Asthma bei Kindern ist nicht selten. Etwa jedes dritte Kind leidet bereits in den ersten Lebensjahren an einer frühen Form der Atemwegserkrankung. Dass rund 80 Prozent dieser Kinder einen genetischen Defekt auf dem Chromosom 17 haben, wussten Forscher schon länger. Unklar war aber bisher, warum genau dieser Defekt das Risiko für die Entwicklung von Asthma erhöht.
Ein Forscherteam, an dem maßgeblich Münchner Wissenschaftler beteiligt waren, hat das jetzt herausgefunden. Dem BR erklären Constanze Jakwerth, Erstautorin der Studie sowie Molekularmedizinerin am Helmholtz Zentrum München, Carsten Schmidt-Weber, Leiter der Studie und Direktor des Instituts für Allergieforschung am Helmholtz Zentrum München sowie Nicole Maison, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München, wie es gelungen ist, diesen - laut Schmidt-Weber "Meilenstein" - zu erzielen. Von einem "Meilenstein in der Erforschung von kindlichem Asthma" ist auch in der Pressemitteilung zur Forschungsarbeit (externer Link) auf der Homepage des Helmholtz Zentrums München die Rede.
Asthma bei Kindern: Forschende untersuchten 261 Kinder mit Gendefekt
Weil bei der Entwicklung von Asthma im Kindesalter schon in früheren Studien ein Zusammenhang zwischen Gendefekt und Virusinfektionen vermutet wurde, haben die Wissenschaftler um Jakwerth und Schmidt-Weber für ihre jetzt veröffentlichte Studie (externer Link) das Nasenschleimhautgewebe von 261 Kindern mit Gendefekt untersucht. 78 von ihnen waren gesund, 79 litten laut der Arbeit unter Keuchen im Vorschulalter, 104 waren Asthmatiker.
"Abwehrdefekt" bei Kindern führt zu erhöhtem Asthmarisiko
Um das Erbgut der Kinder genau analysieren zu können, entnahmen ihnen die Forscher mit kleinen Bürstchen einige Zellen aus der Nasenhöhle. So konnten sie mit geringem Aufwand, da wenig invasiv, den Mechanismus in den Zellen der Kinder mit dem bestimmten Gendefekt erforschen und fanden heraus: Der Gendefekt der Kinder verursacht eine erhöhte Expression des Proteins Gasdermin B (GSDMB). Diese erhöhte Bildung des Proteins hat unter anderem zur Folge, dass die Kinder anfälliger für Virusinfektionen sind. Dies erhöht auch ihr Risiko für eine Asthmaerkrankung.
Constanze Jakwerth vom Helmholtz Zentrum München spricht von einem "Abwehrdefekt" der Kinder aufgrund der erhöhten Expression des Proteins GSDMB. "Diese Kinder haben einen Mangel an ganz bestimmten Abwehrmolekülen in den Atemwegen vor Ort und können dadurch Virusinfekte schlechter abwehren als gesunde Kinder", erklärt die Forscherin.
Virusinfekte nicht immer positiv für kindliches Immunsystem
Das Besondere an der Studie ist nicht nur, dass das Forscherteam herausgefunden hat, wieso der Gendefekt zu einem erhöhten Risiko für Asthma führt. Die Arbeit zeigt auch, dass es - entgegen der bisherigen Annahme in der Forschung - nicht positiv ist, ein kindliches Immunsystem mit zahlreichen Virusinfektionen zu belasten. Im Gegenteil. Virusinfektionen können unter bestimmten Voraussetzungen das Risiko für Asthma erhöhen. Nämlich dann, wenn das Immunsystem durch den oben beschriebenen Gendefekt geschwächt ist, wie beim zwölfjährigen Anton.
Ihn betreuen die Ärzte um Nicole Maison vom Haunerschen Kinderspital seit seinem zehnten Lebensmonat. Bronchitiden und Infekte an der Lunge haben den Jungen immer wieder ins Krankenhaus geführt. "[...] wir haben ihn einige Jahre begleitet, jetzt hat er leider ein Asthma entwickelt und es kann auch ohne Infektionen zu schwerer Atemnot kommen", konstatiert die Kinder- und Jugendärztin. Ein Schicksal, das viele Kinder mit dem Gendefekt trifft.
Asthma bei Kindern: Studie liefert Basis für neue Medikamente
Die Studie, die Forscher der TU München, des Zentrums für Allergie und Umwelt (ZAUM) sowie des Helmholtz Zentrums München in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Lungenforschung durchgeführt haben, liefert die Basis für neue Behandlungsmöglichkeiten von Asthma bei Kindern. Das Ziel der Forscher ist, Medikamente zu entwickeln, die Infektionen bei Kindern mit dem bestimmten Gendefekt besser kontrollieren beziehungsweise ganz verhindern.
So hoffen die Forscher aufgrund der neu gewonnenen Erkenntnisse "spezifischere Angriffspunkte für ein Therapeutikum" zu finden, wie Constanze Jakwerth im BR-Interview sagt. Ein Medikament, das spezifischer ansetzt als Cortison, das Mittel, womit Kinder mit Asthma derzeit in der Regel und auch dauerhaft behandelt werden, was aber als breites Immunsuppressivum viele Nebenwirkungen hat.
Bis ein neues, spezifischeres Medikament für Kinder mit Asthma auf den Markt kommt, kann es noch einige Jahre dauern. Sicher ist aber seit der Studie: Die Entwicklung und Funktion des kindlichen Immunsystems muss neu überdacht werden, das weiß auch Erika von Mutius, langjährige Leiterin der Abteilung für Asthma und Allergie am Dr. von Haunerschen Kinderspital. Sie hat lange zu dem Thema geforscht und hat ebenfalls an der jetzt erschienenen Studie mitgearbeitet.
Asthma bei Kindern: Probanden unter sechs Jahren für Studien gesucht
Um weiter zu Asthma bei Kindern forschen zu können, sucht unter anderem das Helmholtz Zentrum München Kinder für die Teilnahme an der sogenannten ALLIANCE-Studie (externer Link).
Gesucht werden Kinder, die zwischen einem halben Jahr und unter sechs Jahre alt sind und bei denen in den vergangenen 12 Monaten bereits zweimal oder häufiger pfeifende oder keuchende Geräusche im Brustkorb auftraten. Eltern bzw. Erziehungsberechtigte können sich unter KIND.ALLIANCE@med.uni-muenchen.de über die Voraussetzungen der Teilnahme informieren.
Im Video: Welt-Asthma-Tag - Studie liefert neue Erkenntnisse
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