Skirennläuferin Nina Ortlieb wird nach einem Sturz bei bei der Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen abtransportiert
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Skirennläuferin Nina Ortlieb wird nach einem Sturz bei bei der Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen abtransportiert

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Schwere Kandahar-Stürze: "Wir haben keine Ski, wir haben Waffen"

Schwere Kandahar-Stürze: "Wir haben keine Ski, wir haben Waffen"

Kopfverletzung und künstliches Koma bei Tereza Nova, Unterschenkelbruch bei Nina Ortlieb: Schwere Stürze überschatten den Ski-Weltcup in Garmisch-Partenkirchen. Die schwierige Kandahar zeigt sich ähnlich anspruchsvoll wie Kitzbühel bei den Männern.

Über dieses Thema berichtet: BR24Sport am .

Plötzlich war es mucksmäuschenstill im Stadion von Garmisch-Partenkirchen. Eigentlich hatten die etwa 5.000 Zuschauer Nina Ortlieb gerade noch einmal richtig angefeuert. Die Österreicherin kam dem Ziel immer näher, war dabei formidabel unterwegs - und setzte die führende Italienerin Federica Brignone noch einmal heftig unter Druck. Doch dann passierte dieses Malheur in der Abfahrt von Garmisch-Partenkirchen, das in den Speed-Disziplinen nicht passieren darf.

Ortlieb verlor die Kontrolle über ihre Skier und stürzte schwer - ausgerechnet am Ausgang aus der "Hölle" auf der legendären Kandahar-Abfahrtsstrecke, die den Läuferinnen so wenig verzeiht. Dort, wo es so dunkel ist, am Nordhang des Kreuzecks. Die 28-Jährige kreiselte über die Strecke, schien sich gefangen zu haben, doch plötzlich kippte sie weg und kreiselte weiter den Hang hinab. Den Zuschauern, aber auch den Fahrerinnen im Ziel stockte der Atem.

"Ich bin ja unmittelbar davor gefahren, deswegen habe ich es gar nicht gesehen", sagte Kira Weidle-Winkelmann im BR24Sport-Interview: "Ich kenne Nina schon zehn, zwölf Jahre, wir sind der gleiche Jahrgang, wir sind ja quasi im Skizirkus zusammen groß geworden. Und es ist Wahnsinn, wie viele Verletzungen sie schon hatte."

Weitere heftige Stürze auf der Kandahar

22 Mal musste sich die 28-jährige Ortlieb bereits einer Operation unterziehen, nun folgt direkt die nächste. Denn die Österreicherin, Tochter des Olympiasiegers Patrick Ortlieb, hat sich den Unterschenkel gebrochen. An der Heim-WM in Saalbach-Hinterglemm im Februar wird sie nicht teilnehmen können. Mehr als 20 Minuten war das Rennen nach ihrem Sturz unterbrochen. Neben Ortlieb stürzten am Samstag weitere Fahrerinnen, der Skirennsport bleibt ein Extremsport.

Tschechin Nova im künstlichen Koma

Wie bei den Männern in Kitzbühel zeigte sich bei den Frauen die Kandahar in diesen Tagen wieder einmal von ihrer gewohnt anspruchsvollen Seite. Die tschechische Skirennfahrerin Tereza Nova hatte bei einem Trainingssturz am Freitag eine schwere Kopfverletzung erlitten. Unmittelbar danach teilte der tschechische Verband mit, dass sie in ein Krankenhaus gebracht wurde zur Behandlung. Die dramatische Entwicklung war da noch nicht abzusehen.

Am Samstag folgte dann ein Update, das die Sicherheitsdiskussionen im Weltcup-Zirkus wohl weiter hochkochen lässt. "Sie wurde im Krankenhaus in Murnau operiert, um ein Hirnödem zu reduzieren, und wird so lange im künstlichen Koma bleiben, wie das medizinische Team es für richtig hält", teilte der Verband mit.

Zweite Sofia Goggia wird deutlich

"Wir haben keine Skier, wir haben Waffen", sagte die Abfahrts-Zweite Sofia Goggia, die selbst mit einer ausgekugelten Schulter ins Ziel fuhr und am Ende nur eine Hundertstelsekunde langsamer als ihre Teamkollegin Brignone war. "Dort konnte ich dann auch nicht den Arm heben und jubeln", sagte sie grinsend - wurde später aber auch deutlich: "Bei unserem Material ist es so: Da kann die FIS die Regeln verändern. Aber jeder Hersteller arbeitet immer härter, um besser zu performen." Dabei spricht sie vermutlich auch auf die Carbonschienen-Thematik bei den Männern an. Und so löse die Materialschlacht eben trotz Regeländerungen am Ende wieder neue Spiralen aus.

Weidle-Winkelmann: "Wenn Topleute einfach der Reihe nach stürzen ..."

Auch die erfahrene US-Amerikanerin Lindsey Vonn kam auf einer ihrer Lieblingsstrecken ins Schlingern, ebenfalls im Schatten aus der "Hölle" heraus - wie einige weitere Fahrerinnen. "Leider habe ich einen Schlag bekommen, es war schwierig mit dem Licht. Es war sehr unruhig und weich", sagte sie im Ziel: "Aber das Gefühl ist gut, ich bin schnell. Ich habe einen Fehler gemacht, aber bin Gott sei Dank nicht gestürzt." Am Sonntag wird sie im Super-G ihren nächsten Angriff auf den ersten Podestplatz seit dem Weltcup-Comeback nehmen.

"Es zwingt einen keiner da oben aus dem Starthaus raus", sagt Weidle-Winkelmann - und gab zu bedenken: "Aber natürlich müssen auch die Bedingungen so sein, dass man da sicher herunterkommt. Und wenn Topleute einfach der Reihe nach stürzen, dann wird es schon auch ein bisschen mehr zu tun haben als jetzt nur mit dem fahrerischen Können."

Airbags - und nächster Schritt schnittfeste Unterwäsche?

All das facht natürlich erneut die seit Monaten (und zuletzt vor allem bei den Männern) alles bestimmende Sicherheitsdebatte im Skisport an. Weidle-Winkelmann, die am Samstag als stärkste Deutsche Neunte wurde und sich weiter im Aufwärtstrend befindet, hat beobachtet, dass es "immer ein bisschen extremer" werde.

Sie hat dabei durchaus Vorschläge für Veränderungen, unter anderem die Airbags, die vorgeschrieben sind, aber nicht alle Fahrerinnen und Fahrer tragen - aufgrund von Ausnahmegenehmigungen. "Es ist zumindest ein Schritt und eine Möglichkeit, es sicherer zu machen. Die schnittfeste Unterwäsche ist der nächste Punkt, den man so schnell wie möglich implementieren sollte."

Diese Momente, in denen es mucksmäuschenstill im Zielstadion wird, wird das aber trotzdem nicht verhindern. Abfahrten im Ski-Weltcup bleiben ein Extremsport.

Im Video: Kira Weidle-Winkelmann zu ihrem Rennen - "Schritt in die richtige Richtung"

Skirennläuferin Kira Weidle-Winkelmann bei der Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen
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Skirennläuferin Kira Weidle-Winkelmann bei der Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen