Das Urteil ist gefallen: Die AfD ist zu Recht als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft und darf weiterhin beobachtet werden. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster jetzt entschieden. Was bedeutet das für die Partei und wie geht es weiter? Ein Überblick.
AfD rechtsextremistischer Verdachtsfall – warum?
Zur Einordnung: Die AfD wurde bereits vom Verfassungsschutz beobachtet. Mit dem Urteil ist jetzt bestätigt, dass die Partei weiterhin beobachtet werden darf. Warum? Die Richter haben Äußerungen von AfD-Politikern sowie das Parteiprogramm untersucht. Demnach gibt es genügend Anhaltspunkte, die belegen, dass die AfD verfassungsfeindliche Ziele anstrebt – und dass es sich bei rechtsextremen Aussagen in der AfD nicht um entgleiste Einzelmeinungen handelt, sondern diese prägend für die gesamte Partei sind.
Das heißt: AfD-Politiker verstoßen wiederholt gegen Grundwerte der Verfassung, zum Beispiel gegen die Menschenwürde, wenn öffentlich vor einer "Flutung Europas mit (…) Messermoslems" gewarnt wird. Das Gericht begründet sein Urteil vor allem mit dem Menschenbild, das die AfD verbreite, wonach es Menschen erster und zweiter Klasse je nach Herkunft gebe und das die Frage aufwerfe: Sind für die AfD Deutsche mehr wert als Nicht-Deutsche?
Was tut der Verfassungsschutz jetzt?
Der Verfassungsschutz ist der deutsche Inlandsgeheimdienst: Er beobachtet Extremisten – egal ob rechts, links oder religiös – und muss den Staat vor ihnen schützen. Dafür kann der Verfassungsschutz extremistische Gruppen oder Einzelpersonen drei Kategorien zuordnen: Prüffall, Verdachtsfall oder Beobachtungsfall ("gesichert extremistisch").
Die Einstufung der AfD als "rechtsextremer Verdachtsfall" ist Stufe zwei von drei. Dem Verfassungsschutz stehen mit dieser Einstufung mehr Mittel zur Verfügung, die AfD geheimdienstlich zu beobachten. Das bedeutet: Die AfD muss beispielsweise mit Spitzeln in den eigenen Reihen rechnen, sogenannte V-Leute, die der Verfassungsschutz in die Partei einschleusen kann, um an Informationen zu gelangen und der Frage nachzugehen: Verfolgt die AfD verfassungsfeindliche Ziele? Im Extremfall kann der Verfassungsschutz auch Telefone überwachen oder einzelne Politiker observieren – das gilt aber als unwahrscheinlich, da extrem hohe Hürden zu nehmen sind.
Was bedeutet die Einstufung für AfD-Mitglieder im Öffentlichen Dienst?
Nur weil die AfD als Verdachtsfall gilt, bedeutet das für AfD-Mitglieder im Öffentlichen Dienst nicht, dass sie ihren Job verlieren. Zur Einordnung: Für Beamte gelten andere Regeln als für andere Arbeitnehmer. Beamte schwören beispielsweise einen Eid aufs Grundgesetz und sind der Verfassung besonders verpflichtet.
Die Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall hat zunächst keine direkten Folgen für AfD-Mitglieder im Öffentlichen Dienst. Solange sie nicht verfassungsfeindlich handeln, drohen auch keine Konsequenzen. Es müsste ohnehin immer einzeln geprüft werden: Ist diese oder jene Person rechtsextrem oder nicht? Falls ja, müssten die Beamten mit Disziplinarverfahren rechnen. Beamte sind beispielsweise Polizisten, Richter oder Lehrer.
Kann sich die AfD gegen die Einstufung wehren?
Zum Teil ja – eine Revision gegen das Urteil beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat das OVG Münster zwar ausgeschlossen. Dagegen kann die AfD aber Beschwerde einlegen. Die Partei hat das bereits angekündigt.
Zur Einordnung: Das Urteil von Münster ist bereits die zweite Instanz, die die Einstufung der AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall bestätigt. Im Jahr 2019 wurde die Partei erstmals als Prüffall – erste Stufe – eingestuft. 2021 folgte die Hochstufung zum Verdachtsfall. Die AfD klagte dagegen – das Verwaltungsgericht Köln wies 2022 diese Klage ab. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat diese Entscheidung jetzt bestätigt.
Wie reagiert die Politik darauf?
Für Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigt das Urteil, "dass wir eine wehrhafte Demokratie sind. Unser Rechtsstaat hat Instrumente, die unsere Demokratie vor Bedrohungen von innen schützen." Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schreibt auf X von einer "wehrhaften Demokratie". Der Rechtsstaat schütze die Demokratie – "auch vor Bedrohungen von innen." Für Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) haben die Verfassungsschutzbehörden die AfD "zu Recht genau im Blick".
AfD-Politiker hingegen kritisieren das Urteil und die Arbeit des Gerichts. So wirft Peter Boehringer, stellvertretender AfD-Bundessprecher, dem Gericht vor: "Hunderten Beweisanträgen nicht nachzugehen, grenzt an Arbeitsverweigerung". Auch die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch schreibt auf X von einem "Unrechtsurteil". Der Bundestagsabgeordnete und stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende, Sebastian Münzenmaier, spricht in einem Video auf der Plattform vom "sogenannten Verfassungsschutz", der zum "Regierungsschutz mutiert" sei.
Wird die AfD jetzt verboten?
Nein. Das Urteil aus Münster hat nichts mit einem Parteiverbot zu tun. Dafür wäre das Bundesverfassungsgericht zuständig.
Aber: Erkenntnisse, die der Verfassungsschutz jetzt gewinnt, könnten auf lange Sicht bei einem möglichen Verbotsverfahren eine wichtige Rolle spielen. Denn: Das Bundesamt für Verfassungsschutz könnte – wenn genügend Informationen und Beweise vorliegen würden – einen weiteren Schritt gehen und die AfD in Stufe drei einordnen: Die Hochstufung zu "gesichert rechtsextrem" wäre die höchste Stufe. Die AfD-Landesverbände Thüringen, Sachsen sowie Sachsen-Anhalt sind bereits vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuft – ebenso die Jugendorganisation der Partei, "Junge Alternative". Die gesamte Partei als "gesichert rechtsextrem" einzuordnen, könnte Grundlage für ein Parteiverbotsverfahren sein.
Seit den Correctiv-Recherchen zum Geheimtreffen von AfD und Rechtsextremen, werden in der Politik Forderungen laut, die AfD zu verbieten. Das Urteil hat die Diskussion jetzt neu entfacht: So hat der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz angekündigt, im Parlament einen Antrag für ein Verbotsverfahren einbringen zu wollen. Für seinen Antrag bräuchte er die Stimmen von fünf Prozent aller Abgeordneten. Sachsens Justizministerin Katja Meier von den Grünen fordert sogar eine Taskforce für ein AfD-Verbotsverfahren.
Die FDP sieht das kritischer: Die frühere FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger warnte vor einem Parteiverbot. Bei X schreibt sie: "Wir müssen die AfD inhaltlich stellen, um ihre Wähler wieder von der Demokratie zu überzeugen."
Im Video: AfD rechtsextremistischer Verdachtsfall - zu Recht
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