In Bayerisch-Schwaben sieht Karin Wudler, Obstbauberaterin am Landwirtschaftsamt Lindau, immer wieder Bäume, die am Birnenverfall leiden. Und zwar auf Streuobstwiesen, in Gärten und im Erwerbsanbau. "Also Birnen in Schwaben sind eigentlich verbreitet befallen und das stellen wir zunächst natürlich anhand dieser frühzeitigen Rotlaubigkeit fest", sagt Wudler.
Wo Birnen sind, ist Birnenverfall
Das Problem beschränkt sich nicht auf Schwaben. Der Birnenverfall (auf englisch "Pear decline") ist inzwischen ein europaweites Phänomen. Schätzungen zufolge sind zum Beispiel in der Schweiz 60 bis 80 Prozent der Hochstamm-Birnbäume davon betroffen.
Nach Auskunft der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft hat der Birnenverfall in ganz Bayern schon um sich gegriffen. Besonders in den letzten Jahren, denn die Auswirkungen des Klimawandels setzen den Birnbäumen zusätzlich zu. "Also im Streuobst ist es so, dass wir feststellen, wenn zusätzliche Stressfaktoren wie Trockenheit dazukommen, dann verläuft diese Symptom-Ausbildung sehr viel schneller."
Nach ein paar Jahren gehen die Bäume ein. Auch im Erwerbsanbau sterben junge Birnbäume am Birnenverfall, sagt Karin Wudler. Experten gehen davon aus, dass der Befall jedoch oft nicht erkannt wird. Der Birnenverfall, eine Krankheit, die von Amerika nach Südeuropa gekommen ist, bedroht ungefähr seit der Jahrtausendwende verstärkt auch unsere Birnbäume. Die befallenen Bäume sterben ab – oft bevor der Befall erkannt wird.
Verdächtig: Rote Blätter schon im August
Wenn sich das Birnbaumlaub bereits im August rot färbt und nicht wie üblich erst im Oktober gelb-orange, kann das ein Zeichen für Birnenverfall sein. Ein schwacher Wuchs oder eine lichte Krone sind weitere Indizien.
Bilden Sorten, die eigentlich große Früchte haben, wie Abate Fetel, Conference oder Alexander Lucas, kleine Birnen, dann deutet das auch auf Birnenverfall hin. Diese Symptome können jedoch auch andere Ursachen haben, hundertprozentige Sicherheit verschafft nur ein PCR-Test im Labor.
Die Erreger: Bakterien ohne Zellwand
Der Birnenverfall wird von Phytoplasmen verursacht, das sind Bakterien ohne Zellwand. Sie verstopfen die Leitungsbahnen in den Birnbäumen und behindern damit den Nährstoff- und Wassertransport. Experten bezeichnen den Birnenverfall auch als "Phytoplasmose".
Übertragen werden die Phytoplasmen hauptsächlich von kleinen Insekten, den Birnenblattsaugern Psylla pyri, Psylla pyricola und Psylla pirisuga. Je wärmer es ist, umso mehr Generationen von bestimmten Birnenblattsaugerarten können in einem Sommer heranwachsen – den Überträgern spielt der Klimawandel also in die Karten, genau wie den Erregern, die sich bei höheren Temperaturen schneller vermehren.
Beobachtung: Es kommt nicht nur auf die Sorte an
Hat der Williams-Christ-Baum mehr Widerstandskraft als die Gute Luise, eine andere alte Birnensorte? "Tafelbirnen sind im Prinzip über alle Sorten hinweg anfällig. Bei den Most- oder Brennbirnen gibt es allerdings Sortenunterschiede", sagt Michael Petruschke. Der Obstbauexperte aus Rheinstetten bei Karlsruhe hat sich beruflich dem Kampf gegen den Birnenverfall verschrieben.
Zu den hoch anfälligen Most- und Brennbirnensorten zählen die Champagner Bratbirne und die Schweizer Wasserbirne. Dagegen sind Palmischbirne, Karcherbirne und Oberösterreichische Weinbirne zum Beispiel offenbar ziemlich resistent. Doch das hilft diesen Bäumen auch nicht richtig viel. Denn die Sortenfrage spielt hier eine untergeordnete Rolle.
Problemzone: Die Wurzel des Birnbaums
Warum ist ein Birnbaum mehr oder weniger anfällig? Darüber entscheidet vor allem die Unterlage des Birnbaums, also die Wurzel mit dem unteren Teil des Stamms, auf die die Sorte – wie Williams Christ oder Gute Luise – veredelt wird.
Warum? Die Phytoplasmen, also die Birnenverfall-Erreger, überwintern in der Wurzel. Und da haben sie bei unseren Streuobst-Birnen ein leichtes Spiel. Denn alle Streuobst-Birnen haben seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs oder noch länger die gleiche Unterlage: Sämlinge von der Kirchensaller-Mostbirne – die hoch anfällig ist für Birnenverfall.
"Ich befürchte, wenn man das nicht ändert, also andere Bäume auf anderen Unterlagen anzieht, dass der Streuobst-Birnenanbau in Zukunft nicht mehr gemacht werden kann", sagt Petruschke. Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein, sie wird von vielen Experten im Großen und Ganzen geteilt. "Man muss da vielleicht manches hinterfragen", sagt auch Johannes Schmitt vom Landesverband des Bundes Deutscher Baumschulen.
Die Lösung: Alte Sorten mit neuen Unterlagen?
Gegenmaßnahmen sind in Sicht, müssen sich allerdings erst noch bewähren. Das Julius-Kühn-Institut macht zum Beispiel Versuche mit einer neu entdeckten Pilzart [externer Link], die die Birnenblattsauger bekämpfen soll.
Michael Petruschke, der Obstbaufachmann aus der Nähe von Karlsruhe, hat vor einigen Jahren zwei Birnen-Unterlagen gefunden, die nach bisherigen Erfahrungen nicht so anfällig sind für den Birnenverfall. Er lässt sie mit seiner Firma Virutherm inzwischen im großen Stil vermehren. Birnbäume auf diesen Unterlagen sind bislang allerdings kaum in den Baumschulen zu bekommen.
Wie schütze ich meinen Birnbaum?
Birnenanbau ist bis auf Weiteres also ein hochriskantes Geschäft, auch im Hausgarten. Kann man gar nichts machen, um seinen Birnbaum gegen den Birnenverfall zu wappnen?
Im Erwerbsanbau ist die Spritzung mit Kaolin, einem Tonmineral, möglich. Die Hobbygärtner sind dagegen völlig abhängig von Mitstreitern. Blumenwanzen und Ohrenhöhler sind die effizientesten Fressfeinde der Birnenblattsauger. "Die räumen ziemlich heftig unter den Birnenblattsaugern auf"; sagt Petruschke. Auch Spinnen und manche Käfer können die Birnenblattsauger dezimieren. Deswegen hilft mehr Artenreichtum zumindest ansatzweise auch gegen den Birnenverfall.
Dieser Artikel ist erstmals am 5.5.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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