Fakt ist bislang nur: Es wird geforscht, auch an kleinen Kindern. Die Impfstoff-Herstellerfirma Moderna zum Beispiel hat im Frühjahr eine Studie aufgesetzt, an der am Ende 6.750 Kinder teilnehmen sollen. Sie stammen aus den USA und Kanada, sind elf Jahre und jünger. Die jüngsten: sechs Monate. Alle bekommen den normalen Impfstoff, allerdings meistens in geringeren Dosen.
Jacqueline Miller, Kinderärztin und Impfstoffentwicklerin bei Moderna, erklärte im US-Frühstücksfernsehen: "Wir beginnen mit den Sechs- bis Elfjährigen, dann sind die Zwei- bis Fünfjährigen dran, und am Ende die Kleinen zwischen sechs Monaten und zwei Jahren. Kinder benötigen häufig weniger Impfstoff und wir wollen die bestmögliche Dosis finden."
Impfstoffforschung an kleinen Kindern nicht ungewöhnlich
Auch wenn es sich manche schwer vorstellen können: Impfstoffforschung an kleinen Kindern ist keine ungewöhnliche Sache. Bei uns bekommen manche Babys die erste Schluckimpfung gegen Rotaviren im Alter von sechs Wochen. Mit zwei Monaten bekommen viele Babys ihre erste Spritze in den Arm: die "Sechsfachimpfung", unter anderem gegen Keuchhusten, Tetanus, Diphtherie und Kinderlähmung. Auch diese Impfstoffe sind in ähnlichen Prozeduren erprobt worden.
"Das ist gar nichts Besondereres", sagt Hedwig Roggendorf, Leiterin der Impfsprechstunde am Klinikum Rechts der Isar in München über die Moderna-Studie. "Das ist jetzt halt ein neuer Impfstoff. Aber grundsätzlich ist es sicherlich kein Problem, auch Kleinkinder zu impfen. Eigentlich ist auch nach Einschätzung der Fachleute nicht damit zu rechnen, dass die Kinder jetzt anders auf diesen neuen Impfstoff reagieren sollten als auf die anderen vielen Impfungen, die die Kinder ja schon im Kleinkindalter bekommen."
Studien zu Corona-Kleinkindimpfungen "sinnvoll"
Die grundsätzliche Frage ist allerdings: Soll man auch im Fall von Corona kleine Kinder impfen und entsprechende Studien durchführen? "Ich bin immer für Studien", sagt Bodo Plachter, Direktor der Virologie an der Uniklinik Mainz. "Natürlich ist es sinnvoll, solche Studien durchzuführen. Es gibt natürlich auch in der jüngeren Altersgruppe Kinder mit Grunderkrankungen. Die sind gegenüber Corona-Infektionen gefährdet." Er sei grundsätzlich froh, dass es solche Studien gebe und eine Zulassung angestrebt werde, sagt auch Johannes Hübner, Professor am Haunerschen Kinderspital in München. "Es gibt eine ganze Reihe von Kindern mit Risikofaktoren: zum Beispiel mit angeborenen Lungenerkrankungen, extrem Frühgeborene, Kinder mit einer onkologischen Therapie, nach Knochenmarkstransplantation etc. Das wären alles Kinder, die wir auf jeden Fall gerne impfen würden. Und dafür ist die Zulassung natürlich wichtig."
Immer wieder Anfragen von Familien
Soweit sind sich die meisten Fachleute einig: Impfstoffe bitte testen, auch an kleineren Kindern, denn es gibt Patienten, die man gegen das Virus impfen müsste. Reinhard Berner, Professor und Chef der Kinder- und Jugendmedizin an der Uni-Klinik Dresden: "Wir haben immer wieder Anfragen, zum Beispiel jetzt von einer Familie, wo zwei kranke Kinder in der Familie sind, die eben ein echtes Risiko hätten, schwerer zu erkranken. Da ist jetzt die ganze Familie seit November zu Hause. Die Kinder sind zehn und elf Jahre alt. Und da wäre die Familie heilfroh, wenn man die impfen lassen könnte und dann wieder ein Schulbesuch möglich wäre."
Flächendeckende Impfungen derzeit nicht notwendig
Aber, auch darüber herrscht Einigkeit: Zumindest momentan braucht es keine flächendeckende Impfung für die Jungen und die ganz Jungen. Der Mainzer Virologe Bodo Plachter: "Der Großteil der unter Zwölfjährigen wird durch eine Corona-Infektion keine schwere Krankheit erleiden. Das heißt, wir haben hier eine Gruppe in der Gesellschaft, die von dieser Impfung nicht wirklich profitiert. Das Ziel einer Impfung ist immer, dass der Impfling geschützt wird vor Krankheit. Und nicht, um bestimmte Aktivitäten wieder zu ermöglichen. Urlaubsreisen oder was auch immer sind nicht das Ziel einer Impfung." Man impft nicht um des Impfens willen, ergänzt Markus Knuf, Professor und Chef der Kinderklinik in Worms. "Bei einer Krankheitslast, die wirklich überschaubar ist im Kindes- und Jugendalter, kann man nicht alle impfen mit einem Impfstoff, den man nicht wirklich gut kennt."
Noch sind Studien wenig aussagekräftig
Knuf rechnet vor: Von den neuen Studien abgesehen wurde der Corona-Impfstoff bislang erst an etwas mehr als 1.000 Jugendlichen erprobt. Bei so einer kleinen Zulassungsstudie fallen sehr seltene schwere Nebenwirkungen, die zum Beispiel nur in einem von 10.000 oder einem von 100.000 Fällen auftreten, nicht auf: "Stellen Sie sich vor, wir hätten einen Todesfall je 10.000 Impfungen. Dann würde man diese Impfung nicht empfehlen, das ist doch völlig klar. Wenn man dann 100.000 Kinder impft – ich konstruiere das jetzt bewusst – dann hätte man schon zehn Todesfälle. Und wenn sie eine ganze Geburtskohorte durchimpfen, dann hätten sie 70. Da würde niemand diese Impfung empfehlen. Und diesen Todesfall erreichen Sie vermutlich nicht, wenn Sie nur 1.000 in der Studie haben."
Diskussion über Impfen von Kleinkindern verfrüht
Knuf hält die Diskussion über das Impfen von Kleinkindern ohnehin für völlig verfrüht: "Es geht überhaupt nicht darum, jetzt Kleinkinder zu impfen. Und schon gar nicht mit Impfstoffen, deren Ergebnisse noch gar nicht publiziert sind. Das ist ein Blick in die Glaskugel mit drei Unbekannten – und macht dann tatsächlich Unruhe und führt zu einer Diskussion, die meines Erachtens noch gar nicht auf der Tagesordnung steht."
Fazit und Tenor der befragten Fachleute: Wir wissen noch zu wenig über die Auswirkungen der Impfung. Gleichzeitig sei die Gefahr für diese Altersgruppe durch Corona zu gering, um eine flächendeckende Impfung zu rechtfertigen. Was nicht heißt, dass die Impfung nie kommt. Reinhard Berner, Chef der Kinderklinik in Dresden: "Wenn wir irgendwann aus den Erfahrungen – zum Beispiel aus Israel oder den USA – wissen, es gibt jetzt Hunderttausende von Kindern, die geimpft worden sind. Und die haben das alle gut vertragen. Dann wird auch die ständige Impfkommission möglicherweise ihre Impfempfehlung großzügiger aussprechen. Und möglicherweise irgendwann an den Punkt kommen und sagen, wir machen eine allgemeine Impfempfehlung. Was aber immer noch bedeutet, dass jeder einzelne frei entscheiden kann, ob er das für sein Kind wahrnehmen möchte oder nicht."
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