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Lieferengpässe: Sind Arzneien in Deutschland zu billig?

Lieferengpässe: Sind Arzneien in Deutschland zu billig?

In der beginnenden Erkältungssaison werden die Warnungen vor Arznei-Lieferengpässen wieder lauter. Und auch die Debatten über die Frage, ob in Deutschland angemessene Preise für Medikamente gezahlt werden. Es kursieren dabei einige Missverständnisse.

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Beim Deutschen Apothekertag Anfang Oktober in München klagten Apothekenbetreiber über den Aufwand, den Arznei-Lieferengpässe für sie mit sich bringen. Immer wieder werden niedrige Arzneipreise, die für Hersteller nicht attraktiv seien, als Grund für solche Engpässe genannt. Gleichzeitig beklagen Krankenkassen steigende Ausgaben für Medikamente. Was auf den ersten Blick widersprüchlich scheint, lässt sich erklären.

Niedriges Preisniveau bei patentfreien Arzneien

Im Schnitt sechs Cent bekämen Arzneihersteller für eine Tagesdosis eines patentfreien Medikaments, so rechnet es der Branchenverband Pro Generika vor. In dem Verband sind Firmen zusammengeschlossen, die Arzneien produzieren, bei denen der Patentschutz abgelaufen ist, die Generika. Über die Frage, wie solche Zahlen zu errechnen sind, gibt es verschiedene Sichtweisen, aber Fachleute sind sich einig: Generika kosten in Deutschland vergleichsweise wenig. Ein Grund dafür liegt darin, dass Krankenkassen seit gut 20 Jahren Rabatte mit den Herstellern aushandeln können. Dadurch sollen die Kosten für die Beitragszahler gedämpft werden.

Die Einsparungen, die die Krankenkassen in Deutschland erzielen, steigern nach Einschätzung des Verbands Pro Generika aber das Risiko, dass Arzneien nicht lieferbar sind. Denn damit sie zu niedrigen Preisen liefern können, hätten die meisten Hersteller einen Großteil ihrer Produktion nach Asien verlagert. Weite Lieferketten erhöhten das Risiko von Lieferengpässen, argumentiert Pro Generika.

Hohe Gesamtausgaben für Arzneien

BR24-User "Hans66" wundert sich über solche Argumente: "Komisch, im europäischen Vergleich sind Medikamente nur in Irland, Belgien und Österreich noch teurer als in Deutschland." Tatsächlich gilt Deutschland bei Arzneipreisen als Hochpreisland, das gilt aber vor allem für patentgeschützte Medikamente. Bei diesen Arzneien gibt es keinen Preiswettbewerb unter verschiedenen Firmen. Internationale Preisvergleiche bei Medikamenten sind allerdings komplex. Denn oft ist es ein Geschäftsgeheimnis, welche Preise öffentliche Gesundheitssysteme an die Industrie zahlen.

Im "Arzneimittel-Kompass 2022", den Forscher verschiedener Universitäten zusammen mit dem Wissenschaftlichen Institut der AOK veröffentlicht haben, kommen die Autoren aber zum Ergebnis: "Häufig sind die Preise einzelner Arzneimittel wie auch das Preisniveau für Arzneimittelgruppen die höchsten in Europa. Dies betrifft insbesondere neue patentgeschützte Arzneimittel." Bei patentgeschützten Medikamenten haben Pharmakonzerne in Deutschland vergleichsweise großen Spielraum bei der Preisgestaltung.

Und patentgeschützte Arzneien tragen nach Daten der Krankenkassen überdurchschnittlich viel dazu bei, dass die Ausgaben für Medikamente steigen. Nach Zahlen der AOKs sind die Gesamtausgaben für Arzneien innerhalb eines Jahrzehnts um 88 Prozent gestiegen. Bei den patentgeschützten Arzneien haben sich die Ausgaben verdoppelt, der Anstieg betrug also 100 Prozent.

Keine Lieferengpässe bei patentgeschützten Arzneien

Diese hohen Preise belasten zwar die Beitragszahler, für Patienten haben sie aber auch Vorteile: Bei teuren, patentgeschützten Medikamenten gibt es so gut wie nie Berichte über Lieferengpässe. Und in Deutschland kommen neue Arzneien weit schneller in die Versorgung als in anderen Staaten. Nach Daten des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen dauert es in Deutschland im Schnitt 47 Tage, bis Patienten ein neu entwickeltes Medikament nach seiner Zulassung erhalten. Der EU-Schnitt ist zehnmal so lange: 474 Tage. Und in etlichen anderen EU-Ländern bringt die Pharmaindustrie manche neuen Arzneien gar nicht in die Versorgung, weil der jeweilige Markt als zu unattraktiv gilt.

Warnung vor Panik bei Engpässen

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sieht gleichzeitig keinen Grund für laute Alarmmeldungen. Ein BfArM-Sprecher betont, es gebe rund 100.000 Medikamente. Bei rund 500 davon sei derzeit ein Engpass gemeldet. Als Engpass gilt es, wenn es Lieferprobleme gibt, die sich aber im Wesentlichen bewältigen lassen. Wenn größere Probleme auftreten, ist von einem "Versorgungsmangel" die Rede. Solche Versorgungsmängel sind seit dem Jahr 2015 insgesamt zwölfmal festgestellt worden.

Kritisch sei es allerdings, wenn es für einen patentfreien Wirkstoff nur noch ein oder zwei Hersteller gibt, erklärt das BfArM. Das war beim Krebsmedikament Tamoxifen der Fall, bei dem Anfang 2022 ein Engpass eintrat. Wochenlang mussten Ärzte, Apotheker und Industrie-Manager Krisenmanagement betreiben. Inzwischen konnte der Tamoxifen-Engpass weitgehend bewältigt werden.

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