Eine Physiotherapeutin massiert eine Patientin
Bildrechte: dpa-Bildfunk/MH
Audiobeitrag

Viele Praxen für Physiotherapie finden kein Personal. Das liegt vor allem an den niedrigen Gehältern. (Symbolbild)

Audiobeitrag
> Wirtschaft >

Personalmangel Physiotherapie: Patientenversorgung in Gefahr

Personalmangel Physiotherapie: Patientenversorgung in Gefahr

Mehr als acht Monate dauert es im Schnitt, bis in der Physiotherapiebranche eine offene Stelle besetzt werden kann – und damit wesentlich länger als in der Pflege. Viele Praxen finden kein Personal. Woran das liegt.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Niederbayern und Oberpfalz am .

Zwischen Supermarkt und Gartencenter tut sich im Straubinger Osten ein modernes, weißes Gebäude auf. Im Schaufenster hängt unübersehbar ein Zettel: "Mitarbeiter gesucht". Es ist die Praxis von Gerhard Boiger. Seit fast 30 Jahren ist der Mann mit der Brille und den kräftigen Armen Physiotherapeut. 1994 schloss er die Ausbildung ab, fünf Jahre später machte sich der gebürtige Straubinger selbstständig. Zunächst auf dem Land, ab 2013 in seiner Heimatstadt. Der Unternehmer hat hier Praxen an zwei Standorten aufgebaut, die er "Therapie Süd" und "Therapie Ost" nennt. Doch nun ist er an einem traurigen Punkt seiner Karriere angekommen.

Personalmangel führt zu Praxisschließung

"Ich muss meinen Standort 'Therapie Süd' wegen Personalmangels zum Jahresende schließen", erzählt Boiger, "die Fixkosten fressen einen förmlich auf". Schon in seiner Anfangszeit sei das Personal recht knapp gewesen. Doch damals sei es ihm gelungen, mit seiner schön ausgestalteten Praxis Mitarbeiter zu gewinnen. Vor allem in den letzten zwei Jahren habe sich die Situation dramatisch verschlechtert.

Anzeigen im Internet, über die Bundesagentur für Arbeit, über Mundpropaganda – nichts habe geholfen. In diesem Zeitraum hat der 49-Jährige nur eine Mitarbeiterin einstellen können und lediglich eine weitere Bewerbung erhalten. Nun konzentriert sich Boiger mit seinen vier verbliebenen, angestellten Therapeuten auf die "Therapie Ost".

Stellen bleiben über acht Monate unbesetzt

252 Tage, also über acht Monate, benötigt die Branche aktuell im Schnitt, um eine offene Stelle zu besetzen. Das ist eine um 60 Tage längere Vakanzzeit als in der Pflege beispielsweise. Doch warum tut sich gerade die Physiotherapie so schwer, neues Personal zu gewinnen? Für Gerhard Boiger liegt das klar auf der Hand: "Das Gehalt, das am Schluss übrigbleibt, wenn man als Angestellter arbeitet, ist nicht so attraktiv im Vergleich mit der Industrie, weil pro Patient nur eine gewisse Summe von den gesetzlichen Kassen erwirtschaftet werden kann." Für 15 Minuten Krankengymnastik sind das beispielsweise 26,12 Euro brutto. Pro Hausbesuch gibt es gut 20 Euro brutto zusätzlich. Doch sind hiermit unter anderem die Spritkosten und auch der erhöhte zeitliche Aufwand abzudecken.

"Zähe Verhandlungen" über die Gebührenerhöhung

Ortswechsel: In Haar bei München besuchen wir das Büro des bayerischen Landesverbands von Physio Deutschland. Im ersten Stock über einem Drogeriemarkt treffen wir Markus Norys. Norys führt selbst eine Physiotherapiepraxis in Garmisch-Partenkirchen. Er ist Vorsitzender des Landesverbands und Teil der Kommission, die auf Bundesebene mit den Kassen die Vergütungen verhandelt. "Die Verhandlungen sind zäh, aber ich bin zuversichtlich", sagt er.

Man sei in den letzten Jahren schon einen großen Schritt vorwärtsgekommen, aber es genüge noch nicht. Sein Verhandlungsgegner, der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, will dem BR dazu kein Interview geben, verweist aber genauso auf die Gebührenerhöhungen der letzten Jahre. Zum Jahreswechsel könnte es neue Preise für die Leistungen in der Physiotherapie geben, heißt es.

Durchschnittsgehalt 2.800 Euro brutto

Norys sagt, das sei in jedem Fall notwendig, um den Personalmangel zu bekämpfen. Die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit bestätigen das. Denn vor allem wegen der geringen Einnahmen der Praxisinhaber beläuft sich das Durchschnittsgehalt eines angestellten Physiotherapeuten in bayerischen Praxen auf gut 2.800 Euro brutto. Der gesamtdeutsche Schnitt liegt sogar noch darunter.

Nichtsdestotrotz gibt es laut Norys weitere Möglichkeiten, den Beruf wieder attraktiver zu machen. "Mehr Betreuungsplätze für die Kinder, damit man die Mütter auch in den Job bringt mit mehr Stunden. Das ist der andere Punkt. Und der nächste ist: mehr Studienplätze für Physiotherapie." Im Ausland sei es üblich, Physiotherapie zu studieren, man dürfe den Anschluss nicht verlieren. Auch in Deutschland wird seit Jahren darüber diskutiert, ob Physiotherapeuten künftig studieren müssen oder nicht. Durch ein Regelstudium würden sich mehr Aufstiegs- und Spezialisierungsmöglichkeiten ergeben.

Bildrechte: BR/Christian Akber-Sade
Bildbeitrag

Physiotherapeut Gerhard Boiger mit einer Patientin in seiner Praxis.

Terminnot für Patienten

Zurück in Straubing. Auf einer Liege in einem von Gerhard Boigers Praxisräumen sitzt Sybille Peringer. Die selbstständige Friseurin zeigt ihre Narben am Knie. "Ich hatte eine OP, das war ja geplant. Da habe ich vier, fünf Wochen vorher schon angefragt für einen Termin." Doch dann riss sich Peringer im April dieses Jahres die Achillessehne. "Das war natürlich nicht geplant. Da brauchst du eigentlich sofort Lymphdrainage. Und da hast du dann total Schwierigkeiten, dass du dann schnell einen Termin kriegst."

Der Job Physiotherapeut sei in Gesprächen mit den jungen Kunden in ihrem Friseursalon nie ein Thema. "Jeder möchte da gleich in die Großindustrie, weil da das schnelle Geld ist." Ihr bereite das gerade mit Blick auf das Alter Sorge, sagt Peringer. Physiotherapeut Boiger bestätigt das: "Die Patienten werden nicht weniger, ganz im Gegenteil. Aber das Personal, um sie alle schnell zu behandeln, ist einfach nicht da." Ob er sich nochmal vorstellen könne, einen zweiten Standort zu eröffnen, fragen wir ihn am Ende unsers Besuchs. "Klar, ich mache meinen Beruf ja gerne. Aber dazu müssen die Umstände passen." Und das ist in der Physiotherapie momentan offenkundig nicht der Fall.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!