Bei Mädchen, die talentiert Fußball spielen, läuft es oft so: Zu Beginn ihrer Karriere spielen sie bei den Jungs mit – und das nicht unbedingt, weil sie sich das wünschen, sondern weil es schlicht nicht genügend Mitspielerinnen in ihrem Alter gibt. Laut dem offiziellen Portal des DFB "fussball.de" gibt es in Bayern 4.582 Fußballvereine. In der Sektion der U11-Juniorinnen lassen sich aber gerade einmal um die 90 Mannschaften finden. Eine mickrige Quote von rund zwei Prozent.
Auch Karolina Sajević läuft schon seit sie vier Jahre alt ist einem Ball hinterher. Ihr großer Bruder nahm sie damals zu einem Training in einen Jungs-Verein mit, seither ist der Fußball ihr Leben. Inzwischen ist Sajević 16 Jahre alt und kickt bei der ersten Mannschaft der Würzburger Kickers. Die spielen in der drittklassigen Regionalliga – und damit eine Liga höher als die Herren.
Sajevics Traum: Nationalspielerin
Ihr Traum ist es, Nationalspielerin zu werden. Dafür trainiert die gebürtige Würzburgerin dreimal die Woche im Sportpark Heuchelhof und geht zusätzlich mindestens einmal die Woche in den Kraftraum.
Für eine optimale Förderung sollen Ausnahmetalente wie Karolina Sajević so lange wie möglich mit Jungs zusammen an den Stützpunkten trainieren, so lautete die Sicht des DFB. Empirische Nachweise für diese Vorgabe gab es nicht, das stellte der Pädagoge und Würzburger Uni-Professor Heinz Reinders bereits vor zehn Jahren fest.
Mädchen haben höhere Wahrscheinlichkeit für Kreuzbandrisse
Im Gegenteil: "Es gab auch diejenigen Mädchen, die sehr, sehr talentiert sind, die aber gesagt haben, an dem Jungs-Stützpunkt fühle ich mich nicht so wohl", sagt er. Deswegen habe er in Würzburg das Nachwuchsförderzentrum für Juniorinnen gegründet – samt eigener Forschungsakademie, in der Pädagogen und Sportwissenschaftlerinnen Daten erheben und zu optimalen Trainingsbedingungen forschen.
Dabei haben sie in Würzburg festgestellt, dass es für Mädchen wichtig ist, dass sie aufgrund ihrer unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen auch unterschiedlich trainiert werden. "Wir wissen, dass wir zyklusorientiert belasten müssen", sagt Reinders. Außerdem brauche es eine andere Belastungssteuerung, um Verletzungen zu vermeiden. Mädchen hätten zum Beispiel eine höhere Wahrscheinlichkeit, einen Kreuzbandriss zu erleiden. Für ihr datenbasiertes Präventionsprogramm zur Minderung von Verletzungen bekam das Würzburger Förderzentrum jüngst eine Auszeichnung.
Viel kleinere Basis an Spielerinnen
Von der U11 bis zur U17 trainieren rund 50 junge Talente wöchentlich im Nachwuchsförderzentrum. Im Juniorinnenfußball gebe es in der Basis eine viel kleinere Bandbreite an Spielerinnen als bei den Jungs. "Wenn wir da ein Talent verpassen, dann tut das im Grunde schon sehr viel mehr weh", sagt Reinders. Am Nachwuchsförderzentrum haben sie sich deswegen eine Diagnostik überlegt, wie Trainerinnen und Trainer Talente entdecken können. Das seien Bereiche wie Kreativität, Handlungsschnelligkeit sowie Spielübersicht mit und ohne Ball. "Das haben wir bei Juniorinnen bundesweit ausprobiert", sagt Reinders. Die Spielerinnen mit dem höchsten "Score" hätten das höchste Potential, Profispielerinnen zu werden.
Für Reinders kam es nicht überraschend, dass die Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren gegenüber Europameister England oder Weltmeister Spanien das Nachsehen hatte. Gerade im internationalen Vergleich habe sich gezeigt, dass andere Nationen weit früher auf eine Förderung in reinen Mädchenmannschaften setzen. Das Beste wäre, Spielerinnen dort spielen zu lassen, wo sie sich wohlfühlen, dann seien sie auch zu größeren Leistungen motiviert.
Weniger Ellbogenmentalität als bei den Jungs
Beim Training der Kickers liegt der Fokus auf Handlungsschnelligkeit und Übungen, die einen hohen kognitiven Reiz haben. Eine ballführende Spielerin wie Karolina Sajević wird sofort attackiert und muss sich blitzschnell mit dem Ball aus der Klemme befreien. Die Mädels pushen sich dabei gegenseitig, es gebe hier deutlich weniger Ellbogenmentalität als bei den Jungs. Das freut den Trainer der ersten Mannschaft, Marius Wiederer. "Alle wollen Fußball spielen", sagt er mit Blick auf seine Mannschaft: "Leidenschaft prägt das, was wir hier machen."
Nur rund 150 Frauen haben Profi-Verträge
Mit dem Traum, Profifußballerin zu werden, haben rund 300 Spielerinnen bereits im Würzburger Nachwuchsförderzentrum trainiert. Der Weg nach oben ist hart, selbst in der Frauen-Bundesliga sind laut Reinders gerade einmal rund 150 Spielerinnen mit Profi-Verträgen ausgestattet. Fürs Fußballspielen verdienen Frauen deutlich weniger, während bei den Männern sogar die 3. Liga noch als Profi-Liga gilt, in der die Spieler in Vollzeit nur kicken können.
Um einen Plan-B zum Fußball will sich Karolina Sajević trotzdem noch nicht kümmern. Ihr Fokus liegt auf dem Fußball und auch ihr Trainer ist davon überzeugt, dass sie es als vielseitige Spielerin zum Profi schaffen kann. Karolina Sajevics fußballerisches Vorbild ist ein Mann – Luka Modrić von Real Madrid. Ihr Talent stamme aber von einer Frau: von ihrer Mutter, einst Torhüterin und Nationalspielerin von Bosnien-Herzegowina.
- Zur Bildergalerie: Frauenfußball in Bayern: Der lange Weg
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