Es könnte damit beginnen, dass man den Geldbeutel nicht mehr findet oder plötzlich Schwierigkeiten mit der Orientierung bekommt – was anfangs wie eine kleine Vergesslichkeit aussieht, entpuppt sich womöglich als eine beginnende Demenz. Wie sieht der Alltag mit einem demenzerkrankten Angehörigen aus? Zwei Familien haben dem Bayerischen Rundfunk einen Einblick in ihre Lebenssituationen gewährt.
Fotowettbewerb "Demenz neu sehen"
Ein Hingucker der ganz besonderen Art – Menschen, die an Demenz erkrankt sind – fröhlich, zuversichtlich – auf Großformat. Mehr als 400 Plakate hängen derzeit in ganz München. Unter dem Motto "Demenz neu sehen" wurde vergangenes Jahr ein Fotowettbewerb ausgeschrieben. Die zwei gemeinnützigen Vereine Desideria Care und Retla wollten mit Hilfe des Fotowettbewerbs viele schöne Momente an die Öffentlichkeit bringen, die Familien mit dementen Angehörigen trotz der Demenz-Erkrankung erleben. Ihre "unvergessliche Ausstellung" ist in ganz München zu sehen, denn die Bilder hängen nicht in einem Museum, sondern verteilt in der ganzen Stadt.
Eines der Bilder zeigt den 83-jährigen Walter in seinem Urlaub. Fotografiert hat Tochter Barbara. Das Foto ist vor zwei Jahren im gemeinsamen Urlaub auf Teneriffa entstanden. "Und so waren wir in einem Ferienhaus, wo er sogar in den Garten konnte, das war total eingezäunt. Es konnten weder der Hund noch der Papa abhauen. Das klingt gemein, aber es war so", sagt Barbara Lange.
Seit fünf Jahren ist Walter dement. Die Familie möchte offen mit der Krankheit umgehen - wenn möglich, mit etwas Humor. Doch man könne es nicht immer mit einem Lachen abtun, sagt Walters Ehefrau Christel. "Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn diese Tagespflege nicht wäre, wo mein Mann ja jetzt fünf Tage die Woche hingeht, dann würde ich es wahrscheinlich nicht aushalten. Obwohl ich mich am Anfang dagegen gewehrt habe. Wenn meine Tochter ihn nicht da angemeldet hätte, ich hätte ihn nicht angemeldet."
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Ehemann fragte: "Sag mal, haben wir eigentlich Kinder?"
Christel lebt mit Walter seit über 45 Jahren in Freising. Die drei Kinder sind erwachsen, doch packen mit an, wo es geht, damit Walter weiterhin zuhause bleiben kann. Die Angehörigen sind selbst in einer extremen Belastungssituation und es ist hart, zu spüren, wie die Krankheit fortschreitet. "Es geht so kontinuierlich weiter bergab", berichtet Christel. "Ich frage mich manchmal, für wen hält er mich eigentlich an seiner Seite? Ich glaube einfach, für ihn bin ich eine sehr vertraute Person. Wenn er fernsieht, dann guckt er auch immer so: 'Ist sie noch da?', dieses Vertraute, 'Da ist immer jemand, der auf mich aufpasst'. So wie kleine Kinder: 'Ja wenn du weggehst, wer passt auf mich auf?'"
Tochter Barbara erinnert sich, wie sehr es sie traf, als ihr Vater ihre Mutter fragte: "Sag mal, haben wir eigentlich Kinder?" Das habe sich angefühlt wie ein Tritt in die Magengrube.
Ehemann: "Das tut wahnsinnig weh, das mit ansehen zu müssen"
Auch Robert kümmert sich um eine an Demenz Erkrankte – seine Ehefrau Claudia. Schon mit Mitte 50 bekam sie die Diagnose. "Es ist immer noch Liebe, aber es ist mehr Schutzbefohlenheit natürlich", beschreibt Robert die Situation. "Dieses Gefühl, dass auch meine Frau diese Abhängigkeit immer noch spürt, und das schmerzt sie und das tut wahnsinnig weh, das mit ansehen zu müssen." Um ihr besser beistehen zu können, arbeitet Robert von zuhause aus.
"Das Schwerste ist, dass ich zuschauen muss, wie ein Mensch, der mein bester Freund war und das auch mehrfach bewiesen hat, dass dieser Mensch und sein Geist und seine Persönlichkeit vergehen und ich nichts dagegen machen kann." Robert, Ehemann
"Das Tückische an dieser Krankheit ist, dass sie so wechselhaft ist", sagt Robert. Es gebe Tage, da denke er, es sei eigentlich nichts, und dann gebe es Tage, die seien ganz anders, die seien tragischer, weil ihm dann wieder deutlich werde, wie schwer doch diese Krankheit auf ihnen laste. "Wir können keinen Lebensentwurf entwickeln, weil wir nicht wissen, wo die Krankheit Claudia hinführt, das ist das eine, und das bringt mich mit Anfang 60 natürlich schon aus der Balance, weil irgendwann möchte man ankommen", fügt Robert hinzu.
Und auch der Wunsch sei manchmal unendlich groß, nicht nur die Krankheit zu vergessen, sondern auch danach das Leben mit einem Menschen zu teilen, der nicht krank sei. "Das Unfassbare dieser Krankheit ist nicht nur, dass sie wahnsinnig schwer zu verstehen ist, sondern dass sie eben auch nicht heilbar ist", so Robert.
Gemeinnützige Vereine für bessere Vernetzung von Angehörigen
Eine Möglichkeit, sich auszutauschen, findet Robert bei Desideria Care in München. Der gemeinnützige Verein kümmert sich um Angehörige von Menschen mit Demenz und hält viele Angebote für sie bereit, auch um sie untereinander besser zu vernetzen. "Letztlich ist all das, was wir hier machen, und auch mein Engagement, die Antwort auf meine Erfahrung, die ich als pflegende Angehörige gemacht habe, und deshalb engagiere ich mich dafür, und finde es einfach auch schön, wenn so viele gute Projekte entstehen", sagt Anja Kälin, 2. Vorstand von Desideria Care.
Die Angebote sind Schritte hin zu einer Demenz-freundlicheren Gesellschaft, die offen mit der Volkskrankheit umgeht und in der sich Familien mit ihren erkrankten Angehörigen besser aufgehoben fühlen.
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