Bei den sogenannten mRNA-Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna zeigt sich bisher: Besonders nach der zweiten Impfung klagen Patienten oft über Nebenwirkungen wie Schüttelfrost oder Kopfschmerzen. Das könnte auch bedeuten: Mit jeder Impfdosis treten mehr Nebenwirkungen auf. Und genau das könnte im Laufe der Pandemie zum Problem werden - nämlich dann, wenn mit einer dritten oder vierten Impfdosis aufgefrischt werden muss. Doch der Biontech-Gründer Uğur Şahin sieht diese Gefahr bisher nicht.
mRNA-Impfstoffe: Erkenntnisse aus der Krebsforschung
In der Krebstherapie, etwa bei Haut- oder Darmkrebs, werden mRNA-Impfstoffe schon seit Jahren erprobt. Der mRNA-Impfstoff besteht hier, wie beim Vakzin gegen das Coronavirus, aus einem Teil der Erbinformation des "Übeltäters", in diesem Fall des zu bekämpfenden Tumors. Die Impfung mit dem mRNA-Impfstoff regt auch bei den Krebspatienten das Immunsystem an, indem der Körper Antikörper bildet und - wenn es funktioniert - gezielt den Tumor bekämpft.
Dirk Arnold vom Asklepios Tumorzentrum Hamburg hat manche seiner Patienten schon mehr als zweimal mit mRNA-Vakzinen geimpft. Bei einigen waren die Nebenwirkungen mit jeder weiteren Impfung tatsächlich stärker. Der Mediziner gibt aber zu bedenken: "Das sind sehr, sehr wenige Patienten gewesen [...]. Also das jetzt statistisch oder wirklich verlässlich als belastbare Daten zu haben, das halte ich für zu früh."
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Warum bei Folgeimpfungen mehr Nebenwirkungen auftreten
Für Niels Halama vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg ist indes klar, warum bei jeder Folgeimpfung stärkere Nebenwirkungen auftreten.
"Wenn das Immunsystem gewissermaßen [durch den Impfstoff] schon mal vorbereitet ist, dann kann es durchaus stärker reagieren. Also insofern ist es tatsächlich die Aktivierung des Immunsystems, die dann letzten Endes dazu führt dass [...stärkere] Nebenwirkungen auftauchen. " Niels Halama vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg
Die auftretenden Nebenwirkungen sprechen also lediglich dafür, dass das Immunsystem durch die erste Impfung gut trainiert wurde.
Sorge vor stärkeren Nebenwirkungen wohl unbegründet
Die Sorge vor stärkeren Nebenwirkungen bei einer Impfung mit einem mRNA-Impfstoff könnte also allein schon deshalb unbegründet sein, weil es demnach nur zwei Möglichkeiten gibt, nämlich:
- der Impfschutz hält schon nach zwei Dosen so lange an, dass es gar keine weiteren Auffrischungen braucht.
- oder der Impfschutz hält nicht an, weil er zum Beispiel gegen Mutanten nicht wirkt. Dann müsste aber ein neuer Impfstoff entwickelt werden. Dieser ruft dann allerdings keine starken Nebenwirkungen hervor, weil das Immunsystem auf ihn nicht "vorbereitet" ist und deshalb wenig reagiert.
Nebenwirkungen durch andere Inhaltsstoffe der mRNA-Vakzine?
Theoretisch könnten auch andere Inhaltsstoffe immonogen sein, also das Immunsystem stark anregen, und bei jeder weiteren Impfung stärkere Nebenwirkungen hervorrufen. In Betracht kommen da zum Beispiel die Fettpartikel, sogenannte Lipide, in denen die mRNA eingeschlossen ist. Biontech-Chef Uğur Şahin glaubt aber nicht, dass Lipide das Immunsystem anregen und so Nebenwirkungen verursachen.
"Also Lipide sind üblicherweise in der Konfiguration, in der wir sie nutzen, nicht immunogen. Aber natürlich muss man sehen, was jetzt kommt, wenn wiederholt diese Impfstoffe verwendet werden.” Uğur Şahin, Biontech-Chef
- FAQ: Wie wirkt die Impfung und welche Nebenwirkungen hat sie?
Kombination verschiedener Impfstoffe möglicher Ausweg
Falls sich herausstellen sollte, dass die Nebenwirkungen pro Impfdosis bei mRNA-Impfstoffen immer stärker werden, könnten die Auffrischungs-Impfungen mit anderen Impfstoffen sinnvoll sein. Zum Beispiel mit solchen wie dem von AstraZeneca. Denn laut Robert Koch-Institut (RKI) kommt es bei der zweiten Impfung mit AstraZeneca zu weniger Nebenwirkungen als bei der ersten. Auch wenn bei AstraZeneca dem zuständigen Paul Ehrlich-Institut (PEI) bisher viermal häufiger grippeähnliche Symptome als Nebenwirkungen gemeldet wurde als bei mRNA-Impfstoffen. Die vielen negativen Berichte über AstraZeneca mögen hierbei eine Rolle spielen, dass die Menschen einfach mehr auf Nebenwirkungen achten und diese dann melden. Andererseits werden mit AstraZeneca mehr junge Menschen geimpft. Sie haben bei allen Impfstoffen stärkere Nebenwirkungen.
Auch bei möglichen leichten Nebenwirkungen: Rat zur Impfung
Jessica Marques , eine junge Ärztin aus Nürnberg, die bereits mit AstraZeneca geimpft ist, rät auf jeden Fall - trotz möglicher leichter Nebenwirkungen - zur Impfung gegen das Coronavirus.
“Jedes Mal, wenn ich zum Supermarkt gegangen bin, hab ich immer gedacht: Oh ne, ich will jetzt nicht krank werden. Dieses Gewicht von den Schultern ist ein bisschen weg.” Jessica Marques, Ärztin aus Nürnberg und gegen das Coronavirus geimpft
Was sind mRNA-Impfstoffe?
Die Abkürzung mRNA steht für messenger Ribonucleic acid (Ribonukleinsäure) und wird auch als Boten-RNA bezeichnet. Im Gegensatz zu herkömmlichen Impfstoffen, sogenannten Vektorimpfstoffen, nutzen die mRNA-Impfstoffe zur Immunisierung keine inaktivierten oder abgeschwächten Krankheitserreger. Stattdessen konfrontiert der Impfstoff einige wenige Körperzellen mit Teilen der Erbinformation des Virus oder des Tumors. Diese Erbinformation haben Wissenschaftler zuvor anhand der Gene des Virus oder Tumors nachgebaut und daraus den Impfstoff entwickelt. Das so hergestellte Vakzin liefert den Bauplan für einzelne Proteine des Virus oder Tumors, die auch als Antigene bezeichnet werden. Die Antigene aktivieren das Immunsystem und rufen im Erfolgsfall die schützende Immunantwort hervor.
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