Das Ehrenamt schweißt die Gesellschaft zusammen. Aber ausgerechnet jetzt in der Krise finden sich immer weniger Menschen, die bereit sind, sich freiwillig zu engagieren.
Zahl der Ehrenamtlichen deutlich zurückgegangen
Die Tafel in Regensburg ist eine der größten in ganz Deutschland. 180 ehrenamtliche Mitarbeiter packen dort mit an. Jonah Lindinger leitet die Tafel – leidenschaftlich und ehrenamtlich. Und sie könnte noch viel mehr Bedürftige versorgen, wenn sie mehr Helfer finden würde. "Die Tafelarbeit ist eine schwere, dreckige, auch körperlich schwere Arbeit. Ich glaube einfach, dass wir über kurz oder lang noch weniger ehrenamtliche Helferinnen und Helfer bekommen, weil die Zeiten auch für die Kolleginnen und Kollegen schwieriger sind", erläutert Lindinger ihre Befürchtungen.
- Zum Artikel: Tafeln unter Druck - "So angespannt war die Lage noch nie"
Zu Corona kommt jetzt auch noch die Energiekrise dazu. Da nimmt so mancher lieber einen bezahlten Nebenjob an. In den vergangenen beiden Jahren ist die Zahl der Menschen, die sich in Deutschland ehrenamtlich engagieren von 17,1 auf 15,7 Millionen gesunken. Das bedeutet einen Rückgang von 8,2 Prozent.
Sportvereine auf der Suche nach Ehrenamtlichen
Das spüren auch die Vereine. Die SG Post Süd Regensburg bietet 20 Sportarten von Leichtathletik bis Tischtennis an. Die Zahl der Mitglieder ist dieses Jahr sogar gestiegen, auf über 1.600. Doch ehrenamtliche Trainer und Trainerinnen fehlen.
Tagsüber arbeitet Gabi Reindl als Sekretärin, abends und am Wochenende steht sie im Stadion. "Ich denke, dass die meisten einfach beruflich so eingespannt sind, dass viele sagen, ich will nach der Arbeit heim und meine Ruhe haben", sagt Reindl, die als Trainerin bei der SG Post Süd Regensburg im Einsatz ist. "Bei uns kommen ja viele von der Arbeit hierher und stehen zwei Stunden am Sportplatz. Es ist schon ein Zeitaufwand, den man da hat." Doch es gebe ihr viel, wenn sie die Jugendlichen und deren Fortschritte sehe und sie glücklich nach dem Training heimgingen.
Die meisten Ehrenamtlichen engagieren sich in Deutschland im Breitensport. Doch im Vorstand findet Geschäftsführer Alfred Schmidt kaum noch Leute, die Verantwortung übernehmen. "Wir haben auch das Problem, dass die, die in Amt und Würden sind, auch mehrere Funktionen parallel wahrnehmen", erklärt Schmidt. "Das heißt, da gibt es Leute, die dann Abteilungsleiter sind, Trainer sind, im Präsidium sitzen. Und das führt halt dazu, dass die Belastung für den Einzelnen höher wird."
- Zum Artikel: Verzweifelt gesucht: Ehrenamtliche Vorstände im Sportverein
Professionelle Unterstützung für Ehrenamtliche
In Deuerling im Landkreis Regensburg koordiniert Gaby von Rhein die Freiwilligenprojekte, wie etwa das Repair Café, das engagierte Bürger in der kleinen Gemeinde gegründet haben. Von Rhein ist überzeugt, dass Menschen in Krisenzeiten zusammenhalten – wenn sie nicht allein gelassen werden. "Das bürgerschaftliche Engagement ist da. Es hat es gerade sehr schwer, wie wir alle", sagt von Rhein. "Und dazu sind wir im Landkreis angetreten und haben versucht, Projekte aufzuziehen, wo wir speziell Vereine unterstützen können, dass sie Ehrenamtliche finden, oder bei anderen Problematiken wie die Vorstandsnachfolge, engagierte Mitglieder, ihre Öffentlichkeitsarbeit professioneller aufs Gleis zu setzen, wenn sie das möchten." Dafür bietet von Rhein Coaching und Supervision an. Im Repair Café läuft es schon gut. Aus dem ganzen Landkreis kommen Menschen, um sich Kleidungsstücke oder Elektrogeräte reparieren zu lassen.
Das Café hat sich zu einem Treffpunkt in der Gemeinde entwickelt. Damit sich das Repair Café mit anderen Initiativen in ganz Bayern vernetzt, gibt es seit Oktober eine neue Plattform im Internet: "Freilich" wird vom Freistaat Bayern und der Aktion Mensch unterstützt. So können neue Mitarbeitende gewonnen werden. Man müsse inzwischen digital präsent sein, um Leute, die sich engagieren möchten, dort abzuholen, wo sie unterwegs seien. "Wenn ich junge Leute abholen will, kann ich das nicht über das örtliche Gemeindeblatt in der Regel machen, sondern dann mach ich das über Social Media", erklärt von Rhein.
Nachwuchssorgen bei der Feuerwehr
Vor Ort ist der ehrenamtliche Einsatz bei der Feuerwehr lebenswichtig. Denn nur in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern gibt es in Bayern eine Berufsfeuerwehr. Den größten Teil stemmen freiwillige Feuerwehren. Auf dem Land engagieren sich insgesamt mehr Menschen ehrenamtlich als in der Stadt. Doch wie lange noch können sie in kleinen Gemeinden schützen, bergen, retten und löschen?
"Es wird immer schwieriger werden, Jugendliche oder neue Mitglieder zu werben durch den Generationswechsel", sagt Markus Weinbeck, Stadtbrandinspektor der Freiwilligen Feuerwehr Regensburg. "Es ist ein Riesenangebot in jedem Ort mit Schützenverein, Fußballverein. Wir müssen schauen, aber es kann zu Engpässen kommen."
Wo können sich Interessierte über Ehrenämter informieren?
Die LAGFA (Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen und Koordinierungszentren Bürgerschaftlichen Engagements in Bayern) ist die Koordinationsstelle für Freiwilligenagenturen in Bayern. Diese Freiwilligenagenturen beraten Interessierte und können passende Projekte vorschlagen. Auf der Homepage der LAGFA finden sich die nächstgelegenen Freiwilligenagenturen.
Das LBE (Landesnetzwerk Bürgerliches Engagement Bayern) umfasst eine Sammlung an Projekten, die nach Kategorien sortiert sind. Interessierte können darin gezielt nach ehrenamtlichen Aufgaben suchen.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!
"Das ist die Europäische Perspektive bei BR24."