Eine Haarlocke des Komponisten Ludwig van Beethoven zu haben, sei "ein Glücksfall", meint der Musikpsychologe Reinhard Kopiez. In einem Brief des Musikinstrumentenbauers Johann Andreas Stumpff wurden die Haare des Komponisten gut 200 Jahre lang aufbewahrt und mithilfe anderer ihm zugeschriebenen Haarlocken als authentisch identifiziert. Aus der DNA hatte eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern schon im vergangenen Jahr durch neue Gensequenzierungsmethoden herausgelesen, dass Beethoven eine genetische Veranlagung für Leberversagen hatte. Außerdem war er wenige Monate vor seinem Tod an Hepatitis erkrankt. Beethoven ist also wahrscheinlich – auch wegen seines Alkoholkonsums – an einer Lebererkrankung gestorben. Mit 56 Jahren.
Genetische Veranlagung der Musikalität bei Beethoven?
Doch die Neurowissenschaftlerin Laura Wesseldijk aus Amsterdam hat noch etwas anderes interessiert, als sie die Studie der Kollegen gelesen hat. "Beethoven war bekannt für seine Musikalität und seine Kompositionsfähigkeiten – also kam die Frage auf: Was ist mit seinen 'Musikalitätsgenen'?", erzählt die Wissenschaftlerin BR24. Dafür hat Laura Wesseldijk die DNA von Beethoven mit der DNA von tausenden Zwillingspärchen verglichen, die wiederum Auskunft über ihre Fähigkeit, im Takt zu klatschen, gegeben haben. "Kannst du zu einem Beat klatschen oder nicht? Offensichtlich ist das sehr limitiert", so Wesseldijk. Dies sei jedoch der einzige Marker, über den man bisher ausreichend genetische Daten habe und der zumindest Hinweise auf generelle Musikalität geben könne.
Im Takt klatschen: Beethoven hatte dafür schlechte genetische Veranlagung
So hat die Neurowissenschaftlerin ein im ersten Moment überraschendes Ergebnis erzielt. "Wir haben herausgefunden, dass man praktisch nicht niedriger als Beethoven punkten kann, was seine genetische Veranlagung für Musikalität, beziehungsweise eben die Fähigkeit im Takt zu klatschen, angeht", erklärt Laura Wesseldijk. Beethovens DNA zeige, dass er schlechter sei als 90 Prozent derjenigen in der Vergleichsgruppe.
Was sich irritierend liest, ist für Laura Wesseldijk aber ein guter Beweis. Nämlich, dass einzelne Genmuster für eine Fähigkeit einer einzelnen Person eben nicht die Musikalität vorhersagen können. Auf individueller Ebene könne man diese Art der Vorhersagen nicht treffen.
Bisher noch keine "Musikalitätsgene" gefunden
Die Neurowissenschaftlerin schätzt dennoch mithilfe des Abgleichs von Datensätzen mit Tausenden Zwillingspärchen, dass genetische Veranlagungen zu Unterschieden in der Musikalität beitragen können. Die Gene interagieren aber mit der Umwelt. Zum Beispiel, wenn man in einem musikalischen Umfeld aufwächst, ein Instrument erlernt oder Konzerte besucht. "Das verstärkt dann genetische Einflüsse. Wenn man eine genetische Veranlagung hat, kann man mehr aufblühen, als wenn man sie nicht hat. Das ist eine Interaktion." Musikalität sei eben ein "komplexes Phänomen", so Wesseldijk.
Musikalität wird von "Bündel an Faktoren" bestimmt
Reinhard Kopiez, Musikpsychologe an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover, bestätigt, dass Musikalität von einem Bündel an Faktoren bestimmt wird. Dazu gehöre zum Beispiel die Fähigkeit, Dinge wahrzunehmen, die man nur innerlich hört - also eine Klangvorstellung. Außerdem sei es wichtig, eine Melodie nachsingen zu können oder "auch ganz basal im Takt zu klopfen zu einem Beat". Der Psychologe schätzt, dass individuelle Unterschiede in Musikalität zu drei Vierteln mithilfe von Umweltfaktoren erklärbar sind. Und: dass es besonders auf Lernerfahrungen in der Kindheit ankommt, wenn es um musikalischen Erfolg geht.
Psychologische Forschung: Zwei Voraussetzungen für Musikalität
Hier gebe es laut psychologischer Forschung zwei wichtige Voraussetzungen. "Der frühe Anfang, möglichst vor dem zehnten Lebensjahr. Und zweitens ein langanhaltendes, qualitativ sehr hochwertiges Training oder Unterricht von exzeptionell guten Lehrkräften", so der Psychologe Kopiez. Bei Ludwig van Beethoven sieht man: Diese zwei Voraussetzungen waren auf jeden Fall gegeben. Beethovens Vater war selbst Musiker, der seinen Sohn sehr früh förderte. Außerdem ließ er ihn bei den besten Lehrern unter seinen Kollegen unterrichten. Um sich musikalische Ausnahme-Talente zu erklären, braucht es also eher den Lebenslauf als eine Haarlocke.
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