Was, wenn ein Elternteil stirbt und einem die angebotenen Urnen beim Bestatter nicht gefallen? Man baut kurzerhand selbst eine. So hat es Kristina Steinhauf gemacht. Vor zehn Jahren setzte eine Krebserkrankung dem Leben ihres Vaters ein Ende. Damals war Kristina gerade Anfang 20 und machte eine Ausbildung zur Geigenbauerin. "Ich wollte, dass mein Papa ein schönes letztes zu Hause hat", so Steinhauf.
Als sie sich beim Bestatter über die grundsätzlichen Voraussetzungen zur Beschaffenheit einer Urne informierte, habe er ihr geantwortet: Die Aschekapsel, also das Behältnis, in das Krematoriumsmitarbeitende in der Regel die Asche hineinfüllen, müsse hineinpassen. Daneben müsse die Urne verschließbar sowie biologisch abbaubar sein und Schnüre zum Absenken in den Boden haben.
Von der Idee zur Gründerin
Innerhalb von zwei Wochen baute die heute 32-Jährige eine Urne aus Kirschholz. Wegen ihrer gemeinsamen Vorliebe für die Frucht hatte sie mit ihrem Vater einst einen Kirschbaum im Garten gepflanzt. "Ich wollte etwas, das uns verbindet, etwas Persönliches", sagt Kristina Steinhauf. Außerdem schnitzte sie ein Kreuz in die Urne, denn ihr Papa war Theologe.
Es sollte noch ein wenig dauern, bis die Idee heranreifte, sich im Urnengeschäft selbständig zu machen. Anfang 2022 gründete sie mit ihrer Jugendfreundin Katharina Scheidig das Unternehmen "Urnfold". Seitdem ist Falten angesagt, denn sie stellen ihre Produkte aus Papier in Handarbeit her.
Zwei Modelle gibt es. Für das einfachere braucht Kristina Steinhauf etwa 30 Minuten, für das aufwendigere, das gerne mal für eine trendige Lampe gehalten wird, bis zu eineinhalb Stunden. Dabei verändert der längliche Papierbogen auf dem Tisch vor ihr Stück für Stück seine Gestalt.
Falten, Falten, Falten
Zunächst zieht die Gründerin über jeden Knick das Falzbein – ein Werkzeug, das in der traditionellen Papierverarbeitung eingesetzt wird. Es erinnert in seiner Form an eine Feile. Dann geht es an die kleineren Faltungen – hier ist Fingerspitzengefühl gefragt: "Man muss sehr präzise, aber auch vorsichtig und bestimmt sein, sonst knickt das in Richtungen, die man nicht möchte", so die 32-Jährige. "Man muss gleichzeitig halten und falten, das ist das Schwierige."
Trotz Routine bleibt die Arbeit für sie etwas Besonderes: "Ich liebe es einfach, den Prozess zu begleiten, dass aus dem glatten Papier am Ende die Urne wird und ich einfach sehe, was ich gemacht habe. Das ist das Schöne."
Mit eigener Endlichkeit auseinandersetzen
Gerade sind die zwei umgezogen – haben ihr Atelier an einem anderen Standort auf etwa 50 Quadratmetern neu gestaltet. In der einen Ecke wird gewerkelt, in der anderen ist ein Bereich für Fotos eingerichtet. Die Urnen wollen schließlich auch in Szene gesetzt werden – für die Website und Social Media.
"Wir wollen die Leute animieren, über dieses Produkt hinweg mal über den Tod nachzudenken", sagt Kommunikationsdesignerin Katharina Scheidig. "Wenn man sich mit seiner eigenen Endlichkeit auseinandersetzt, lernt man viel über das Leben, auch über seine eigenen Prioritäten."
Außerdem macht es in den Augen der beiden Frauen Sinn, sich mit dem Thema Bestattung rechtzeitig zu beschäftigen, das würde es den Hinterbliebenen in ihrer akuten Trauer erleichtern, Entscheidungen zu treffen. Auch mit verschiedenen Veranstaltungen wollen sie zum Austausch darüber anregen.
75 Prozent Feuerbestattungen in Bayern
Kristina Steinhauf selbst befasst sich in ihrem Studium mit dem Thema Sterben, Tod und Trauer. Im Herbst will sie ihren Master in "Perimortalen Wissenschaften" an der Universität Regensburg abschließen.
Nach Angaben des Bestatterverbands Bayern ist der Anteil an Feuerbestattungen im Freistaat in den vergangenen Jahren stetig gestiegen und liegt derzeit bei etwa 75 Prozent. Bis zu fünf Kilogramm kann die Asche einer oder eines Toten schwer sein, manchmal ist es auch mehr. Für dieses Gewicht müssen auch Papier-Urnen ausgelegt sein.
Kristina Steinhauf und Katharina Scheidig haben mit ihren Modellen schon mehrere Auszeichnungen geholt – vor wenigen Monaten erst eine beim German Design Award.
Papier aus Hanf
Das Papier für ihre Urnen beziehen sie in verschiedenen Ausführungen von einem Hersteller im oberbayerischen Gmund am Tegernsee. Teilweise steckt Hanf drin, aber auch Gras oder Stroh. Nachhaltigkeit ist den beiden Gründerinnen wichtig – sowohl mit Blick auf die Produktion des Papiers, als auch auf dessen Vergänglichkeit in der Erde. Daneben legen sie Wert auf die Möglichkeit zur persönlichen Gestaltung ihrer Urnen.
"Man kann etwas daraufschreiben, sie bemalen, einritzen und mit Blumen bestücken, Nachrichten reinstecken oder mit Duft arbeiten", so Steinhauf.
Kreuzworträtsel-Urne
Solche Verzierungen bleiben aber Sache der Hinterbliebenen des oder der Toten. Kristina Steinhauf und Katharina Scheidig falten die Urnen lediglich und verkaufen sie so über Bestattungsinstitute. Dennoch bekommen sie ab und an mit, wie sie verziert wurden.
So hat zum Beispiel eine Familie an der Urne für die Asche der gestorbenen Oma Kreuzworträtsel angebracht, weil sie die so gerne im Sessel sitzend gemacht hatte, erzählt Steinhauf. Und auch das eine oder andere Haustier hat in ihren Urnen schon die letzte Ruhe gefunden, darunter ein Hund aus Berlin namens Struppi.
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