Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun (r.)
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Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun (r.) sitzt beim Prozessauftakt neben seinem Anwalt Alfred Dierlamm auf der Anklagebank.

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Wirecard-Prozessauftakt: Säbelrasseln und Schlagabtausch

Beim Prozessauftakt gegen den Ex-Wirecard-Chef, Markus Braun, zeichnet sich ein Schlagabtausch ab. Dessen Anwälte wettern gegen den Kronzeugen. Dieser wiederum stellt seine Aussagebereitschaft in Frage. Der Staatsanwalt sieht eine „kriminelle Bande“.

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Es wird spannend werden. Soviel ist nach dem ersten Prozesstag gegen den früheren Wirecard-Chef Markus Braun und zwei weitere ehemalige Wirecard-Führungskräfte klar. Nach dem - inklusiv Pausen - rund sechseinhalb-stündigen Vortrag der Anklage durch die Staatsanwaltschaft gaben die Verteidiger der Angeklagten noch kurze Erklärungen ab. Dabei zeigte sich: Der Anwälte von Braun zielen wohl darauf ab, den Kronzeugen Oliver Bellenhaus, den früheren Statthalter von Wirecard in Dubai, in Misskredit zu bringen.

Wirecard-Prozess: Kronzeuge stellt Zusammenarbeit mit Staatsanwalt infrage

Die Anwälte von Bellenhaus hatten zuvor dem Gericht einen Vermerk übergeben, wonach ihr Mandant eine Perspektive brauche, beispielsweise eine Aussetzung der Untersuchungshaft während der Hauptversammlung. Bellenhaus überlege, ob er ansonsten seine Kooperationsbereitschaft mit der Staatsanwaltschaft noch beibehalten soll.

Braun-Anwalt: „Kronzeuge will Staatsanwaltschaft erpressen“

Bellenhaus hatte bei der Staatsanwaltschaft weitreichend ausgesagt. Nicht zuletzt seine Hinweise hatten wohl zu der umfassenden Anklage geführt. Allerdings sagte der Vorsitzende Richter, dass eine Verständigung derzeit nicht infrage komme, da Bellenhaus' Angaben erst im Lauf des Prozesses geklärt werden müssten. Die Staatsanwaltschaft habe die Forderung nach Angaben der Verteidiger als Erpressung bewertet. Die Verteidiger hätten das zurückgewiesen, sagte der Richter.

Staatsanwaltschaft: Wirecard-Führungsriege war „kriminelle Bande“

Die Münchner Staatsanwaltschaft hatte bis zum späteren Nachmittag die auf 89 Seiten verkürzte Anklageschrift verlesen. Sie warf dabei Wirecard-Chef Markus Braun und seiner Führungsriege vor, über Jahre hinweg die Bilanzen des einstigen Börsenlieblings gefälscht und dazu milliardenschwere Scheingeschäfte erfunden zu haben. Braun habe sich mit anderen Spitzenmanagern zu einer "Bande" zusammengeschlossen, um das Bild einer erfolgreichen Firma vorzutäuschen, sagte Staatsanwalt Matthias Bühring zum Prozessauftakt vor dem Landgericht München. In Wirklichkeit habe Wirecard Verluste geschrieben und Kredite gebraucht, "um den Kollaps des Unternehmens zu verhindern". Mit den frisierten Geschäftszahlen sollte zudem der Kurs der Wirecard-Aktie in die Höhe getrieben werden.

Anklage: Marktmanipulation, gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Untreue

Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft haben Braun und seine Komplizen jahrelang bewusst zu verhindern versucht, dass die Scheingeschäfte aufflogen. Dazu habe Wirecard angebliche Zahlungsdienstleistungen für Anbieter von Pornographie und Glücksspiel an Drittpartner ausgelagert. Tatsächlich habe das Geschäft mit diesen "Third Party Acquirers" (TPA) nie existiert. Konten mit Erlösen daraus seien fingiert worden. "Mit dieser Vereinbarung legten die Bandenmitglieder das Fundament für die (...) ersonnenen, geplanten und ausgeführten Straftaten der unrichtigen Darstellung, der Marktmanipulation, des gewerbsmäßigen Bandenbetruges und der Untreue", sagte Bühring. Das Trugbild habe auch dazu gedient, Gelder aus dem Unternehmen zu schleusen.

Ex-Wirecard-Chef Braun: spindeldürr, wortlos

Der 53-jährige Braun hatte aus einer Seitentür, die zum angrenzenden Gefängnis führt, schweigend den Gerichtssaal betreten und neben seinen vier Verteidigern Platz genommen. Der Österreicher trug einen dunklen Rollkragenpullover und ein dunkles Sakko. Er hatte einen Laptop in der Hand. Es war sein erster öffentlicher Auftritt seit mehr als zwei Jahren. Braun war nach dem Zusammenbruch von Wirecard im Sommer 2020 in Untersuchungshaft gekommen. Im November desselben Jahres wurde er im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags als Zeuge befragt.

Wirecard-Verhandlungsmarathon bis 2024

Die Beweisaufnahme wird umfangreich und schwierig: Die vierte Strafkammer des Landgerichts München I hat 100 Prozesstage bis Ende 2023 angesetzt. Verhandelt wird in einem bunkerähnlichen unterirdischen Sitzungssaal neben der JVA München-Stadelheim.

Im Gefängnis sitzen sowohl Braun als auch sein voraussichtlicher Widerpart in Untersuchungshaft: Oliver Bellenhaus. Der frühere Leiter der Wirecard-Tochtergesellschaft Cardsystems Middle East in Dubai ist für die Staatsanwaltschaft der Kronzeuge.

Nach Angaben seiner Verteidiger im Vorfeld des Prozesses beabsichtigt der frühere Untergebene Brauns, "sein kooperatives Verhalten als Kronzeuge auch in der Hauptverhandlung fortzusetzen". Wie im Untersuchungsausschuss des Bundestags angekündigt, werde er sich seiner Verantwortung stellen. Allerdings haben die Bellenhaus-Anwälte dessen Aussagebereitschaft nun infrage gestellt und auf eine Perspektive ihres Mandaten gedrängt. Sie brachten eine Aussetzung der Untersuchungshaft ins Spiel. Der dritte Angeklagte ist der frühere Chefbuchhalter des Konzerns.

  • Zum Artikel: Wirecard: Umfassende Aussage von Kronzeuge Bellenhaus erwartet

Mit gefälschten Bilanzen zum DAX-Konzern?

Wirecard meldete Jahr für Jahr rasant steigende Umsätze. 2018 stieg das IT-Unternehmen in den Dax auf. An der Frankfurter Börse war der Konzern zwischenzeitlich über 20 Milliarden Euro wert. Braun war mit einem Anteil von sieben Prozent größter Aktionär und wurde auf diese Weise zum Milliardär.

Der Kollaps kam im Juni 2020 und vernichtete auch Brauns Vermögen zum großen Teil. Nachdem die britische "Financial Times" jahrelang über Ungereimtheiten in den Bilanzen berichtet hatte, räumte das Unternehmen ein, dass 1,9 Milliarden Euro nicht auffindbar waren. Es folgte die Insolvenz. Die Erlöse des Drittpartnergeschäfts waren angeblich auf Treuhandkonten in Südostasien verbucht. Das Geld wird bis heute vermisst.

Braun sieht Veruntreuung durch andere

Braun stellt dies anders dar: Wie er zuvor durch seinen Anwalt mitteilen ließ, hätten die auf den Treuhandkonten verbuchten Gelder existiert, seien aber veruntreut worden. Er beschuldigt seinen Mitangeklagten Bellenhaus, den ehemaligen Geschäftsführer in Dubai.

"Dass das Drittpartnergeschäft von Wirecard nicht fingiert war, sondern tatsächlich existierte, ist durch auf Kontoauszügen dokumentierte Zahlungsflüsse belegt", heißt es in der Stellungnahme, die Braun gemeinsam mit seinem Verteidiger Alfred Dierlamm ausgearbeitet hat. Darin sind vier Drittpartner-Unternehmen genannt, auf deren inländischen Konten eine Milliarde Euro verbucht sei.

Auch über weitere Firmen sollen demnach Zahlungen im Zusammenhang mit dem Drittpartnergeschäft abgewickelt worden sein. Auf den bis jetzt vorliegenden Konten dieser Unternehmen seien ebenfalls circa eine Milliarde Euro an Einzahlungen im Zusammenhang mit dem Wirecard-Drittpartnergeschäft belegt, heißt es in der Stellungnahme.

Ex-Wirecard-Chef sieht Schuld beim Kronzeugen

Braun erhebt schwere Vorwürfe gegen den mitangeklagten Ex-Chef der Dubaier Tochter: Die Transaktionsdaten aus dem Wirecard-Drittpartnergeschäft mit einem Volumen von mehreren Milliarden Transaktionen pro Jahr seien in einer externen Datenbank verarbeitet worden. Diese Daten seien jedoch nach den Feststellungen der Compliance-Abteilung der Wirecard AG "im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Zusammenbruch" des Unternehmens von dem Manager gelöscht worden.

"Damit wurde dem gesamten Verfahren die Datengrundlage entzogen", heißt es in der Stellungnahme. Braun und Verteidigung schreiben von "belastbaren Anhaltspunkten", dass es sich bei den Zahlungen zu einem sehr erheblichen Teil um der Wirecard AG zustehende Kommissionszahlungen gehandelt habe - "die allerdings nicht dem Treuhandkonto der Wirecard AG zugeführt, sondern veruntreut wurden."

Braun: "Staatsanwaltschaft hat nicht genug ermittelt"

Zahlungsflüsse an Firmen in Hongkong, Antigua, Singapur, British Virgin Islands und sonstige Schattengesellschaften seien belegt. "Die Zahlungsflüsse an diese Veruntreuungsgesellschaften wurden bis heute nicht nachverfolgt", heißt es in der Stellungnahme; darin steckt der Vorwurf, die Staatsanwaltschaft habe nicht genau genug ermittelt. "Dr. Markus Braun war in die Machenschaften, die ausschließlich der Veruntreuung von Geldern der Wirecard AG dienten, nicht involviert und hatte hiervon auch keine Kenntnis."

Ex-Wirecard-Chef: Betrüger oder Betrogener?

Somit müssen der Vorsitzende Richter Markus Födisch und die Kammer klären, ob Braun Betrüger oder Betrogener war. Die Staatsanwaltschaft widerspricht Vorwürfen mangelnder Sorgfalt. Die vollständige Anklage ist 474 Seiten lang, die Akten füllen 700 Bände.

Abgeschlossen sind die Wirecard-Ermittlungen längst nicht, auch wenn nun der Prozess beginnt. Flüchtig ist nach wie vor der frühere Vertriebschef Jan Marsalek, eine weitere Schlüsselfigur.

  • Zum Chronologie "Wirecard - Chronik eines Skandals"

Im Video: BR24live zum Auftakt des Wirecard-Prozesses – alle Hintergrundinformationen

ARCHIV - 19.11.2020, Berlin: Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun sitzt im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags, bevor er seine Aussage macht.     (zu dpa "Ex-Wirecard-Chef vor Prozessbeginn in anderes Gefängnis verlegt") Foto: Fabrizio Bensch/Reuters Images Europe/Pool/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Früherer Wirecard-Vorstandschef Markus Braun

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