Tanja Brunnert ist Kinderärztin in Göttingen. Sie bietet Impftermine an und orientiert sich dabei weitgehend an der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko). Diese empfiehlt den Impfstoff bei Kindern nur für bestimmte Risikogruppen mit Vorerkrankungen. Brunnert ist der Meinung, dass die Stiko sehr streng sei in ihrer Empfehlung für die Zwölf- bis 17-Jährigen. Und sie denkt, das werde in vielen Praxen nicht so wahnsinnig streng ausgelegt. Aber prinzipiell soll der Fokus erst einmal auf der Impfung der Erkrankten liegen.
Gemeint sind Kinder mit Vorerkrankungen wie Adipositas, Immundefizienz, Herzfehler, chronischen Lungenerkrankungen, bösartigen Tumorerkrankungen, Trisomie 21, chronischer Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus. All diese von Erkrankungen betroffenen Kinder haben in der Regel ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung.
Darüber hinaus empfiehlt die Stiko die Impfung bei Kindern und Jugendlichen, wenn sich in ihrem Umfeld erwachsene Kontaktpersonen befinden, die selbst nicht geimpft werden können und die ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf haben. So verfährt auch Tanja Brunnert. Sie impft auch die Eltern, also die engen Bezugspersonen ihrer vorerkrankten Patienten und Patientinnen.
Meist milde Krankheitsverläufe bei Kindern und Jugendlichen
Für gesunde Kinder und Jugendliche habe die Impfung keinen so großen Nutzen, erklärt der Münchner Medizin-Ethiker Georg Marckmann. Aus diesem Grund habe die Ständige Impfkommission auch die Impfung nicht generell für Kinder und Jugendliche empfohlen, weil diese ein geringes Risiko für schwere Verläufe haben. Auf der anderen Seite sei nicht auszuschließen, dass es (bei der Impfung) nicht auch seltene Nebenwirkungen bei Kindern und Jugendlichen gibt, so Marckmann.
Mittlerweile weiß man über diese möglichen seltenen Risiken wie Herzmuskelentzündungen (Myokarditis) immer besser Bescheid, die Datenlage wird täglich klarer. Gleichzeitig breitet sich die ansteckendere Delta-Variante des Virus aus. Deshalb werden Forderungen laut, die Impfempfehlung auszuweiten. Dazu meint Tanja Brunnert, die auch Sprecherin des Berufsverbandes der Kinder und Jugendärzte ist: "Es ist jetzt einfach Pflicht der Stiko, und die wird das tun: Daten sichten und unter Umständen dann im Verlauf zu einer revidierten Impfentscheidung kommen. Aber es ist ein wissenschaftliches Gremium und unabhängig und das ist auch gut so."
Corona-Impfung für Jugendliche auf eigenen Wunsch möglich
In vielen Kinderarztpraxen bekommen auch jetzt schon gesunde Jugendliche auf Nachfrage sofort einen Impftermin und auch dafür gibt es gute Gründe, erklärt Brunnert: "Es gibt auch unter den Jugendlichen welche, die viele Kontakte haben, weil sie in der Jugendarbeit tätig sind, oder sie jobben in einem Supermarkt oder Restaurant oder sie leiden einfach so sehr unter der Pandemie, dass wir es auch sinnvoll finden, dass sie geimpft sind."
Die große Mehrheit der Minderjährigen ist bisher ohne Impfung. Mit Blick auf die sogenannte Herdenimmunität sieht der Medizin-Ethiker Marckmann da eher die Erwachsenen in der Pflicht: "Gerade auch im Hinblick auf die Delta-Variante: Je mehr erwachsene Menschen geimpft sind, desto schlechter kann sich das Virus verbreiten, desto eher können wir Freiheiten auch für Kinder und Jugendliche ermöglichen, die noch nicht geimpft sind."
- Zum Artikel "Politik lässt nicht locker: Druck auf Stiko wegen Kinderimpfung"
Maßnahmen für "pandemiefeste" Schulen im Herbst
Die Kinderärztin Brunnert appelliert einmal mehr an politisch Verantwortliche, die Schulen endlich "pandemiefest" zu machen. Präsenzunterricht dürfe auf keinen Fall von der Impf-Frage abhängen: "Das Thema Lüftungsanlagen, das Thema 'Wie entzerren wir im Herbst den Nahverkehr in der Früh', ist es vielleicht sinnvoll den Unterricht zeitversetzt zu beginnen? All diese Dinge, die man anfassen muss, sind bislang eigentlich nicht angefasst."
Und wie bewertet sie den Vorschlag, die Kinder sich einfach anstecken zu lassen, wenn doch die wenigsten wirklich schwer erkranken? Das sei keine gute Idee, findet die Ärztin, dafür wisse man noch zu wenig über Spätschäden: "Es ist ein Virus, dem man keine Sekunde über den Weg trauen kann, für meine Kinder würde ich die Entscheidung nicht treffen wollen, dass sie sich infizieren."
Auch sie hofft auf die Impfbereitschaft der Erwachsenen, um so den Kindern und Jugendlichen wieder ein normaleres Leben zurückzugeben.
- Zum Artikel "Verbreitung der Delta-Variante: Zwischen Panik und Sorglosigkeit"
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