"Es hängt von den Bedingungen ab." Ein knapper Satz, und doch so wahr, wenn es um die Frage geht, ob sich ein Beruf in der Pflege mit dem eigenen Familienleben vereinbaren lässt. Seija Knorr-Köning ist Intensivpflegekraft auf der Interdisziplinären Intensivstation des Krankenhauses Barmherzige Brüder in München. Sie ist verheiratet und hat einen dreijährigen Sohn. Außerdem engagiert sie sich politisch bei der SPD, hat bereits einmal für den Bundestag kandidiert.
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Für jemanden wie sie sind bei der Jobwahl vor allem zwei Punkte wichtig: "Wie sicher ist die Dienstplanung und wie kann auf die Wünsche eingegangen werden, wenn man Familie hat und sich ehrenamtlich engagiert?"
Knorr-Köning hat sich für die Intensivstation entschieden, weil der Betreuungsschlüssel besser ist als in anderen Pflegebereichen. In einer Schicht kümmert sie sich meistens um zwei Patienten. "Seitdem ich hier arbeite – und das ist mir vorher nicht passiert – hab ich in jeder Schicht Pause machen können."
"Irren Respekt vor diesem Beruf"
Gerade versorgt sie einen 64-jährigen Patienten, der bis vor Kurzem noch in Lebensgefahr schwebte und an der künstlichen Lunge hing. Das Schlucken fällt ihm noch schwer. Aufsitzen an der Bettkante ist ein Kraftakt. Der Patient soll möglichst schnell wieder mobil werden, sowie essen und sprechen können. Er ist dankbar, dass er noch lebt und sagt: "Ich habe irren Respekt vor diesem Beruf."
Im Schnitt verdienen Intensivpflegefachkräfte je nach Berufserfahrung zwischen 3.000 und 4.000 Euro im Monat oder mehr. Das Krankenhaus bezahle jedoch überdurchschnittlich gut und biete den Mitarbeitenden im teuren München sogar Betriebswohnungen an. Um Stress abzubauen, hilft Knorr-Köning das Gespräch mit den Kollegen oder eine Runde Joggen im Nymphenburger Park. Sie selbst kann sich keinen abwechslungsreicheren Beruf vorstellen.
Dramatischer Engpass in der Pflege
Das Problem: Zufriedene Pflegekräfte wie Knorr-Köning sind die Ausnahme. Immer mehr ihrer Kolleginnen und Kollegen sind überlastet. Laut DAK-Report sind ältere Mitarbeiter durchschnittlich an 50 Tagen im Jahr krankgeschrieben, vor allem wegen Rückenleiden oder Burnout. Zum Vergleich: In anderen Berufsgruppen in diesem Alter sind es 30 Fehltage pro Jahr.
Und Entspannung ist nicht in Sicht – im Gegenteil. In Deutschland gibt es derzeit über eine Million professionell Pflegende. Zieht man die Zahl der insgesamt sozialversicherungspflichtig tätigen Menschen in der Pflege heran, sind es sogar über 1,7 Millionen. Doch in den nächsten zehn Jahren gehen 250.000 Pflegekräfte in Rente. Die Anzahl der Pflegebedürftigen aber steigt in diesem Zeitraum von fünf auf über sechs Millionen Menschen an.
Der Präsident der Vereinigung der Pflegenden in Bayern ist deshalb alarmiert: Georg Sigl-Lehner arbeitet seit über 40 Jahren in der Branche und leitet selbst eine Pflegeeinrichtung. Er vertritt die Interessen der rund 200.000 Menschen, die in allen Pflegeberufen im Freistaat arbeiten: "Wenn das System so weitergefahren wird, wie wir das jetzt seit vielen Jahren tun, dann wird der Pflegekollaps unausweichlich sein."
Weniger Intensivbetten wegen Personalmangels
Besonders schwierig wäre das, wenn es auch bei den Intensivpflegekräften so weitergeht. Während und nach der Corona-Pandemie hat es in Deutschland eine massive Abwanderung aus der Intensivpflege gegeben – das sagt Nina Meckel vom Intensivregister "DIVI", das in der Pandemiezeit eingerichtet wurde: "Wir haben weniger betriebsbereite Intensivbetten, vor allem in der Kinderintensivmedizin."
Waren es im März 2023 insgesamt noch 20.000 betreibbare Intensivbetten, sind es heute nur noch 15.500, also ein Viertel weniger. Laut Auskunft der Kliniken ist der Grund in der Regel ein Mangel an Pflegepersonal. Die Pflegekräfte seien in der Corona-Hochzeit in andere Pflegebereiche abgewandert, in denen das Stresslevel niedriger und die Löhne höher sind - zum Beispiel bei privaten Dienstleistern.
Vereinigung der Pflegenden: Pflege muss Chefsache werden
Aber es gibt auch gute Neuigkeiten: Die Vereinigung der Pflegenden in Bayern hat in einer Monitoring-Studie nachgewiesen, dass sich nach wie vor viele Menschen für den Beruf des Pflegers interessieren und der befürchtete 'Pflexit' nach Corona doch nicht eingetreten ist. Auch sei die Anzahl der Ausbildungsplätze in Bayern mit 7.000 Stellen stabil. Die Krankenhausreform sei richtig, doch dürfe in keinem Landkreis in Bayern durch Klinikschließungen auch nur ein Platz verloren gehen, heißt es weiter.
Deutschland sei Spitzenreiter, was das Pro-Kopf-Verhältnis von Pflegefachpersonen zur Bevölkerung angehe. Nach Ansicht von Präsident Sigl-Lehner braucht es in Zukunft auf den Intensivstationen Spitzenpersonal, aber in den anderen Bereichen deutlich mehr Assistenzkräfte und Pflegehelfer. Die verantwortlichen Politiker, sowohl auf der Kommunal- als auch auf der Bundesebene, sollten das Thema Pflege endlich zur Chefsache machen, meint er.
Auch Freistaat kämpft um Personal
Das bayerische Gesundheitsministerium hat im vergangenen Jahr ein Gutachten erstellen lassen, um die intensivmedizinische Versorgung im Freistaat sicherzustellen. Demnach habe sich der Personalmangel derart verstärkt, dass in den Kliniken vorhandene intensivmedizinische Betten nicht vollständig betrieben werden konnten.
Um mehr Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen, kommt es auf gute Arbeitsbedingungen an, dafür sind etwa verlässliche Dienstpläne wichtig. Dazu läuft derzeit ein Pilotprojekt an der Universität Bayreuth. Außerdem bietet der Staat Kurse für Intensivpfleger zur Steigerung der Resilienz (externer Link) an. Dabei sollen die Fähigkeiten zur Stressbewältigung trainiert werden, um Körper und Seele zu stärken. Teams können in Workshops beispielsweise die Belastung aus der Corona-Phase aufarbeiten. Die Angebote sind kostenfrei.
Außerdem fordert Bayern vom Bund eine Ausweitung der Steuerbegünstigung für Zuschläge, damit sich Mehrarbeit lohnt, sowie mehr bezahlbaren Wohnraum für Pflegekräfte. Seit vergangenem Jahr werden zudem die Anerkennungsverfahren für ausländische Pflegekräfte beschleunigt.
Dieser Artikel ist erstmals am 21. Mai 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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