Das Olympiadorf in München (Archivaufnahme)
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Olympischer Geist: Freundschaft über Grenzen hinweg

Olympischer Geist: Freundschaft über Grenzen hinweg

Im Jahr 1972 waren im Münchner Olympiadorf die Olympia-Sportler untergebracht. Der völkerverbindende Geist von damals ist auch heute noch im "Olydorf" zu spüren. Dort entstehen wie vor 50 Jahren immer noch Freundschaften, die Grenzen überwinden.

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Wer durch das Münchner Olympiadorf geht, begibt sich auf eine Zeitreise zurück ins Jahr 1972, als die Olympischen Sommerspiele in München stattfanden. Auch 50 später ist es ein Ort, an dem internationale Freundschaften entstehen.

Olympiadorf heute: 2.000 Studierende aus 98 Ländern

Die Studentenwohnanlage direkt neben dem Münchner Olympiastadion wird von den Bewohnern liebevoll "Olydorf" genannt. Es ist ein ganz besonderes "Dorf", denn hier wohnen etwa 2.000 Studierende aus 98 verschiedenen Ländern. Konfliktpotenzial gäbe es dadurch genug.

Das weiß auch die junge Türkin Deyra, die seit Wochen ein Fest für alle Studierenden im Olympiadorf zum 50. Jubiläum der Olympischen Spiele organisiert. Im Organisationsteam arbeiten junge Leute aus zwölf verschiedenen Nationen Hand in Hand. "Ich weiß leider nicht immer wer von welchem Land kommt", sagt Deyra. "Das fragt man bei uns tatsächlich nicht so oft, weil das macht keinen Unterschied. Das klappt auf jeden Fall reibungslos. Ich habe da selber nie ein Problem erlebt."

Klaus Wolfermann schrieb Geschichte in München

Deyra war noch gar nicht geboren, als Klaus Wolfermann 1972 im Münchner Olympiastadion Sportgeschichte schrieb und den Grundstein für eine Freundschaft gegen jeden Widerstand legte – damals alles andere als selbstverständlich. 1972 gewann Wolfermann Gold im Speerwurf, war Weltrekordhalter, sechsmal deutscher Meister, Europacupsieger, Speerwerfer des Jahrhunderts.

"Mit mir freuten sich viele, viele Zuschauer. Waren ja damals 80.000. Haben meinen Namen geschrien. Das muss man sich mal vorstellen", erinnert sich Wolfermann. Sein größter Konkurrent kam aus einem damals feindlichen Regime: Der Lette Janis Lusis, der für die damalige Sowjetunion startete. Das Speerwerfen 1972 war ein Duell Ost gegen West. Demokratie gegen Kommunismus.

Freundschaft trotz politischer Widrigkeiten

Mit seinem fünften Wurf schrieb Wolfermann Geschichte: Sein Speer flog 90,48 Meter weit. Keiner konnte ihn mehr einholen. Auch Lusis nicht. Dennoch: Ost und West lagen sich in den Armen. Wolfermann flüsterte Lusis etwas zu. Ein lebensverändernder Moment. "Ich habe mich schlicht und einfach entschuldigt", sagt Wolfermann. "Ich habe gesagt: 'Janis, es tut mir leid, dass ich gewonnen habe!' und er hat gesagt: 'Macht nichts, ich habe ja in Mexiko schon die Goldmedaille gewonnen. Es passt schon.'"

Zwei konkurrierende Athleten, die durch den eisernen Vorhang und zwei politische Lager getrennt waren, suchten fortan einen Weg für ihre Freundschaft trotz aller politischen Widrigkeiten.

Grenzen überwinden im Olympiadorf

Solche Geschichten werden auch heute noch im Olympiadorf geschrieben. Die 23-jährige Deyra ist Türkin. Seit drei Jahren studiert sie in München Maschinenbau. Hier hat sie ihren Freund Andi kennengelernt. Seine Mutter ist halb Russin, halb Ukrainerin. Sein Vater halb Deutscher, halb Russe. Er selbst ist in Garmisch geboren. Die aktuelle Politik kann ihre Gefühle zueinander nicht beeinflussen.

"Ich finde es geht um die Person und nicht um die Nationalität. Das lernt man auch im Dorf, dass die Person vor der Nationalität steht. Egal, welche es ist.", sagt Andi. "Es ist auch ab und zu mal schön, dass man nicht dieselbe Kultur hat, dass man Sachen einander weitergibt", ergänzt Deyra. "Zum Beispiel finden wir immer heraus, dass türkisches und russisches Essen eigentlich so ähnlich ist. Wenn es irgendwas im türkischen Essen gibt, gibt's das auch im Russischen in einer anderen Form. Es ist fast das Gleiche, nur anders."

Ein halbes Jahrhundert internationaler Freundschaft

Knapp einen Kilometer entfernt durchstreift Wolfermann den Ort, an dem viele Erinnerungen erwachen. Schöne und traurige – vor zwei Jahren starb sein lettischer Freund Janis Lusis. "Er war viel zuhause bei mir in Burgkirchen an der Alz. Und was er mit Vorliebe gemacht hat, ebenso mein Schwiegervater, die haben mich dann angezettelt mit ihnen zum Angeln zu gehen", erzählt Wolfermann.

In dem halben Jahrhundert Freundschaft hatten sich die beiden immer wieder gesehen – und gemeinsam schon viele Hindernisse überwunden. Denn während des Kalten Krieges war die Freundschaft eine Herausforderung. Lusis sagte damals zu Wolfermann: "Mir war es eigentlich gar nicht erlaubt privat über die Grenze zu reisen. Aber du hast mir mit dem Visum geholfen."

"Das war eine Situation, die hat es bis dahin noch nicht gegeben. Im Sport. Egal welche Sportart auch immer. Er konnte mit seiner Frau Elvira bei mir unten in Burgkirchen, Gendorf, einfach bleiben. Kommen und bleiben – und sich frei bewegen", erinnert sich Wolfermann. Unmögliches möglich machen, das will Wolfermann immer noch. Seine Bekanntheit nutzt er, um Kindern bei Organtransplantationen zu helfen.

Olympia kann Dinge verändern

Den Geist von Olympia hat Wolfermann gespürt, damals im Olympiadorf. Deshalb sind ihm internationale Freundschaften über alle Grenzen hinweg bis heute ein Anliegen. "Hier hat sich die Gemeinschaft getroffen. Hier hat man nicht die Zeit verbracht für Training, Wettkampf, sondern da haben sich am Abend die Athleten gefunden. Ob bei Musik oder einem Eis. Haben sich unterhalten haben sich ausgetauscht. 'Wie trainierst Du?', 'Wo wohnst Du?', 'Wie schaut es bei euch im Land aus?' Das ist das Phänomen, warum so viele bei den Olympischen Spielen dabei sein wollen."

Wolfermann und Lusis haben den Olympischen Geist der Völkerverständigung gelebt. Und er lebt weiter durch Menschen wie Deyra. Sie und ihr Team haben Kabel gelegt, Bands organisiert, Fässer geschleppt, einen Pool aufgestellt, tagelang durchgearbeitet. Es hat sich gelohnt. Wieder rücken die Studierenden ein Stück näher zusammen. Freundschaften fürs Leben entstehen im "Olydorf". Auch 50 Jahre nach Olympia.

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