Der Aktenordner mit Fahndungsfotos des früheren Wirecard-Finanzvorstands Jan Marsalek
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Der Aktenordner mit Fahndungsfotos des früheren Wirecard-Finanzvorstands Jan Marsalek

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Flüchtiger Jan Marsalek: Herr über einen Spionage-Ring?

Hat der frühere Wirecard-Vorstand Jan Marsalek nach seiner Flucht zwischen August 2020 und Februar 2023 einen von Großbritannien aus operierenden Spionage-Ring gesteuert? Diesen Schluss legen nach BR-Informationen britische Gerichtsdokumente nahe.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Eines haben der 45-jährige Geschäftsmann Orlin R. und der frühere Wirecard-Manager Jan Marsalek gemeinsam: die Begeisterung für Technik. Als Marsalek noch im Vorstand des Aschheimer Zahlungsdienstleisters Wirecard die Geschicke leitet, tauschen sich beide regelmäßig per E-Mail über besonders robuste und abhörsichere Mobiltelefone aus. R. schickt Marsalek Fotos von Geräten, die er Marsalek besonders warm ans Herz legen will. R. lebt zu diesem Zeitpunkt schon in Großbritannien.

Nach dem Kollaps von Wirecard im Juni 2020 ist nach und nach einiges über Marsaleks Kontakte zu Geheimdiensten bekannt geworden, außerdem über seine Drähte zu russischen Minensuchtrupps, die in Nahost unterwegs waren. Orlin R. war vor diesem Hintergrund möglicherweise noch viel mehr als nur ein Technik-Nerd, mit dem sich der seit dem 19. Juni 2020 mutmaßlich in Moskau untergetauchte Wirecard-Manager ausgetauscht hat.

Anhörung vor britischem Gericht

Der britische Anklagebehörde Crown Prosecution Service (CPS) beschuldigt Orlin R. und vier weitere bulgarische Staatsbürger der Spionage für Russland – im Zeitraum zwischen dem 30. August 2020 und dem 8. Februar 2023. Drei Beschuldigte sitzen seit Anfang Februar 2023 in Untersuchungshaft. Ihnen soll Anfang des kommenden Jahres der Prozess gemacht werden.

Bei ihrer Festnahme in Großbritannien stellte die Polizei unter anderem mehrere gefälschte Pässe und Führerscheine sicher. Am Vormittag fand dazu vor dem Westminster Magistrates' Court in London eine Anhörung statt. Die drei inhaftierten Beschuldigten waren zugeschaltet.

Den Ermittlungsbehörden zufolge sollen sich die Beschuldigten sowie "eine weitere Person namens Jan Marsalek und andere Unbekannte zusammengeschlossen haben, um Informationen zu sammeln", so der CPS. Hintergrund sei gewesen, "den russischen Staat bei der Durchführung feindseliger Aktionen gegen bestimmte Ziele, einschließlich der möglichen Entführung dieser Ziele, zu unterstützen", schreibt die Behörde weiter. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe.

Marsalek als Drahtzieher des Spionage-Rings?

Dem früheren Wirecard-Manager schreiben die britischen Behörden mit Blick auf die Aktivitäten des "Spionagerings" eine Schlüsselrolle zu. So habe Orlin R. "auf Anweisung von Jan Marsalek" gehandelt. Die vorliegenden Beweise würden zeigen, dass der Ex-Wirecard-Vorstand wiederum als "Vermittler für den russischen Staat" fungiert habe.

Ausgetauscht habe man sich über Telegram, unter anderem über die Beschaffung von technischen Geräten und die Unterstützung bei Hackerangriffen. Der Messengerdienst war schon in seiner Zeit bei Wirecard Marsaleks bevorzugte Kommunikations-Plattform.

Marsalek habe nach CPS-Erkenntnissen zudem R. damit beauftragt, einen Nato-Stützpunkt in Deutschland zu beobachten. Marsaleks Anwalt Frank Eckstein äußerte sich auf Anfrage von BR24 nicht zu den Vorwürfen der britischen Behörden.

Marsalek-Brief sorgte bei Wirecard-Prozess für Unruhe

Nachdem sich Marsalek Ende Juni 2020 von einem österreichischen Kleinflughafen aus zunächst nach Weißrussland und dann mutmaßlich nach Moskau abgesetzt hatte, war es lange ruhig um den Ex-Wirecard-Vorstand.

Ende Juli dieses Jahres gab Marsalek über seinen Anwalt wieder ein Lebenszeichen von sich – in Form eines an das Landgericht München gerichteten Briefes. Dort müssen sich Ex-Wirecard-Vorstand Markus Braun und zwei weitere Angeklagte seit gut einem Dreivierteljahr für ihre Rolle bei der Pleite des früheren DAX-Konzerns verantworten.

Marsalek hatte in dem Schreiben unter anderem mitgeteilt, dass er den Verlauf dieser Verhandlung verfolgt habe. "Gegebenenfalls wird eine ergänzende Stellungnahme zu einem späteren Zeitpunkt zu verschiedenen Themenpunkten […] abgegeben."

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