang mit sportlichen Großereignissen für eine "Zeitenwende". Um erneut Olympische Spiele in München zu ermöglichen, müsse das IOC umdenken, sagte Neureuther im BR24-Interview. Notwendig sei, sich von Gigantismus, den Regularien und Knebelverträgen zu verabschieden, kurz: Olympische Spiele müssten "zeitgemäß" werden. Der Veranstalter brauche Freiräume und die Möglichkeit zur Mitbestimmung. Neureuther geht nicht davon aus, dass das IOC bereits so weit sei, das umzusetzen.
Neureuther unterstützt erneute Olympische Spiele in München, weist aber darauf hin, dass die Bewerbung von der Basis kommen müsse. Die Vereine und die Bevölkerung müssten mitgenommen werden.
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- Zum Artikel: "EBU-Projekt Europäische Perspektiven"
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