Bewohnerin eines Altenheims mit Betreuer (Symbolbild)
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"Pflege-Bürgerversicherung": Wird Pflege so bezahlbar?

"Pflege-Bürgerversicherung": Wird Pflege so bezahlbar?

Die Pflegekassen stecken tief in Finanzproblemen. Gleichzeitig sind die Eigenanteile von Heimbewohnern auf Rekordniveau. Ein Gutachten von Forschern der Uni Bremen zeigt einen Ausweg aus der Finanzklemme. Der dürfte aber auch für Widerspruch sorgen.

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Eine Pflege-Bürgerversicherung könnte nach Einschätzung des Pflegewissenschaftlers Prof. Heinz Rothgang die Finanzprobleme der Pflegekassen deutlich lindern. Es sei auch bezahlbar, die Pflegeversicherung auf eine Voll-Versicherung umzustellen und so die Eigenanteile der Versicherten spürbar zu verringern, rechnet Rothgang in einem Gutachten vor, das er gemeinsam mit einem Mitarbeiter erstellt hat.

Forderung nach grundlegender Reform der Pfelgeversicherung

Allerdings müssten vor allem Privatversicherte und Besserverdiener spürbar mehr für die Pflegeversicherung aufwenden, wenn die Szenarien umgesetzt würden, die die Wissenschaftler durchgerechnet haben.

In Auftrag gegeben hat das Gutachten das "Bündnis für eine solidarische Pflegevollversicherung", zu dem unter anderem der Paritätische Gesamtverband, die Gewerkschaften Verdi und IG Metall, der Sozialverband Deutschland und der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe angehören. Das Bündnis sieht sich durch das Gutachten in seiner Forderung nach einer grundlegenden Reform der Pflegeversicherung bestärkt.

Experten sehen Konstruktionsfehler

Bei der Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 sind nach Ansicht der Autoren des Gutachtens wichtige Aspekte nicht bedacht worden. So gibt es in der Pflegeversicherung, ebenso wie in der Krankenversicherung, eine Aufteilung in gesetzliche und private Träger.

Privatversicherte nehmen allerdings deutlich weniger Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch als gesetzlich Versicherte, rechnen die Bremer Wissenschaftler vor. Gleichzeitig verfügen Privatversicherte im Schnitt über ein deutlich höheres Einkommen als gesetzlich Versicherte. Beiträge zahlen sie aber nur auf ein Einkommen von derzeit bis zu 66.150 Euro im Jahr, weil hier die Beitragsbemessungsgrenze als Obergrenze greift.

Gemessen an in ihren finanziellen Möglichkeiten müssten gesetzlich Versicherte daher mehr als dreimal soviel aufbringen, um ihr Pflegerisiko abzudecken, wie Privatversicherte, schreibt Heinz Rothgang. Das Bundesverfassungsgericht fordere aber eine "ausgewogene Lastenverteilung" in der Pflegeversicherung.

Von einer solchen Ausgewogenheit, könne "also nicht die Rede sein", findet der Pflegewissenschaftler und folgert: "Vielmehr zeigt sich hier aus Gerechtigkeitsüberlegungen ein deutlicher und dringender Reformbedarf."

"Bürgerversicherung" als Lösungsvorschlag

Als Ausweg aus den Finanzproblemen schlagen die Bremer Forscher eine Pflege-Bürgerversicherung vor, in die die gesamte Bevölkerung einbezogen wird. Außerdem schlagen sie vor, die Beitragsbemessungsgrenze auch in der Pflegeversicherung auf den Wert der Rentenversicherung zu erhöhen. Das wäre eine Anhebung um knapp die Hälfte, auf 96.600 Euro jährlich.

Weil damit wesentlich mehr Einkommen von Besserverdienenden für die Beiträge der Pflegeversicherung herangezogen würde, könnte der Beitragssatz deutlich sinken, rechnen die Wissenschaftler der Uni Bremen vor: Er könnte um rund 0,7 Prozentpunkte niedriger liegen als jetzt, derzeit beträgt der Beitrag zur Pflegeversicherung 3,6 Prozent vom Bruttolohn.

Der finanzielle Spielraum, der sich ergibt, wenn die gesamte Bevölkerung bis zu einer höheren Beitragsbemessungsgrenze in die Pflegeversicherung einzahlt, könnte aber auch genutzt werden, um alle Pflege-Leistungen abzudecken, erklären die Autoren des Gutachtens. Eine solche Pflege-Vollversicherung als Bürgerversicherung müsste dann zwischen 0,1 und 0,4 Prozentpunkten mehr vom Einkommen der Versicherten einziehen als bisher, so die Gutachter.

Skepsis vom PKV-Verband

Der Bremer Forscher Rothgang hat bereits 2019 ähnliche Berechnungen vorgelegt, im Auftrag der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung. Damals übte das Wissenschaftliche Institut der PKV (WIP) deutliche Kritik an dem Papier. Das Institut des Verbands der Privaten Krankenversicherung warnte vor einem "starken Anstieg der Beitragsbelastung", der nicht nur Versicherte, sondern auch ihre Arbeitgeber treffen würde.

Außerdem führe eine Bürger-Vollversicherung in der Pflege "zu einer massiven Belastung der jüngeren Generationen", kritisierte das WIP. Das PKV-Institut warnte deshalb, "dass der Generationenvertrag überdehnt und die jüngeren Generationen mit den Finanzierungslasten überfordert werden".

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