Eine urbayerische Erfindung ist sie - und doch jubeln meist die Anderen. Nur ein einziger Bayer hat jemals die ruhmreiche Vierschanzentournee gewonnen: Max Bolkart, heute 92 Jahre alt. 1921/22 wurde das Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen ins Leben gerufen. Es sollte noch über 30 Jahre dauern, bis sich österreichische und deutsche Skisprung-Enthusiasten zusammenfanden, um die erste Vierschanzentournee auszutragen. Beppi Hartl und Franz Rappenglück aus Partenkirchen sowie Alfons Huber und Xaver Kaiser aus Oberstdorf gelten als die deutschen Gründungsväter.
Max Bolkart triumphiert - und erhält Kochtopf
Der erste Sieger der Bundesrepublik Deutschland kam mit Max Bolkart aus dem Allgäu. Der 1932 geborene Oberstdorfer war von Mitte der 50er- bis Anfang der 60er-Jahre ein Skisprung-Pionier und einer der Besten seines Fachs. 1960 stellte er dies eindrucksvoll unter Beweis: Bolkart triumphierte bei der achten Ausgabe der Tournee und durchbrach die Siegesserie von DDR-Dominator Helmut Recknagel.
Der Lohn für seinen Erfolg: ein Schnellkochtopf. Die Unterschiede zum heutigen Skispringen sind klar ersichtlich: Die Schanze sowie der Landehang wurden damals per Hand- und Fußarbeit präpariert, eine Anlaufloipe war ebenso utopisch wie Aufzüge. Die Jugend aus dem Dorf trug den "wilden Hunden", wie Bolkart seinesgleichen nannte, die stocksteifen Skibretter einzeln den Berg hinauf.
130 km/h, Holzlatten und Pudelmützen
Aufgrund der Vorlage-Technik mit paralleler Skiführung mussten die Weitenjäger deutlich riskanter und mutiger sein. 12 Meter und damit dreimal so hoch wie heutige Skispringer, sausten die Männer durch die Luft. Nicht selten erreichten sie bis zur Landung eine Geschwindigkeit von 130 km/h. Selbstverständlich trugen sie dabei keinen Helm, sondern nur eine Pudelmütze.
1960 gewann Bolkart drei der vier Springen, nur beim Abschluss in Bischofshofen patzte er. Dieser sogenannte "Grand Slam", ein Sieg bei allen vier Tournee-Stationen, gelang erst Sven Hannawald im Jahr 2002. Wie Jens Weißflog war auch Hannawald in der DDR geboren, der sozialistische Nachbar verzeichnete insgesamt sieben verschiedene Sieger. Die BRD konnte erst nach dem Mauerfall durch die Erfolge von Dieter Thoma (Hinterzarten), Weißflog (Erlabrunn) und Hannawald (Erlabrunn/Hinterzarten) so richtig mitjubeln.
Fünfmal Zweiter - wann endet der bayerische Tournee-Fluch?
Auch die bayerischen Adler waren immer wieder nah dran am großen Erfolg - doch gereicht hat es nie. In den letzten acht Jahren waren gleich vier Athleten aus dem Freistaat ganz dicht dran am langersehnten Tournee-Sieg. Severin Freund hatte gegen Peter Prevc 2016 das Nachsehen, auch Andreas Wellinger (2018) und Karl Geiger (2021) wurden jeweils hinter dem Polen Kamil Stoch Zweiter. Markus Eisenbichler musste sich 2019 Ryoyu Kobayashi geschlagen geben.
Im vergangenen Winter schnupperte dann wieder Andreas Wellinger am geschichtsträchtigen Erfolg. Zur Halbzeit lag Wellinger in der Tournee-Wertung vor Kobayashi, doch der Japaner bewies mehr Konstanz und überholte den Ruhpoldinger. Am Ende fehlten knapp 25 Punkte.
Oberbayer Paschke als Tournee-Trumpf - oder doch Wellinger?
Wellinger ist auch in diesem Jahr ein Kandidat für den goldenen Adler, der großen Tournee-Trophäe. Doch vor ihm steht ein anderer Oberbayer, Pius Paschke aus Kiefersfelden. Der 34-Jährige tauchte im vergangenen Winter wie Phönix aus der Asche auf, als er die Tournee-Generalprobe in Engelberg gewann.
Bei der anschließenden Tournee wurde Paschke nur 20., auch deshalb wurde sein erster Weltcup-Sieg als One-Hit-Wonder abgetan. Doch weit gefehlt: In diesem Winter fliegt Paschke allen davon, feierte unfassbare fünf Einzel-Weltcupsiege in acht Springen und trägt deshalb das Gelbe Trikot des Weltcup-Gesamtführenden.
Selten standen die Chancen so gut, dass der bayerische Tournee-Fluch endlich besiegt werden kann. Vorreiter Max Bolkart wird es aufmerksam verfolgen.