Viele Wohnviertel sind leer. Wer kann, verlässt das Erdbebengebiet. Doch nicht alle wollen weg. Manche warten noch darauf, dass Verwandte geborgen werden, auch wenn sie vermutlich nicht überlebt haben.
Andere versuchen, sich vor Ort durchzuschlagen. Für sie wächst mittlerweile eine andere Gefahr. Das Seuchenrisiko in der Erdbebenregion sei groß, sagen Experten. Denn das Beben hat nicht nur Häuser zerstört, sondern auch Wasser und Abwasserleitungen.
Nach dem Beben: Kolibakterien, Typhus oder Diphtherie drohen
Damit drohen lebensgefährliche Krankheiten, sagt Celalettin Kocatürk, der als Chirurg in der Region arbeitet, einem türkischen Nachrichtensender. Die größten Bedürfnisse in der Region seien sauberes Wasser und Toiletten. "Es gibt ernste Probleme mit der Hygiene. Deswegen sind mobile Toiletten, sanitäre Einrichtungen und fließendes Wasser dringend nötig. Andernfalls steigt das Risiko von Erkrankungen durch Kolibakterien, Typhus oder Diphtherie", so Kocatürk.
Hände oder Lebensmittel mit sauberem Wasser waschen – ganz alltägliche Dinge können jetzt Leben retten. Doch unter den Bedingungen im Erdbebengebiet sind sie eine Herausforderung.
Verwesung hat trotz der Winterkälte eingesetzt
Dort, wo die Wasserleitungen noch funktionieren, werde bereits vorgesorgt, sagt Mehmet Enes Gökler, Vizevorsitzender der Generaldirektion für öffentliche Gesundheit. "Wir haben zunächst einmal primär die Wasserspeicher der Krankenhäuser und der Zeltlager gechlort und kontrollieren die Speicher an jenen Orten, wo es Menschenansammlungen gibt durch Proben", sagt Gökler. Doch die gechlorten Leitungen können nur eine Notlösung sein.
Auch die Tausenden noch nicht geborgenen Leichen unter den Trümmern stellen eine Gefahr dar. Denn die Verwesung hat trotz der Winterkälte mittlerweile eingesetzt. Außerdem, wenn Fäkalien und Müll nicht entsorgt werden, wird das Grundwasser immer weiter verschmutzt.
Tetanus- und Tollwutimpfungen benötigt
Chirurg Kocatürk fordert schnelles Handeln von den Behörden: "Darüber hinaus muss das Müllproblem dringend gelöst werden, denn es hat eine ernste Verwesung begonnen. Das schafft gute Voraussetzungen für die Vermehrung von Bakterien und anderen Mikroorganismen. Daraus resultieren andere Probleme, beispielsweise durch Ratten, die sich von den verwesenden Abfällen ernähren und möglicherweise Menschen beißen, weswegen wir unbedingt Tetanus und Tollwutimpfungen benötigen."
Impfdosen seien bereits auf dem Weg in die Region. Das gab am Wochenende das Gesundheitsministerium bekannt. Aber auch andere Krankheiten haben es wegen der schlechten hygienischen Bedingungen im Katastrophengebiet deutlich einfacher, sich auszubreiten. Schon eine leichte Grippe kann lebensgefährlich werden, denn die Krankenhäuser vor Ort sind überlastet, wenn sie überhaupt noch stehen.
Auch Corona auf dem Vormarsch
Und gerade Erkrankungen der Atemwege nähmen zu, sagt Mehmet Ceyhan vom Verband der Infektionsmediziner: "Das Erdbeben ist leider zu einem Zeitpunkt gekommen, an dem Infektionen der Atemwege, Grippe, Lungenentzündungen und auch Corona-Virusinfektionen verbreitet sind. Nun bedenken Sie, unter welchen Voraussetzungen die Menschen dort leben. Sie leben eng zusammen in großen Zelten beispielsweise."
Das seien optimale Bedingungen für die Verbreitung von Infektionskrankheiten, so Ceyhan.
- Zum Artikel: Spenden – Hilfe für die Menschen in der Türkei und in Syrien
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