"Simplify your life – mach‘ Dein Leben einfacher" ist heute Thema im Berufssprachkurs an der Münchner Volkshochschule. Im übertragenen Sinne passt das auch gut zur Lebensrealität der Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Sie alle wollen in Deutschland arbeiten – müssen dafür aber ihre Deutschkenntnisse verbessern. Wie Cheenaz Omar aus dem Irak.
"Ich möchte gerne wieder als Ingenieurin arbeiten, und ich glaube, für meinen Beruf muss man viel Deutsch lernen: Man muss sehr gut Deutsch sprechen." Cheenaz Omar
Najmeh Sadaat hat im Iran als Zahnärztin praktiziert und ist seit einem Jahr mit ihrem Mann in Deutschland. Der hat seinen "Lieblingsjob" gefunden, wie sie sagt, und auch sie hat sich viel im Internet informiert und ist zuversichtlich, dass sie sich nach der Deutschprüfung beruflich integrieren kann: "Ich muss die C1-Prüfung bestehen, danach kann ich meine Berufskenntnisse anerkennen lassen."
Und Zelgay Haidari hat in Afghanistan schon Deutsch als Fremdsprache studiert und dort beim Goethe Institut gearbeitet. Er sagt: "Deutschland war mein Traumland. Ich wollte unbedingt hier meine Masterarbeit, mein Masterstudium weitermachen."
Lösen Zuwanderer den Fachkräftemangel?
Nach der Machtübernahme der Taliban war Zelgay Haidari als sogenannte Ortskraft einer deutschen Organisation in Afghanistan nicht mehr sicher. Jetzt will er sich mit einer IT-Ausbildung eine neue Existenz aufbauen. Als einziger der Kursteilnehmer hat er auch schon einmal den sperrigen Begriff Fachkräftemangel gehört:
"Ich denke, es gibt Fachkräftemangel in Deutschland. Deutschland ist ein industrielles Land, es braucht die Fachkräfte in diesem Bereich. Und ich mag auch, in der IT zu arbeiten, damit kann man viel Geld verdienen. Ich möchte hier ein neues Leben anfangen. Ich habe jetzt bei null angefangen."
Deutschland sucht Fachkräfte wie Ingenieurin Cheenaz Omar und den angehenden IT-Azubi Zelgay Haidari. Quer durch 148 Berufssparten hat die Bundesagentur für Arbeit im vergangenen Jahr Engpässe festgestellt, unter anderem in der Pflege, in medizinischen Berufen, bei Bau-, Handwerks- und IT-Berufen. Dabei hat der Bericht die Personalnot in der Gastronomie oder an Flughäfen, die sich 2022 zeigt, noch gar nicht berücksichtigt. Ohne Zuwanderung qualifizierter Menschen wird es nicht gehen, meint Stefan Sauer vom ifo-Institut.
"Zuwanderung muss definitiv ein Hauptaugenmerk sein im Kampf gegen den Fachkräftemangel, die Zahl der Erwerbstätigen schrumpft immer weiter, es gehen mehr Leute in Rente als Nachwuchs nachkommt. Das heißt, dass die fehlenden Fachkräfte anderswo gefunden werden."
Fachkräftemangel wird sich noch verstärken
Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist weiterhin hoch. Im August waren 887.000 offene Stellen bei den Arbeitsagenturen gemeldet - 108.000 mehr als vor einem Jahr. Eine aktuelle Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung geht davon aus, dass Deutschland bis 2060 einen Zuzug von 400.000 Menschen bräuchte, von denen 290.000 aus Nicht-EU-Staaten kommen müssten.
Nach Analysen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat sich das Problem seit Ausbruch der Corona-Pandemie noch einmal deutlich verschärft. In der ersten Jahreshälfte 2021 sind mit 134.000 rund ein Drittel weniger Menschen nach Deutschland gekommen als im ersten Halbjahr 2019, also vor der Pandemie.
Außerdem ist in Deutschland die Arbeitszuwanderung aus Ländern, die nicht in der EU sind, mit 55 Prozent überdurchschnittlich eingebrochen. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz war zwar zum 1. März 2020 in Kraft getreten, die Lockdown-Maßnahmen haben aber wohl die meisten positiven Anreize zunichte gemacht.
Gerade einmal 70.000 Akademiker aus Drittstaaten außerhalb der EU gibt es heute, die mit der so genannten Blue Card in Deutschland arbeiten.
Aus den SPD-geführten Bundesarbeitsministerium und Bundesministerien für Inneres kommt der Vorschlag, das Fachkräfteeinwanderungsgesetz noch einmal zu ändern und auch Fachkräfte aus dem Ausland Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren, die einen Arbeitsvertrag, aber noch keinen in Deutschland anerkannten Hochschulabschluss haben. Den könnten sie dann mit Hilfe des deutschen Arbeitgebers nachholen.
Handwerk und Dienstleistung nicht vergessen
Auch in der nicht-akademischen Ausbildung sind weitere Anreize dringend nötig, findet Stefan Sauer vom ifo-Institut: "Da muss auch in Zukunft wieder mehr der Fokus auf die duale Ausbildung gesetzt werden, diese attraktiver zu gestalten, u.a. mit einer entsprechenden Bezahlung."
Mehr Unterstützung, Hilfe bei der deutschen Bürokratie und einfach mehr Anerkennung und Wertschätzung, das sind wichtige Anreize die helfen können, damit in Zukunft mehr Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland kommen.
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