Es ist ein Unikat: Seit dem 1.1.2023 gilt in Deutschland das Lieferkettengesetz. Ausschließlich die deutschen Betriebe, die mehr als 3.000 Mitarbeitende beschäftigen, sind damit verpflichtet, ihre direkten Lieferketten zu kontrollieren. In Deutschland betrifft das etwa 700 Unternehmen. Ab dem nächsten Jahr kommen dann noch die hinzu, die mehr als 1.000 Mitarbeitende haben. Bei vielen von ihnen ist die Kritik am Gesetz groß. Nicht-Regierungs-Organisationen hingegen bewerten es als Meilenstein für den Welthandel.
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Nachhaltigkeit ja, aber richtig
Wie das Lieferkettengesetz beurteilt wird, hängt also von der jeweiligen Perspektive ab. Das Gesetz verursache einen "gewissen Aufwand" und er könne den "Kosten-Nutzen-Effekt nicht wirklich sehen", sagt beispielsweise Christian Lau. Er ist der operative Geschäftsführer bei Multivac, einem Maschinenbau-Unternehmen aus dem Allgäu, das seit einigen Wochen seine Zulieferer überprüfen muss und dafür etwa acht Mitarbeitende in Vollzeit beschäftigt.
Meike Frese von der Agentur Fährmann entgegnet: "Das ist die einfachste Definition von Nachhaltigkeit." Frese berät seit Jahren Unternehmen zu Nachhaltigkeitsthemen und sieht mehr als den "gewissen Aufwand" – nämlich einen Paradigmenwechsel in der Weltwirtschaft. Das Gesetz verpflichte Unternehmerinnen und Unternehmer einen Leitsatz zu verinnerlichen: "Heute nicht auf Kosten von morgen. Und hier nicht auf Kosten von anderswo."
Deutsche Unternehmen müssen chinesische Zulieferer kontrollieren
Das Lieferketten-Sorgfalts-Pflichten-Gesetz (LkSG), wie es voll ausgeschrieben heißt, hat zum Ziel, Menschenrechte zu schützen und Umweltzerstörung zu verringern. Dafür sollen die weltweiten Lieferketten transparenter werden – und vor allem durchlässiger. Am ehesten kann das nach Auffassung des Gesetzgebers gelingen, wenn Beschwerden über schlechte Arbeitsbedingungen nach oben entlang der Lieferketten weitergeleitet werden können.
Konkret heißt das: Enthält beispielsweise der Betreiber einer chinesischen Erzmine seinen Arbeitern den Lohn vor, dann müssen diese Arbeiter eine Möglichkeit haben, eine Beschwerde an die Abnehmer des Erzes zu richten – in dem Beispiel könnte das das Allgäuer Maschinenbau-Unternehmen Multivac sein.
Aus Freiwilligkeit wurde im Lieferkettengesetz Handlungspflicht
Erreicht Multivac nun diese Beschwerde, sei es über Nicht-Regierungs-Organisationen, durch Risikoprüfungen oder ähnliches, dann ist das Unternehmen dazu verpflichtet, dieser Beschwerde nachzugehen und einen vorher festgelegten Fahrplan zu verfolgen, um das Problem aus dem Weg zu räumen. Damit künftig die Löhne pünktlich ausgezahlt werden. Diese Handlungs-Verpflichtung ist neu, bisher basierte all das auf Freiwilligkeit.
Nun betonen alle Unternehmen, die zu dem Thema sprechen, dass Ausbeutung, Lohnsklaverei, schlechte Arbeitsschutzbedingungen, Kinderarbeit oder Umweltzerstörung abgeschafft gehören. Ihr Frust richtet sich also zunächst nicht gegen das LkSG selbst, sondern gegen dessen Ausgestaltung.
Denn um die Lieferketten transparent zu machen, müssen alle Zulieferer überprüft werden. Bei einem Unternehmen wie Multivac bedeutet das: 1.500 Fragebögen mit jeweils etwa acht Seiten, auf denen abgefragt wird, ob die Beschäftigten eine Beschwerdestelle haben, oder Zugang zu fließendem Wasser und sanitären Anlagen. Bei einem weit entfernten Zulieferer in einem armen Land mögen das nachvollziehbare Fragen sein – für den Catering-Zulieferer aus dem Nachbardorf aber eher nicht, argumentiert man bei Multivac.
Nur die überprüfen, bei denen auch Verdacht besteht
Christian Lau würde sich deshalb wünschen, er müsste nur jene Zulieferer überprüfen, bei denen es wirklich einen begründeten Verdacht gibt. Er schätzt, dass er dann etwa zwei Drittel weniger Aufwand hätte. Und Aufwand meint: Ansprechpartner beim Zulieferer identifizieren, Fragebogen verschicken, Antwort abwarten oder einfordern, dann prüfen und schließlich abheften. Was passiert, wenn wirklich mal eine Beschwerde auftaucht – den Fall mussten sie bislang nicht durchspielen.
Hinzu kommt, dass momentan auch viele mittelständische Unternehmen mit dem Lieferkettengesetz beschäftigt sind – obwohl sie ja mit weniger als 3.000 Beschäftigten noch gar nicht offiziell darunterfallen. Der Grund ist simpel: Unternehmen wie Multivac haben viele Zulieferer aus dem Mittelstand und müssen dort auch abfragen. So entsteht also auch beim Catering-Zulieferer aus dem Nachbardorf ein Mehraufwand, der sich nicht direkt in Geld auszahlt.
Nachhaltigkeit bleibt großes Thema
Die Unternehmensberaterin Meike Frese begegnet diesem Einwand mit Verständnis, aber auch mit einer klaren Haltung: "Ja, es ist ein Zusatzaufwand. Aber wir leben schlicht und ergreifend in Zeiten hinein, in denen Unternehmen in Bezug auf ihre ökologischen und sozialen Auswirkungen ihres Tuns einfach Aufwände haben." Schließlich gehe das Thema Nachhaltigkeit nicht mehr weg, ähnlich, wie einst die Digitalisierung. Deshalb fordert sie die Unternehmen dazu auf, jetzt einen konstruktiven Umgang mit dem Gesetz zu finden.
Auch die Angst davor, Betriebsgeheimnisse offenbaren zu müssen, teilt sie nur bedingt. Viel wertvoller sei es doch, mittelfristig Synergien zu entwickeln, sodass deutsche Unternehmen, die gleiche Zulieferer haben, gemeinsam die Risikoprüfung vornehmen und so auch einen viel stärkeren Handlungsdruck aufbauen können.
Expertin: Deutschland wird Wettbewerbsvorteil haben
Die Beraterin Frese glaubt, dass Deutschland in fünf bis zehn Jahren einen Wettbewerbsvorteil haben wird, zumindest im europäischen Vergleich. Denn schon jetzt gibt es EU-Pläne für ein europaweites Lieferkettengesetz – und das soll noch deutlich strenger ausfallen als das deutsche. Bei Multivac geht man nicht davon aus, dass der Welthandel in diesem Zeitraum signifikant nachhaltiger geworden ist. Wer von beiden Recht behält, das wird sich erst zeigen, wenn das Gesetz seine volle Wirkung entfaltet hat.
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Mit Informationen von dpa, afp und Reuters.
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