Der Schriftzug von Wirecard ist an der damaligen Firmenzentrale des Zahlungsdienstleisters in Aschheim bei München zu sehen.
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Beim ehemaligen Finanzdienstleister Wirecard gab es teils wirre Abläufe. Der frühere Aufsichtsratschef sagt vor dem Landgericht München aus.

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Wirecard: Ex-Aufsichtsratschef berichtet von Konzern-Wirrwarr

Im Wirecard-Prozess ist ein prominenter Zeuge geladen: Ex-Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann. Strafrechtliche Vorwürfe erhebt er nicht – aber seine Schilderungen zeigen, dass bei Wirecard wohl manches anders lief als bei DAX-Konzernen sonst üblich.

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Als Thomas Eichelmann 2019 in den Aufsichtsrat von Wirecard einzieht, hätte er nicht gedacht, "sich in einer Art Spionage-Thriller wiederzufinden". So berichtet es der 58-Jährige am Mittwoch als Zeuge im Wirecard-Strafprozess. Mit ruhiger, sonorer Stimme schildert Eichelmann seine Eindrücke bis zum Zusammenbruch des Zahlungsdienstleisters im Sommer 2020, den er als damaliger Chef des Aufsichtsrats hautnah miterlebte.

Was heute tatsächlich zum Teil ein "Spionage-Thriller" ist – schließlich wird der ehemalige Vertriebschef Jan Marsalek inzwischen mit dem russischen Geheimdienst in Verbindung gebracht – war schon zu Wirecards aktiven Zeiten zumindest ungewöhnlich: Wirecard war nach Eichelmanns Aussagen ein Unternehmen, in dem wohl manches anders lief, als man es von einem DAX-Konzern erwarten würde.

"Fast wie bei einem Shopping-Kanal"

Zwar seien dem Aufsichtsrat "regelmäßig und normal" Zahlen durch den Vorstand präsentiert worden, berichtet Eichelmann vor dem Landgericht München. Zugleich hätten aber auch immer wieder Unterlagen gefehlt, etwa bei der Entscheidung über eine mögliche Firmenübernahme im Frühjahr 2020. "Fast wie bei einem Shopping-Kanal" sei dies abgelaufen. "Wenn ich jetzt nicht zuschlage, dann gibt's keine Waschmaschine mehr zu dem Preis", beschreibt Eichelmann den Vorgang, bei dem er weitere Unterlagen angefordert habe.

Ein anderes Beispiel: die ad hoc-Mitteilung, die Ex-Vorstandschef Markus Braun im April 2020 veröffentlichte. Darin ging es um die laufende Sonderprüfung durch KPMG, die Mängel in der Wirecard-Bilanz ergeben hatte. Doch anstatt diese Mängel zu thematisieren, schrieb Braun, KPMG habe keine belastenden Belege für Bilanzmanipulation gefunden – anders als zuvor mit dem Aufsichtsrat abgesprochen. "Man hat sich über den Dr. Braun geärgert", sagt Eichelmann dazu.

Aufsichtsrat wollte Kompetenzen beschneiden und Marsalek entmachten

Auch deshalb habe der Aufsichtsrat den Plan gefasst, die Zuständigkeiten im Vorstand neu zu ordnen und diesen zu erweitern. Alle Vorstandsverträge wären Ende 2020 ausgelaufen und hätten verlängert werden müssen. Für die Entscheidung darüber habe der Aufsichtsrat das endgültige Ergebnis der KPMG-Untersuchung abwarten wollen. Im Fall von Braun wäre es wahrscheinlich auf eine Verlängerung hinausgelaufen, so Eichelmann, seine Kompetenzen wären nach dem damaligen Diskussionsstand aber beschnitten worden.

Mit Blick auf Marsalek sei die Position dagegen eindeutiger gewesen. Er hätte nach diesen Plänen zwar bei Wirecard verbleiben können, jedoch nicht mehr als Mitglied des Vorstands.

"Ich hatte die klare Meinung, dass ich den Vertrag nicht verlängern wollte und das war auch die vorherrschende Meinung im Aufsichtsrat." Thomas Eichelmann, ehemaliger Wirecard-Aufsichtsratschef

KPMG-Sonderprüfung kam nur langsam voran

Die Sonderprüfung durch KPMG hatte Eichelmann selbst maßgeblich angestoßen. Ihm sei zu Ohren gekommen, dass der vorangegangene Jahresabschluss für 2018 nur sehr kurzfristig zustande gekommen sei. Dies habe er für den folgenden Jahresabschluss vermeiden wollen, um nicht wenige Minuten vor Fristende einen Abschluss unterschreiben zu müssen, "den ich nicht zu 100 Prozent verstanden habe".

Die eigentliche Sonderprüfung sei dann aber auch eher zäh verlaufen – "ein bisschen ein Kuddelmuddel". Je länger die Untersuchung ging, desto mehr sei die Schuld dafür bei Wirecard selbst und dem Vorstand zu suchen. Interview-Termine wurden mehrfach verschoben, Zahlen und Daten teilweise mit monatelanger Verzögerung geliefert – diese damalige Kritik von KPMG teilte Eichelmann im Prozess.

Drittpartnergeschäft als Mittelpunkt im Wirecard-Prozess

Strafrechtliche Vorwürfe gegen Ex-Chef Braun oder andere hat Eichelmann bisher nicht bei seiner Befragung erhoben, die am Donnerstag fortgesetzt werden soll. Auch zum sogenannten Drittpartnergeschäft konnte Eichelmann nur größtenteils bereits Bekanntes berichten. In diesem Geschäftsbereich war 2020 die Lücke von 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz aufgetaucht, was den Betrug ans Licht gebracht und zur Insolvenz von Wirecard geführt hatte.

Streit über Ablauf des Wirecard-Betrugs

Seit Dezember 2022 läuft deshalb vor dem Landgericht München der Prozess gegen Markus Braun und zwei weitere Angeklagte. Doch auch nach 70 Verhandlungstagen sind viele Details des Milliardenbetrugs unklar.

Die Verteidigung des ehemaligen Wirecard-Chefs hat inzwischen Hunderte Beweisanträge gestellt, um die Unschuld ihres Mandaten zu belegen und dafür selbst unzählige E-Mails, Konten und Überweisungen auswerten lassen. Die Staatsanwaltschaft spricht dagegen von "vollmundigen Behauptungen" und einem "Alternativszenario". Sie ist weiter davon überzeugt, dass Braun als Teil einer Bande am Milliardenbetrug bei Wirecard beteiligt war.

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