Die Hinzuverdienstgrenzen für Frührentnerinnen und Frührentner sind zum neuen Jahr weggefallen. Das Bundesarbeitsministerium will so den Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand flexibler gestalten. Der Sozialverband VdK bemängelt allerdings, dass ärmere Menschen mit oftmals körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten wenig bis nichts von dieser Flexibilisierung hätten.
VdK: Rentensystem braucht Generalsanierung
Die Präsidentin des VdK, Verena Bentele, erklärte im Interview mit dem BR, viele Menschen würden in Frührente gehen, gerade weil sie nicht mehr arbeiten können. Da würden auch Hinzuverdienstmöglichkeiten wenig bringen. Um mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen, sei es daher wichtiger, das Rentensystem ganz grundlegend so umzustrukturieren, dass alle, die davon profitieren, während ihres Erwerbslebens auch einzahlen.
Insbesondere zielte Bentele auf Selbständige, Beamte oder Politikerinnen und Politiker ab. Außerdem müsse der Mindestlohn mindestens bei 14 Euro pro Stunde liegen. Nur so könne mit genügend Erwerbsjahren eine Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus erarbeitet werden, so Bentele weiter.
Fachkräfte haben eher Vorteil von Hinzuverdienstmöglichkeiten
Genügend Rente dank Erwerbsarbeit? Das wünscht sich auch Günther Pichlmeier. Er engagiert sich allerdings in keinem sozialen Verein und ist auch kein Experte für das deutsche Rentensystem – dafür aber Experte für Buchenstämme. In seinen fast 50 Berufsjahren beim Holzbetrieb Obermeier in Schwindegg bei Mühldorf am Inn hat er sich ein Fachwissen aufgebaut, das er jetzt nicht einfach vergammeln lassen will. Deshalb ist er zwar mit 64 Jahren in Frührente gegangen, seitdem ist er aber weiter als Einkäufer für den Familienbetrieb unterwegs. Und zwar endlich so, wie es für ihn passt.
Pichlmeier ist nicht arm, aber auch nicht reich. Die Luxusgüter in seinem Leben sind sein Eigenheim, das Auto und gelegentlich ein Langlauf-Urlaub mit der Ehefrau. Für ihn ist es wichtig, nicht den Tag mit Warten zu verbringen und als er gehört hat, dass für ihn die Hinzuverdienstgrenze wegfällt, hat Pichlmeier sich gefreut: "Das passt für mich, auf jeden Fall", erzählt er und lacht: "Aber glauben Sie nicht, dass ich hier im Sommer ständig aufkreuzen werden, so ist es nicht."
Regelungen waren bisher streng
Wer mit 63 schon in Rente geht, darf neben der staatlichen Rentenzahlung weiterhin arbeiten – das galt schon immer. Allerdings waren diese Hinzuverdienstmöglichkeiten bislang begrenzt. Vor der Pandemie durften nur rund 6.000 Euro dazuverdient werden. Einkommen, das darüber lag, wurde zu großen Teilen versteuert. Zum Jahr 2021 wurde diese Grenze dann angehoben, auf gut 46.000 Euro. Und nun steht es allen Menschen zwischen dem Beginn der Frührente und dem Eintritt in die Regelaltersrente frei, wie viel Geld sie dazuverdienen wollen. Allerdings müssen sie trotzdem Steuern und Sozialabgaben zahlen.
Und das wiederum ärgert Günther Pichlmeier: "Ja, da bin ich sehr enttäuscht von unserem Staat", sagt er. Die Abgaben für die Rentenversicherung und für die Arbeitslosenversicherung, das seien "ganz schöne Beträge", die da weggehen. Deshalb sieht er seinen späten Zuverdienst auch nicht als zusätzliche Absicherung für einen Pflegefall oder finanzielle Schieflagen. Er sei "einfach froh", dass er "noch arbeiten darf und auch noch arbeiten kann."
Erwerbsminderungsrentner dürfen auch mehr Geld dazuverdienen
Denn Hinzuverdienstgrenzen sind auch für Menschen ein Thema, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen. Wer in Deutschland nachweisen kann, dass er oder sie nur noch wenig, also maximal drei Stunden täglich, oder gar nicht mehr arbeiten kann, hat einen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente.
Auch diese Personengruppe darf Geld dazuverdienen, und für sie wurden die Hinzuverdienstgrenzen angehoben. Wer eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erhält, darf rund 35.650 Euro dazuverdienen. Bei Renten wegen voller Erwerbsminderung sind es rund 17.820 Euro.
Bentele: Flexibilisierung lenkt von echten Problemen ab
Dass das keine Selbstverständlichkeit ist, zeigen auch die Zahlen, die Verena Bentele vom VdK dem BR gegenüber präsentiert. So begrüßenswert die Flexibilisierung der Hinzuverdienstmöglichkeiten auch sei, sie helfe nicht bei den echten Problemen, findet die VdK-Präsidentin. Denn ein Drittel der Rentnerinnen und Rentner, die zusätzlich zu staatlichen Rentenzahlungen Geld verdienen, tue das, weil sie sich sonst ihren Lebensunterhalt nicht leisten könnten.
Ein weiteres Beispiel ist die Grundrente. Die sollte eigentlich etwa drei Millionen Menschen dabei helfen, ihre Rentenzahlungen so aufzustocken, dass sie oberhalb des Existenzminimums leben können. Mit entsprechenden Erwerbsjahren sollte das eigentlich unkompliziert gehen. Doch nun sind die Regularien so kompliziert und umfangreich, gerade beim Anrechnen der Erwerbsjahre, dass nur etwa eine Million Rentnerinnen und Rentner von der Grundrente profitieren. Und das auch oft nicht gerade üppig, bemängeln Kritikerinnen und Kritiker immer wieder.
Unternehmen profitieren von erhaltenen Fachkräften
Eine Gruppe gibt es allerdings, die wirklich von den entfallenen Hinzuverdienstgrenzen für Frührentnerinnen und Frührentner profitiert: die Unternehmen. Denn in Zeiten von Fachkräftemangel und geburtenschwachen Ausbildungsjahrgängen sind motivierte und erfahrene Fachkräfte wie der Holz-Einkäufer Günther Pichlmeier Gold wert.
Pichlmeiers Chefin jedenfalls, Ingrid Obermeier-Osl, hält ihren Mitarbeiter für unentbehrlich und sagt: "Unsere Gesellschaft wird sich darauf einstellen müssen, dass wir dieses ganze Know-How nicht einfach verschenken, sondern an die nächsten Generationen weitergeben müssen."
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