Es ist der erste Auftritt vor Gericht von Markus Braun – und der ehemalige Wirecard-Chef macht gleich in den ersten Minuten deutlich, wie er die Dinge sieht. "Ich hatte keinerlei Kenntnisse von Fälschungen oder Veruntreuungen", sagt Braun und weist alle Vorwürfe der Anklage zurück.
- Zum Artikel "Wirecard - Chronik eines Skandals"
Er habe sich mit niemandem zu einer Bande zusammengeschlossen, wie es ihm die Staatsanwaltschaft vorwirft. Der 18. Juni 2020, als Wirecard die fehlenden Milliarden in der Bilanz einräumen musste, sei auch für ihn ein "Schockerlebnis" gewesen, ein "Tag des tiefsten Bedauerns", ein "Tag des Schmerzes".
Die Botschaft von Braun ist im Kern eine, die in diesem Verfahren bereits von seinem Verteidiger zu hören war: Hier sitze ein unschuldiges Opfer auf der Anklagebank.
Braun rekapituliert die gesamte Wirecard-Geschichte
An den bisherigen zwölf Verhandlungstagen hatte der ehemalige Wirecard-Chef meist regungslos den anderen Prozessbeteiligten zugehört, das Kinn oft auf die Fingerspitzen gestützt, den Blick an die Wand gegenüber gerichtet. Doch heute spricht Braun. Und er spricht viel.
Bis in seine Kindheit geht der 53-Jährige zurück, erzählt von seiner Schulzeit, vom Geigenunterricht. Und er rollt die Firmengeschichte von Wirecard seit den Anfangstagen auf, bis hin zu kleinsten Details: Zahlungsströme, Treuhandkonten, Börsengang. Zeitweise kann man den Eindruck gewinnen, dass sich hier nicht ein angeklagter Ex-CEO äußert, sondern der Chef eines weiter florierenden DAX-Konzerns, der sein Geschäftsmodell präsentiert.
Braun äußert sich zu Bellenhaus und Marsalek
Und Markus Braun spricht frei, stundenlang, die Stimme ruhig. Im Saal ist er gut zu verstehen, anders als etwa der Mitangeklagte Oliver Bellenhaus im vergangenen Dezember, dessen Aussagen auf den Zuschauerplätzen fast untergingen.
Auch inhaltlich widerspricht Braun dem ehemaligen Dubai-Statthalter immer wieder. So weist er etwa den Vorwurf des "absolutistischen CEO" zurück: Themen seien immer ausdiskutiert worden. Mit Blick auf Jan Marsalek berichtet er von einer "sehr tiefen Vertrauensbasis", auch wenn sich ihr Verhältnis später nur noch auf Berufliches beschränkt habe. Marsalek beschreibt er als talentierten jungen Mann mit überragenden Tech-Fähigkeiten. "Gefühlt war Marsalek ein Glücksgriff", sagt Braun, auch wenn sich das heute anders anhöre.
Marsalek ist als ehemaliges Vorstandsmitglied nach dem Zusammenbruch von Wirecard untergetaucht und wird in Russland vermutet. Dadurch ist er im Prozess ständig präsent – nur seine Rolle mangels eigener Aussagen nie vollends greifbar.
Braun gibt den Erklärer – und macht auch mal einen Witz
Braun dagegen tritt als Erklärer auf, der auch auf Nachfrage gerne noch tiefer in die Details zum Wirecard-Geschäft eintaucht und bereitwillig Auskunft gibt. Die Prozessbeteiligten blickt er dabei reihum an, wie bei einem Vortrag.
Als es technische Probleme mit einer Kamera im Saal gibt, meint der Vorsitzende Richter Markus Födisch, dass sich Braun davon nicht ablenken lassen solle. Dieser antwortet ohne zu zögern und mit einem Schmunzeln: "Ich habe mich noch nie von Kameras ablenken lassen." Leises Gelächter in den Reihen.
Wirecard-Skandal: Ein Betrug, viele Versionen vor Gericht
Das Landgericht München hat für Brauns Aussage und seine Befragung mehrere Tage eingeplant. Als eine Sammlung von "ganz persönlichen Wahrnehmungen" hatte sein Verteidiger Alfred Dierlamm die Einlassung schon vorher angekündigt. Persönlich waren freilich auch die Ausführungen von Oliver Bellenhaus im Dezember – nur in die entgegengesetzte Richtung.
Mit dem Statement von Braun zeigt sich einmal mehr, dass es in diesem Prozess viel um Deutungshoheit gehen wird. Und darum, welcher der vielen Versionen des Bilanzskandals das Gericht am Ende glauben wird. Oder ob es überhaupt eine davon glaubt.
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